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Überschwangs. Diese Gegensätze wirken jedoch nicht trennend, sie werden zusam mengehalten und miteinander verwoben dureh das echte und starke Gefühl des Komponisten, der so stark von der Kraft des heimatlichen Volksliedes und Volks tanzes durchdrungen war, daß auch seine Musik für den Konzortsaal von der Größe und vom Reichtum, von der Schönheit und Naivität der tschechischen Volksmusik durchpulst wurde. Die Landschaften Böhmens und Mährens sind musikerfüllte Landschaften, ihre Menschen sind singende Menschen, und so ist auch Dvoraks Musik keine konstruierte, sondern eine singende, klingende Musik, überquellend von Melodien, kraftvoll, urwüchsig, leidenschaftlich,innig und zärtlich, nie jedoch sentimental. Klassische Formstrenge wechselt mit improvisatorischer Musizierfreude. Bedingt durch den lyrischen Grundklang verzichtet Dvorak auf ausgeprägte Solokadenzen. Der zweite Satz, ein strömender Gesang von volksliedhafter Einfachheit („Es ist, als stiegen alle thematischen Elemente aus dem tiefsten Wurzelboden der tschechi schen Volksmusikauf“ sagt Ottokar Sourek) schließt sich ohne Pause an den ersten an, in dem das innigsehnsüchtige Terzenthema der Sologeige unmittelbar den Weg zum Herzen der Hörer findet. Aber auch das zweite, echt slawisch klingende Thema wird man nicht vergessen können. Der Finalsatz erinnert im Charakter an den Furiant, einen mitreißenden tschechischen Nationaltanz. Ein kontrastierender Mittelteil — entfernt an die Dumka anklingend — orhöht die gelöste Freude dieser konzertanten- Musik, die auch ohne Überschriften und erklärende Hinweise ein klingendes Bekenntnis Dvoräks zu seiner Heimat darstellt, ein Dank an Landschaft, Menschen und Musik seines geliebten tschechischen Volkes, ohne die er seine Meister werke nicht hätte erfinden und niederschreiben können. Dimitri Schostakowitsch, 50 Jahre alt, beliebt, verehrt, angestaunt, aber auch geschmäht und angefoindot, so steht er vor uns: einer der ganz Großen im Orchester der Weltmusik. Seino Werke werden überall gespielt, in Frankreich wie in Amerika, in seiner Heimat, bei uns und in Italien; überall dort, wo Menschen wohnen, die durch diese Musik der menschlichen Aussage persönlich angesprochen werden. Das Menschliche in der Musik Schostakowitschs äußert sich nicht nur angenehm, geglättet und wohlklingend. Dem sowjetischen Meister geht es um die gesamte Aus drucks- und Empfindungsskala des menschlichen Lebens. Über allem steht die Wahrheit des Ausdrucks. Heroisches .Pathos ist in den Werken Schostakowitschs gleichermaßen vertreten wio versponnene Lyrik, und beide Ausdrucksbereiche wer den in einer unvergleichlich persönlichen Weise miteinander verwoben. Klänge zartester Verhaltenheit wechseln mit wilden, barbarischen Ausbrüchen, die durch ihren vulkanischen Atem den Hörer leicht erschrecken. Die unermeßliche Weite des russischen Landes schwingt in dieser Musik mit, das bohrende Grübeln eines Dostojewski, der ironische Humor eines Gogol und nicht zuletzt die kämpferische Unerbittlichkeit eines Gorki. In einzelnen Sätzen der Sinfonien Schostakowitschs glauben wir das satirische Gelächter eines Zweiflers zu hören, in anderen Musiken begegnet uns der Geist polyphoner Strenge und die architektonische Ordnung eines Johann Sebastian Bach, den Schostakowitsch vor allen alten Meistern liebt und den er so großartig zu spielen vorsteht.