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ZUR EINFÜHRUNG Zoltän Kodäly, neben Bela Bartok der bekannteste zeit genössische Komponist Ungarns, wurde 1882 geboren. Mit seinem Freund Bartok gemeinsam erforschte er die Volksmusik Ungarns und Rumäniens. Bei dieser Arbeit, die sein Schaffen bedeutend befruchtete, kam er auch mit den Sagen und Märchen seiner Heimat in Berührung. Hdry Jinos ist eine Gestalt, die zwar von einem Dichter zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschaffen worden ist, die jedoch in sich die Lust zum Erzählen und Fabulieren, zum Phantasieren und Aufschneiden, wie (sie im Volke vorhanden ist, aufnahm. Hdry Janosist ein ausgedienter Soldat, der seine Erlebnisse erzählt und sie in seine ge heimen Wünsche mit einfließen läßt und somit aus den Wahrheiten meist Dichtungen macht. Kodaly schildert also in der Häry-Janos-Suite, die er nach einer gleich namigen Oper zusammengestellt hat, mehrere der Aben teuer seines Helden. Die sechs Teile der Suite heißen: Vorspiel, Das Märchen beginnt; Wiener Spiel werk; Lied; Schlacht und Niederlage Napoleons; Zwischenspiel; Ein zug des Kaiserlichen Hofes. Die Überschriften sind ein deutig. Sie weisen auf die Musik hin. Koddlys große Fähig keit, einen ausgezeichnet klingenden Satz zu schreiben, zeigt sich in diesem Werke. Während das Wiener Spiel werk sich auf Holzbläser, Glocken, Celesta und Klavier stützt, um die porzellanhafte Zartheit der Spieluhr zu verwirklichen, ist die Schlacht und Niederlage Napo leons eine von den vielen Schlachtenmusiken, die neben Trompeten und Posaunen und dem vielfältigsten Schlag zeug noch Piccolo-Flöten und Saxophone heranzieht. Im „Lied“ zeigt Kodäly das Improvisationstalent des un garischen Volkes und im Intermezzo (Zwischenspiel) ge staltet er eine majestätische, feurige Szene. Der Einzug des Kaiserlichen Hofes verleitet ihn zu einer orchestralen Prunkentfaltung sondergleichen. „Hdry Jänos“ steckt voll sprühender, lebendiger Musik und die vielen volks tümlichen Anklänge haben dafür gesorgt, daß sie einen Siegeslauf durch die ganze Welt antreten konnte. Im Jahre 1879 hat Antonin Dvor äk sein großes Violin konzert in a-Moll, op. 53, komponiert. Der bedeutendste Geiger der damaligen Zeit, Josef Joachim, hatte sich be reit erklärt, die Violinstimme zu überprüfen. Bis 1882 haben die beiden an dem Werke gefeilt. Dvorak schreibt in einem Briefe: „Die Umarbeitung lag volle 2 Jahre bei Joachim! Er selbst war so liebenswürdig, die Prinzipal stimme einzurichten; nur im Finale muß ich noch etwas ändern und an manchen Stellen die Instrumentation mil der machen.“ Die Überarbeitung hat dem Werke nicht geschadet, es hat seine Frische und Ursprünglichkeit, die fast alle Werke Dvoräks auszeichnen, bewahrt. Das Violinkonzert ist dreisätzig; der erste und zweite Satz folgen ohne Pause aufeinander. Die Anlage ist sin fonisch. Der erste Satz zeigt die beiden, dem Sonaten schema entsprechenden gegensätzlichen Themen, das selbstbewußte, energische erste Thema und das süße, ly rische zweite. Der langsame zweite Satz steht in einer zarten, poetisch-verhaltenen Stimmung, er fließt über an melodischen Gedanken, er quillt über von Gefühl, das sich in einer Fülle schönster Melodien aussingt, die dem Volke abgelauscht sind. Der Schlußsatz ist im großen ge sehen ein Rondo, wobei das Ritornell oder der Refrain im Rhythmus des tschechischen Volkstanzes Furiant ge halten ist, das heißt, daß Synkopen auftreten, die für den Furiant charakteristisch sind. Als Mittelteil wählte Dvofak die rhythmische Form der Dumka, eines anderen rassigen Volkstanzes der Tschechen, Das bedeutet Takt wechsel aus dem Drei-Schlag-Takt in den Zwei-Schlag- Takt. Dieser Gegensatz macht den Schlußsatz so in teressant, so würzig, so zündend. Dvorak ist ein Beispiel für die Kraft eines im Volke wurzelnden und aus dem Volkstum schöpfenden Komponisten. Joh. P. Thilman Immer schon gehörte Tschalkowskijs Vierte Sin fonie zu den beliebtesten Werken der Konzertliteratur. Es ist zugleich jenes Werk des russischen Klassikers, das am wenigsten mißverstanden wurde; zu seinem Ver ständnis trug eine allgemein bekanntgewordene Inter pretation des Meisters selbst bei, die er in