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Beilage zur Weitzenttr-Zeikung Rr. 67 " Donnerstag, am 19. März 1936 102. Jahrgang Zuversicht Entspannung durch die Der Vertreter der deutschen Reichsregierung bei den Beratungen des Völkerbundsrates ln London. Botschafter von Ribbentrop, ist aus dem Luftweg in London elngekrof- sen. In seiner Begleitung befinden sich Ministerialdirektor Dr. Dieckhoff. Vortragender Legationsrat woermann. die Legationsräte Wingen und Vr. Schmidt. Legationssekretär Dr. Kord», der Adjutant des Botschafters. Thorner, und der presfereserent Dr. Böttiger. Der Entschluß Deutschlands, an der Beratung des Völ- kerbundsrates teilzunehmen, hat in London entspannend gewirkt. Die deutsche Delegation findet in der Presse allge mein eine sehr günstige Beurteilung. Man weist darauf hin, daß ihre Zusammenstellung erwarten lasse, daß die deutsche Regierung die Verhandlungen mit allem Ernst be treiben werbe und sich für alle juristischen und völkerrecht lichen Erörterungen vorbereitet habe. In den Leitartikeln der Presse kommt fast einheitlich zum Ausdruck, daß die Annahme der Einladung durch Deutschland eine neue Epoche herbeisühre. „News Chronicie" stellt dazu fest, daß Europa zwar noch sehr weit von dem Ziel einer all gemeinen Einigung entfernt sei. aber daß doch immerhin die Grundlagen dafür nunmehr gelegt feien. Die Oeffent- lichkeit aller Länder dürste und hungere nach Frieden und würde es nicht verstehen, wenn die jetzige Gelegenheit aus juristischen oder anderen Gründen nicht voll ausgenutzt würde. „Daily Mail" schreibt, Deutschlands Uebertretung bestehe darin, daß es die deutsche Souveränität über ein einwandfrei deutsches Gebiet wiederhergestellt habe. Aus diesem Grunde lasse seine angeblich strafbare Handlung die öffentliche Meinung Großbritanniens wie in den Domi nions völlig kalt. Wachsende; Verständnis Die Londoner Blätter messen der Erörterung der euro- päischen Lage durch den Außenpolitischen Ausschuß des Un terhauses große Bedeutung bei. Rund 200 Abgeordnete besprachen die Frage, welche Haltung Großbritannien ein nehmen solle. Ueber den verlaus der Sitzung berichtet ..Daily Telegraph", daß die Regierung aufgesordert worden fei. angesichts der allgemeinen Volksstimmung energisch die Politik der Versöhnung zu verfolgen. Außerdem soll« Großbritannien keine weiteren militärischen Verpflichtun gen in Europa annehmen. Der „Daily Herold" berichtet, daß sich die konservativen Abgeordneten mit überwiegender Mehrheit gegen die Uebernahme neuer militärischer Verpflichtungen auf dem Kontinent ausgesprochen hätten. Zweifellos seien die Mit glieder der Regierungspartei in Ihrer Ansicht bestärkt wor ben. daß ein Bündnis mit Frankreich selbst in verschleier ter Form nicht in Frage komme. Rach -er Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses, schreibt „Rews Ehronicle". sei es klar, daß eine große Mehr heit der Abgeordneten dafür eintrete, die Friedeusvorschlage Hitlers gründlich zu erwägen. Es mache sich ein wachsendes Gefühl in der Konser vativen Partei und auf der Seite der Opposition bemerkbar, daß es eine Verzögerung der Aussichten auf eine dauernde europäische Regelung bedeuten würde, wenn man das deutsche Angebot ohne weiteres avlehne. Sir Austen Cham berlain. der Maßnahmen gegen Deutschland gefordert habe, sei mit seiner Gruppe in der Minderheit geblieben. Ein