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Zu Nr. 6. Das goldene Spinnrad. Am Waldessaume, auf stolzem Rosse, reitet der König. Miide und durstig von der Jagd kommt er zu einer einsamen Hütte und klopft an. Ein holdes Mägd« lein öffnet ihm und reicht ihm den Lahetrunk/ dann setzt sie sittsam sidi ans Spinnrad. Der König, bezaubert von ihrer Schönheit, entbrennt alsbald in Liebe und begehrt sie zum Weibe. Sie aber weist ihn an ihre Stiefmutter, die am nächsten Tage aus der Stadt zurückkehren soll. Am nächsten Morgen sprengt der König wieder zur Hütte,- auf sein Klopfen tritt eine häßliche Alte heraus/ er verlangt von ihr die Hand der Stieftochter, sie aber sudit ihn zu bereden, ihre eigne Tochter zum Weibe zu nehmen, die der Stief tochter aufs Haar gleidit. Er aber besteht auf seinem Verlangen nnd befiehlt ihr, die Stieftochter am nächsten Tage ins Schloß zu bringen. — Da reift in der Alten über Nacht ein tückischer Plan,- im Bunde mit der eigenen Tochter lockt sie, unter gleißenden Reden, das arglose Stiefkind hei Tagesgrauen in den Wald/ dort hauen sie ihrem Opfer Hände und Füße ab und stechen der Ärmsten die schönen Augen aus. — Sieben Tage dauert das Fest. Am achten nimmt der König Ab schied von seiner jungen Frau und zieht in den Kampf, indem er ihr aufträgt, während seiner Abwesenheit fleißig zu spinnen. Unterdessen findet ein wundertätiger Greis, ein mächtiger Zauberer, den verstümmelten Leichnam im Walde und sendet alsbald einen Knaben mit einem goldenen Spinnrad in die Burg, mit dem Aufträge, dasselbe nur „für zwei Füße" zu verkaufen. Die junge Königin, die das Wunderwerk um jeden Preis besitzen möchte, beauftragt ihre Mutter, nach dem Preise zu fragen. Erstaunt über die sonderbare Forderung des Knaben, läßt sie ihm schließlich die Füße der ermordeten Stieftochter ausfolgen. Eilends bringt der Knabe dieselben dem Greise. — In gleicher Weise gelangt der Greis, indem er den Knaben noch zweimal, und zwar mit der goldenen Spindel und der goldenen Kunkel, ins Sdiloß schickt, in den Besitz der Hände und Augen des ermordeten Mägdleins. Sodann mit Hilfe des „Lebenswassers" fügt er die fehlenden Glieder dem Leichnam der Ermordeten wieder an und nachdem er sie zu neuem Leben erweckt, verschwindet er. Nach drei Wochen kehrt der König siegreich aus dem Kampfe zurück,- die Königin zeigt ihm das erworbene Spinnrad. — Kaum aber beginnt sie zu spinnen, so verrät das Wunderrad schnurrend die grause Untat. Erbleidiend will sie die verräterische Spindel zur Ruhe bringen/ dodi der König läßt nicht ab, bis er alles erfahren hat. Eilends sprengt er in den Wald und findet nach langem Suchen die Totgeglaubte, mit der er siA in fröhlicher Hochzeit nun für ewig verbindet. Das „Lebenswasser", welches eigentlich das fließende Wasser im Sommer bedeutet, verleiht neues Leben jedem toten Körper, sobald derselbe darin eingetaucht wird. Die verübte Mordtat wird durch das Scnnurren der Spindel verraten,- in anderen Märchen tut dasselbe ein aus Weidenrohr ge» fertigte* Pfeifchen.