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Meisters, das „Requiem“ zu seiner herrlichen Ge schlossenheit vollendete, ist sein unsterbliches Ver dienst und sollte uns dankbar stimmen und nicht nach den Schwächen suchen lassen, die naturgemäß vorhanden sind. Wie Mozart in der „Zauberflöte“ seine lichte, irdische Heilslehre von der großen Menschenliebe verkündete, so spricht er im Requiem seine ergebene Zuversicht von der erlösenden, nie aufhörenden Liebe einer besseren Welt aus. Das dem „Kyrie“ vorangehende Gebet für die ewige Ruhe der Entschlafenen mit dem eindringlichen Requiem-Thema bringt ergreifende Trauerstimmung zum Ausdruck, überstrahlt von der Verheißung der Choralmelodie. Die große Doppel fuge des Kyrie spiegelt den Zustand der schuld beladenen Menschheit vor dem Nahen des Gerichts wider und ist in seinem an Verzweiflung grenzenden Ausdruck der unmittelbare Übergang zu dem die Schrecken des Jüngsten Gerichts kündenden „Dies irae“. Nach dessen wilder Erregung tödlicher Angst und lähmenden Grauens tritt im „Tuba mirum“ Beruhigung ein. Die Tenorposaune kündet das Nahen des Herrn, der für Mozart aber nicht der unbarm herzige Richter, sondern ein gerechter milder Gott ist. Dem seine Majestät verherrlichendem „Rex tremendae“ folgt im „Recordare“, das zu den Höhe punkten des Werkes zählt, ein inniges Gebet voll rührenden Flehens, das ausklingt in hoffnungsvoller Zuversicht. Ein krasser Gegensatz hierzu ist die Schilderung der Qualen der Verdammten im „Con- futatis“, das Mozart zu einem großen dramatischen Satze ausgestaltet, überstrahlt von der ergreifenden Bitte der Frauenstimmen. Das tränendunkle „Lacry- mosa“ ist voller tröstlicher, versöhnender Gedanken, während im „Offertorium“, der Bitte für die Seelen der Verstorbenen, die Erregung über deren unge wisses Schicksal wieder düstere Bilder des Grauens heraufbeschwört, die aber mit der Anrufung des Erz engels Michael in das Gefühl wiedergewonnenen Friedens übergehen. So kann im folgenden „Ho- stias“ die Gemeinde voll innerer Andacht und Samm lung zum Opfer vor Gott treten. Die Sätze „Sanctus“ und „Benedictus“ scheinen die am wenigsten von Mozarts Hand verarbeiteten zu sein, es fehlt ihnen trotz motivischer Einheit durch die schwache In strumentation die volle charakterisierende Wucht. Doch das „Agnus Dei“ mit der inbrünstig gesteiger ten Variante des Requiem-Themas ist wieder von wunderbarer Symmetrie des Baues, ergreifend im Ausdruck des Flehens um Erlösung. Die Wieder holung der Requiem-Fuge des ersten Satzes soll nach Konstanzes Aussage die Absicht Mozarts gewesen sein, „wenn er stürbe, ohne es zu vollenden". Er wollte wohl damit einem Originalschluß Süßmayers Vorbeugen; aber die gewaltige Eingangspartie des Schlußsatzes scheint darauf hinzudeuten, daß ihm als Krönung seines Werkeseine große, aus dem Geiste des Werkes entwickelte Schlußfuge vorschwebte. Trotz der Wahrung aller strengen liturgischen Forde rungen ist diese Totenmesse — in ihrer abgeklärten Reife und stillen Innerlichkeit Bach zutiefst ver wandt — das ureigene Bekenntnis des sterbenden Künstlers vor den dunklen Toren der Ewigkeit. Es fügt sich als würdiger Schlußstein seinem herrlichen Lebenswerke ein, das im weitgespannten Bogen, bis in die Tiefen des Bachschen Zeitalters zurück reichend, die überreiche Fülle der hochklassischen Reife des Empire erschöpfend, über die Romantik bis in unsere Tage herüberreicht, das in seiner u n- erschöpflichen Fülle und kaum faßbaren inneren Kraft, in seiner unübersehbaren Vielfalt der Ge staltung heute und ewig gültig ist. In der ersten Morgenstunde des 5. Dezember 1791 verschied Mozart, bis in die letzten Lebensstunden um die Vollendung seines „Requiems" bemüht. Arm selig wie sein ganzes armes Leben war sein Begrab nis: in einem einfachen Fichtensarg senkte man ihn in ein Gemeinschaftsgrab zu den Allerärmsten, keine Freundeshand warf ihm eine Handvoll Erde nach; die wenigen Menschen, die an der Trauerfeierlichkeit teilgenommen hatten, kehrten infolge des stür mischen Dezemberwetters schon vor dem Friedhof um und auch seine Frau hatte ihm das letzte Geleit nicht gegeben. So kommt cs, daß niemand die Stätte kennt, au der die Gebeine eines der leuchtendsten Genien der Musik ruhen — seine Ruhestätte sind unsere Herzen, in denen er geheiligt und geliebt lebt und unvergänglich leben wird. Ruth Butowski Nr. 1 Reqiem Ewige Ruhe gib Ihnen, Herr, und ewiges Licht leuchte ihnen; dir gebühret Lobgesang, Gott in Zion, und Anbetung soll dir werden in Jerusalem; erhöre mein Gebet, zu dir kommt alles Fleisch. Ewige Ruhe gib ihnen, Herr, und ewiges Licht leuchte ihnen. Herr erbarme dich! Christe erbarme dich! Herr erbarme dich! Nr. 2 Dies Irae Tag des Zornes, Tag der Klage, der die Welt in Asche wandelt, wie Sybill’ und David zeuget. Welches Zagen wird sie fassen, wenn der Richter wird er scheinen, Recht und Unrecht streng zu richten. Nr. 3 Tuba mirum Die Posaune wundertönend durch die grabgewölbten Hallen, alle vor den Richter fordert. Tod und Leben wird erbeben, wenn die Welt sich wird erheben, Rechenschaft dem Herrn zu geben. Ein geschrieben Buch erscheinet, darin alles ist enthalten, was die Welt einst sühnen soll. Wird sich dann der Richter setzen, tritt zutage was verborgen; nichts wird un- gerächt verbleiben. Was werd', Armer, ich dann sprechen? Welchen Mittler soll ich rufen, da selbst der Gerechte zittert? Nr. 4 Rex tremendae Herr, dess’ Allmacht Schrecken zeuget, der sich fromm den Frommen neiget, rette mich, Urquell der Gnade!