Abgeordneter nach dem anderen habe den Standpunkt be tont, daß England nichts tun dürfe, um die europäische Spannung zu verstärken. Es sei klar geworden, daß der Druck der öffentlichen Meinung in der Richtung eines Ent- gegentoNimens gegenüber Hitler auf der Grundlage der Gleichberechtigung das Parlament in einem kritischen Sta dium beeinflußt habe. Englands KompronriboorWag Nächst dem deutschen Entschluß wird von der Presse als das bedeutendste Ereignis der letzten Tag, ein englischer Kompromißvorschlag an die Locarnomächte angesehen, der unter anderem die Einrichtung einer ständigen entmilitari sierten Zone von 30 Meilen auf beiden Seiten der franzö sischen und deutschen Grenze vorlieht sowie eine Reihe von Verpflichtungen für beide Teile — Deutschland und Frank reich — und eine Nachprüfung des Sowzetpaktes. Ferner soll der Völkerbund zu weiteren Beschlüssen angeregt werden. SrmyöMe »erSrgernvg Die französische Prelle zefatweiterhin 6ne neryüse Hal tung: Sb schrewt das „Echo « Paris": .Lie französischen Minister beteuigen sich an einer Diskussion, die zu keinem Ergeonis führen kann und die wahrhaftig gegen die Würde Frankreichs verstößt." Im „Povulaire" heißt es: „Eine ganze Anzahl der Vorschläge Flandins mißfällt uns; sie sind teilweise falsch interpretiert worden, aber gerade auf diese Weise wird ein Volk getäuscht und kann von einem Tag zum anderen ein grausames Erwachen erleben. Es wird zur Beute der Kriegspolitik werden, dis keine anderen ! Folgen hat als den Selbstmord Frankreichs und ganz Euro- p?s. „Le Jour" jammert: „Einmal mehr: England will die Rolle des Befrieders und Schiedsrichters zwischen Deutschland und Frankreich spielen und verlangt von Frank reich selbst bei den Erörterungen von Einzelheiten eine direkte Aussprache mit Deutschland." Der offiziöse „Petit Paris,en' klagt: „Frankreich mußte erneut eine Lanze gegen "'« geradezu lächerlichen Ideen der Vertreter Dänemarks, Chiles, Argentiniens, Polens und selbst des australischen Präsidenten brechen, der eine höchst überflüssige Höflichkeit gegenüber dem verlorenen Sohn an den Tag legte. Oll«» »DL D« —W 1933/34 1934/33 1S1S-1SZA, all- tn 14 Sichren an Winterhilfe tns-esamt nur 188 MUlt-nen Mark »er auch für Dich ttnwft, am 2«. März 193« ISIL/Miu ...AI« Millionen Mark »««Km» in 3 Jahren Eine Milliarde Reichsmark an Sie notteUen-en Voitt-enoNen verteilt leine S-tt-uritHt um- Beweis gestellt Der Rati-naif-ziattsmus Hut 338 Millionen Mark 3«r Millionen Mark Locarno-Vertrag fortzusetzen. Als erster sprach Außenmi«s nister Eden. Der Rat halte zuvor in nichtöffentlicher Sitzung davon Kenntnis genommen, daß die deutsche Abordnung erst von Donnerstag an an den Arbeiten leilnehmen könne. i Außerdem wurde beschlossen, eine Sitzung des Drei- zehner-Äusschusses, das heißt des Völkerbundsrates ohne Italien, zur Prüfung der italienischen und abessinischen Ant wort auf den Anfang des Monats ergangenen Friedens appell am Donnerstagnachmittag abzuhalten in London Teilnahme Deutschlands s Einige Artikel in französischen Zeitungen stehen aller- > dings in wohltuendem Gegensatz zu der starren Haltung, die s sonst überall in der Pariser Bresse ihren Niederschlag findet. So bringt die „Republique'' einen Aufsatz des Senators l Caillaux, der nach einer Verurteilung des Versailler Ver trages für einen Wiederaufbau Europas eintritt. Es sei allerdings unzulässig, daß