einem Brief an die „Geliebte Freundin“ (so der Titel des bekannten Buches, das den Briefwechsel Tschaikowskijs mit Na- deshda von Meck enthält) niedergelegt hatte. Heute frei lich, da wir die Forschungen der sowjetischen Musik gelehrten kennen, die sich gerade Tschaikowskijs mit be sonderer Liebe angenommen haben, sehen wir die Sin fonie und ihre Auslegung durch den Komponisten mit neuen Augen. Wir wissen heute, daß die Sinfonie, gleich zeitig mit der Oper „Eugen Onegin“ übrigens, in der wir manchen verwandten Gedanken finden, entstand in einer „Epoche des ümbruchs in Rußland, als das Alte vor den Augen aller unwiederbringlich zusammenstürzte und das Neue sich erst zu bilden begann“ (W. I. Lenin, Band XV, Seite 102). In diesen Jahren spitzten sich die sozialen Gegensätze in Rußland aufs schärfste zu. Die Welle der Revolution wuchs an. In Petersburg wurde demonstriert. Die Jugend rief die Bauern zum Kampf gegen die Zaren regierung auf. In einer Reihe von politischen Prozessen wurden die Anhänger des Volkes erbarmungslos unter drückt. Tschaikowskij stand bei diesen Ereignissen nicht unbeteiligt beiseite. Dieser feine Lyriker, dieser zart fühlende Musiker war ein politischer Mensch, der fein fühlig auf die Schwankungen des sozialen Bodens rea gierte, der das sich nähernde Ungewitter spürte. „Wir erleben eine furchtbare Zeit“, schrieb er in einem Brief des Jahres 1878, „versucht man, sich in die Geschehnisse hineinzudenken, so wird einem bange zumute. ..“ Und ein andermal beklagt er die „freche, hartherzige Willkür des Petersburger Präfekten“ (d. h. des Bürgermeisters): „Die Haare stehen einem zu Berge, wenn man erfährt, wie mitleidlos, hart, unmenschlich die Jugend behandelt wird.“ Aus dieser Stimmung heraus ist dieVierte Sinfonie ent standen. Das in der Einleitung ertönende Fanfarenmotiv ist nach seinen eigenen Worten das „Samenkorn der ganzen Sinfonie“. Es versinnbildet „das Fatum, das Schicksal, jene verhängnisvolle Macht, die unser Streben nach Glück sich nicht verwirklichen läßt.... Diese Macht ist unbesiegbar und unentrinnbar“. Im Hauptteil des ersten Satzes kündet dann das erste Thema von „Er gebung und fruchtloser Sehnsucht, das zweite, nach einem großen Ritardando und Diminuendo in der Solo klarinette einsetzend, von Träumen, in die man selbst vergessen sinkt, um dann um so rauher von der Wirklich keit, vom Ruf des Schicksals geweckt zu werden: „So ist denn unser ganzes Leben ein unablässiger Wechsel harter Wirklichkeit und flüchtiger Traumgebilde ..." Der zweite Satz mit seinem zuerst von den Oboen ange- stimmten, dann von andern Instrumenten aufgenom menen b-Moll-Gesang drückt nach den Worten Tschai kowskijs „eine andere Stufe der Schwermut“ aus. „Es ist jenes wehmütige Gefühl, das uns des Abends ergreift, wenn wir einsam dasitzen, ermüdet von unserm Tag werk, ein Buch auf den Knien, das unserer Hand ent sank. Erinnerungen brechen in Mengen auf uns ein“. Der dritte Satz, durchweg Streicher-Pizzikato, unter brochen nur von einem kurzen Mittelsatz, „drückt kein« bestimmten Empfindungen aus ... Es ist einem weder heiter noch traurig ums Herz“. „Bildfetzen jener Art, wie sie uns beim Einschlafen durch den Sinn huschen“, das vergessene Bild betrunkener Bäuerlein, ein Gassen hauer, irgendwo in der Ferne ein mili tärischer Aufzug ... Der vierte Satz aber zeigt den Weg aus der Sackgasse der individuellen Abgeschlossenheit. So nämlich erklärt der Komponist der Freundin das ideelle Ergebnis seiner Vierten Sinfonie: „Wenn du in dir selbst keinen Anlaß zur Freude findest, so suche sie in anderen Menschen. Geh ins Volk, sieh, wie es versteht, heiter zu sein und sich ungehemmt der Freude hinzugeben . . . Sage nicht, alles auf Erden sei traurig. Es gibt schlichte, aber tiefe Freuden. Freue dich an fremder Freude. Es ist immerhin möglich, zu leben“. Dieses „Gehe zum Volke!“ hat Tschaikowskij musikalisch in den kraft- und lichtvollen Partien des Finales und dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er den letzten Satz als eine Paraphrase des Volks liedes „Es stand eine Birke im Felde“ anlegte. Er hat mit jenen Worten das Musikideal ausgesprochen, das auch die sowjetischen Komponisten beseelt. Dr. Karl Laux