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ZUR EINFÜHRUNG Immer einsamer war es in den letzten Jahren um Mozart geworden — es schien, als sei er vergessen. Auch die letzten Reisen erfüllten die Sehnsucht nach einem großen Auftrag, den er hoffnungsvoll bis zu letzt hegte, nicht. Zwar war er überall herzlich will kommen und gefeiert, wurde aber immer nur mit kleineren Geschenken fürstlicher Huld abgespeist, so daß er mit dem ihm eigenen feinen Humor an Konstanze schrieb: „Mein liebstes Weibchen, du mußt dich bei meiner Rückkunft schon mehr auf mich freuen als auf das Gelde!“ In Dresden, wo er bei Hofe und in Privatzirkeln konzertierte, entstand im Hause des Schiller eng befreundeten Chr. Gottfr. Körner die feine Silberstiftzeichnung von Dora Stock, das letzte Bild Mozarts, auf dem wir schon deutlich die Spuren aufkeimenden Leidens eingegraben sehen. — Auch der Aufenthalt in Leipzig und Berlin und die spätere Reise nach Frankfurt waren nur „von seiten der Ehre herrlich, aber in betreff des Geldes mager“. So versank der Meister nach seiner Rückkehr wieder in dem trübseligen Elend, das ihn wie mit eisernen Klammern festhielt. Und als sein einziger wahrer Freund Jos. Haydn im Dezember 1790 zu einer Kon zertreise nach London aufbrach, blieb er in tiefer Trostlosigkeit zurück. Auch seine Ehe hatte ihm die letzte Erfüllung ver sagt; denn Konstanze liebte ihn wohl in ihrer trieb haft-sinnlichen Art, paßte sich seinen Stimmungen auch willig an, doch die künstlerische Größe ihres Mannes hat sie nicht geahnt. Ihre unproblematische Natur sah in der Musik ihres Mannes nur ein Mittel zum Gelderwerb, deren Unsterblichkeit vermochte sie nicht zu erfühlen. So vermied er es, sie ins Inner ste seiner Seele blicken zu lassen. Er wußte, daß er für seine Arbeit von ihr keine stärkere geistige An regung erwarten durfte — und erwartete sie auch nicht. Doch war er ihr in unerschütterlicher Anhäng lichkeit zugetan, immer liebevoll um sie bemüht und übersah ihre Schwächen, wie sie ihm seine reuig ein gestandenen „Stubenmädeleien“ verzieh, zu denen ihn sein leidenschaftliches Temperament hin und wieder trieb. Das wirtschaftliche Elend der letzten Jahre, an dem sie durch ihre allzu sorglose Haushalt führung viel Schuld hatte, ertrug sie tapfer mit ihrem Mann. Dessen schon immer sehr zarte Gesundheit, durch die übermäßigen Anstrengungen der vielen Reisen in frühester Kindheit sehr geschwächt, wurde durch die Entbehrungen, die rastlose Arbeit und die immerwährenden Enttäuschungen immer mehr er schüttert und Todesahnungen umdüsterten sein Ge müt. In leidenschaftlichem Schaffensdrange war er ohne Rücksicht auf seinen sich immer mehr verschlech ternden Zustand unermüdlich tätig, als gälte es, vor dem nahen Tode in der letzten kurzen Frist, die ihm gegönnt war, nun nach der nicht mehr zu steigernden Vollkommenheit seiner letzten Sinfonien auch auf den anderen Gebieten Endgültiges zu bekennen. Neben seinem letzten großen Klavierkonzert waren es vor allem die „Zauberilöte“ und das „Requiem“, die seinen rastlosen Geist bis zuletzt beschäftigten. Die ersten Aufführungen seiner „Zauberflöte“, dieses Hohenliedes der Menschlichkeit, und deren sich immer mehr steigernden Erfolg durfte er noch mit erleben. Bis in seine letzten Lebenstage verfolgte er im Geiste auf seinem Krankenlager den Gang der Aufführung im Theater und einen Tag vor seinem Tode noch flüsterte er voll Sehnsucht: „Einmal möchte ich doch noch meine Zauberflöte hören“, und zu seiner sichtlichen Freude sang ihm ein gerade anwesender Freund das Vogelfängerlied aus dieser seiner liebsten Oper. „Das Requiem“, die Krone seiner kirchenmusikali schen Werke, das er in der Gewißheit seines baldigen Todes schuf, konnte er nicht vollenden. Der Auftrag für diese Totenmesse, den ihm ein geheimnisvoller Unbekannter überbrachte, erschütterte den Tod kranken aufs heftigste; er vermeinte, ein Bote der anderen Welt sei ihm erschienen und habe ihm seine eigene Totenmesse zu schreiben befohlen. Seine eigene seelische Bereitschaft für diesen Auftrag macht das Werk zum persönlichen Bekenntnis von den letzten Dingen, von der erlösenden, nie auf hörenden Liebe einer besseren Welt und kündet von seinem schlichten Unsterblichkeitsglauben. — Das Geheimnis des Auftraggebers lüftete sich erst nach des Meisters Tode: ein Graf Walsegg, der die Messe zum Gedächtnis seiner verstorbenen Frau aufführen wollte, gedachte sie als eigene Komposition aus zugeben und hatte deshalb einen möglichst geheimen Weg gewählt. Der Tod nahm Mozart mitten in dieser Arbeit die Feder aus der Hand, und seiner Witwe lag daran, das „Requiem“ als von ihm vollendet dar zustellen, um des Honorars nicht verlustig zu gehen. Doch ließ sich auf die Dauer dieses Geheimnis nicht wahren, wenn auch bis zum heutigen Tage nicht rest los geklärt ist, wie groß der Anteil seines Schülers Süßmayer, der auf Bitten Konstanzes das Werk voll endete, ist. Die bekannte „Kontroverse“ über das Requiem verficht die gegensätzlichsten Meinungen; doch kommen wir wohl der Wahrheit am nächsten, zu glauben, daß auch von den Sätzen, die Mozart nicht vollenden konnte, Skizzen und mündliche An deutungen vorhanden waren, die es dem mit der Schaffensweise seines Meisters eng vertrauten Schü ler, der in der letzten Zeit immer um ihn war und die gesamte Niederschrift des „Requiems“ besorgte, er möglichte, das Werk zu Ende zu führen. Daß er aus den einzelnen Teilen und Andeutungen im ehrfurchts vollen Einfühlen, befeuert vom Genius seines großen