Deutschland feine Unterschrift „verleugne", aber man müsse doch zugeben, daß es der schlimmste Fehler wäre, die Vorschläge des Führers einfach zurückzuweisen oder mit verletzender Langsamkeit zu prüfen. Im „Ami du Peuple" tritt der Abgeordnete Taittinger zur Zeit fast täglich für Verhandlungen zwischen einem sicher- beitsbewußten Frankreich und Deutschland ein. Die Mehr heit der Franzosen sei weniger für das Verfahren empfäng lich als für den Frieden schlechthin, Die zweite Phase beginnt Die Entsendung einer deutschen Abordnung nach Lon- oon wird in der gesamten italienischen Presse in größter Aufmachung gemeldet, ohne daß man jedoch irgend etwas über den Eindruck des deutschen Entschlusses in England und Italien sagt. Die Pariser Berichterstatter der „Stampa" und des „Popolo di Roma" schreiben: Die deutsche Zustimmung, an den Londoner Verhandlungen teil- nehmcn zu wollen, werde in Paris als eine neue Erschws- ung empfunden, die die Lage für Frankreich noch verwickel ter mache. Die „Gazeta del Popolo" schreibt: Die erste Phase des Nheinlanddramas sei beendet. Der Londoner Korrespon dent des Blattes stellt fest: Fast alle Kreise, mit Ausnahme der Franzosen, hätten die deutsche Entscheidung freundlich ausgenommen. Jetzt beginne die zweite Phase, die nicht so unmittelbaren Gefahren unterliege wie die erste, aber doch verwickelt sei und gewiß länger dauern werde. Situas -es Böllerbun-rrales Der Völkerbundsrat trat am Mittwoch um 16 Uhr zu einer öffentlichen Sitzung zusammen, um die Aussprache über den französisch-belgischen Entschließunasantraa zum Aubenmintster Eden führte tn seiner Rede in der. öffentlichen Sitzung folgende aus: Der Rat wurde aufgesordert, seine Pflicht nach Artikel 4 Absatz 2 des Locarnovertrages zu erfüllen, nämlich sich davon zu überzeugen, ob ein Bruch des Artikels 43 des Ver sailler Vertrages begangen ist oder begangen wird. Dev Fall ist uns durch die Vertreter Frankreichs und Belgiens in Reden unterbreitet worden, die auf die Mitglieder des Rates tiefen Eindruck gemacht haben. Ich habe bereits vor dem' Rat erklärt, daß nach Auffassung der britischen RegierunA ein offenkundiger und unbestreitbarer Bruch der Bestimmun gen des Versailler Vertrages über die entmilitarisierte Zon« begangen worden ist. Es war daher das Recht des Rates» zu dein gleichen Schluß zu gelangen und diese Feststellung, den Unterzeichnern des Locarnovertrages zu unterbreiten. Rach Auffassung meiner Regierung ist dies jedoch bei weitem nicht die einzige Aufgabe, die der Rat im vorliegen den Aall zu erfüllen hat. Unsere Pflicht ist es, nicht nur zu erklären, daß ein Bruch begangen worden ist, wir müssen uns stets unser letztes Ziel und unsere höchste Verantwort lichkeit vor Augen halten, die darin besteht, den Frieden zu bewahren und ein gutes Einverständnis unter den Völkern Europas auf einer festen und dauernden Grundlage aus zubauen Man muß beachten, daß der Bruch des Locarno-Ver trages, so klar er auch ist, nicht eine unmittelbare Bedro hung mit Feindseligkeiten in sich trägt. Es ist Zeit vorhan den, um mit Klugheit wie auch mit Entschlossenheit die Lage^ zu prüfen. So ernst auch die Lage ist, so ist sie doch von! der Gelegenheit begleitet, einen dauerhaften Frieden M schaffen, und dieses Ziel muß ein wichtiger Gesichtspunkt; für die Schritte selbst sein, die zur Erreichung des Ziele- unternommen werden. Danach machte Eden die wichtige Feststellung, daß der Bruch des Vertrages durch Deutschland keine Aktion gewe sen sei, die die sofortige Anwendung der im Locarno-Ver trag vorgesehenen Maßnahmen notwendig mache. Der italienische Botschafter in London, Grandi, gab hierauf eine Erklärung ab, in der er von dem Ernst derj Lage sprach. Italien sei sich seiner Verantwortlichkeit auf! Grund des Locarno-Vertrages voll bewußt und bleibe sei»! nen Verpflichtungen treu. Selbstverständlich könnten jedoch diejenigen Staaten, die in Genf im Zusammenhang mit dem italienisch-abessinischen Streitfall Maßnahmen getroffen hätten, deren Ungerechtigkeit das ganze italienische Volk tief empfinde, nicht erwarten, daß Italien Maßnahmen anwende, die mit seiner gegenwärtigen Lage unvereinbar seien. Es müsse verhütet werden, daß aus der gegenwär tigen Krise Europa noch gespaltener und geschwächter, als es schon sei, hervorgehe. Man muffe alle Ursachen in Be- tracht ziehen, die zu der gegenwärtigen Lage geführt hätten. Dazu gehöre zweifellos die Schwächung der politischen Grundlagen des Locarno-Vertrages infolge der Genfer Be schlüsse und Maßnahmen im Zusammenhang mit dem ita lienisch-abessinischen Streitfall. In den letzten Monaten sei der europäische Friede von den Wechselfällen eines Kolo nialstreites abhängig gemacht worden, den man in seinen , angemessenen Grenzen hätte halten können und müssen. Die Erfahrung der letzten Monate werde hoffenlich zumin dest zu der Erkenntnis führen, daß in Europa ein einheit- ' liches Friedens-, Zufammenarbeits- 'und Bertrauens- , pxoblem bestehe. Varis gegen beiderseitige Entmilitarisierung - Die französische Abordnung hatte sich vor dem Zusam mentritt der Locarno-Rlächte mit dem englischen Vorschlag, der die Schaffung einer beiderseitigen neutralen Aon« an- ! regt, befaßt, wie au» französischen Kreisen verlauket, wird der Vorschlag al» völlig unannehmbar betrachtet. Der polnisch« Außenminister Beck erklärte, daß die , Erklärungen zwischen Polen und dem Deutschen Reich vom Januar 1934 die Lage geordnet hätten. Diese Erklärungen, die in der Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens vereinbart : wurden und dem festen Willen der beiden Regierungen entsprungen feien, den Frieden an ihrer gemeinsamen Grenz« zu sichern, hätten es ermöglicht, zwischen Polen und Deutsch land Beziehungen herzustellen, die von gegenseitiger Ach tung durchdrungen seien. Die Worte, die der deutsche Reichs kanzler in letzter Zeit in seinen Reden Polen gewidmet habe, bewiesen den Willen der Reichsregierung, Vie Ver pflichtungen, die sie gegenüber Polen übernommen habe^ aufrechtzuerhalten und machten deutlich, in welchem Geist das Reich sie anwenden wolle. Bei allen Verhandlungen müsse der von Polen stets vertretene Grundsatz beachtet werden, daß über die Interessen irgendeines Landes inter national nicht ohne seine Beteiligung und Zustimmung ver handelt werden könne. / Die Vertreter Spaniens und Argentiniens, Dänemarks, Rumäniens und Portugals erklärten, daß die Besprechung der deutschen Vorschläge zu gegebener Zeit stattfinden muffe. Die Fortsetzung der Aussprache wurde auf Donnerstag- oormittäg vertagt. Es fiel auf, daß der Vertreter von Ey ULtz o r an der Sitzung nicht teilnahm: wie man hort, ist sein« Abwesenheit darauf zurückzuführen, daß seine Re gierung nicht gegen Deutschland sprechen und stimmen will