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mischen sich in ergreifender und oft herrischer Weise mit den Motiven des Trostes. Seine ganze reiche und tiefe Seele öffnet der Meister und scheint zum Schluß in Tränen zu lächeln wie ein großes Kind, das der unschuldigen Harmonie seiner Seele gewiß ist. Den krönenden Abschluß des Abends bildet Johannes Brahms' eindrucksmächtige Kampf symphonie Nr. 1 in C-Moll op. 68. Man hat Brahms den einzigen symphonischen Nach folger Beethovens genannt und gewiß hat er sich in ernstem unermüdlichem Studium Beethovens bemächtigt, dem er sich ja auch oft genug in der Konzentration des Ausdrucks nähert, ohne ihn freilich in der Größe der Architektur su erreichen. Brahms hat die Elemente der Klassik ln sich aufgenommen und beherrscht ihre Formen souverän, aber die weiche Traumhaftigkeit seiner Melodik, die fließende Harmonik und die Wärme seiner oft dunklen Orchesterfarben beweisen doch seine stille Liebe zur Romantik. Lange Jahre hat er gerungen, ehe er sich als Dreiundvierzigjähriger mit seiner ersten Symphonie, die zu gleich seine beste Ist, neben Beethoven zu stellen wagte. 1876 ln Karlsruhe uraufgeführt, ist sie in Charakter und Ideengang Beethovens Fünfter verwandt, deren Tonart der Meister auch gewählt hat. Ihr heldischer Charakter, der aus Kämpfen und Prüfungen zu Klarheit und Freiheit führt, ihr großer Stil und ihr hohes ethisches Pathos haben Hans von Bülow so begeistert, daß er sie etwas übertreibend die »Zehnte Beethoven’sche Symphonie“ nannte. Auch darin gleicht sie der Fünften, daß sich ein Hauptmotiv durch alle Sätze zieht, das als musikalisch-geistige Qrundsubstanz die innere Einheit des Werkes verbürgt. Nach einer Einleitung voll verhaltener Leidenschaft stimmen die Geigen über dröhnenden Bässen das chromatsche Schicksalsmotiv an, das den Ersten Satz (Un poco sostenuto — Allegro) ganz beherrscht und auch in die folgenden Sätze bedeutsam hineinragt als heimlich-unheimlicher cantus firmus. Nach der Einleitung waltet im Allegro als erstes Thema ein Motiv, das sich in verzweifelter Kampfesstimmung auf Dreiklangsstufen emporreißt und nur schwer von den quälenden Halbtönen des Schicksalsmotivs loskommt, ln wunderschönem Über gang zum zweiten Thema drängt sich eine rührend bittende Weise in der Oboe hervor, der sich Klarinette und Horn beigesellen, aber dann hebt in der Durchführung erst recht der Kampf dämonischer Mächte des Inneren an, der zweimal bedeutsam von großen Plano stellen unterbrochen wird, deren gläubiges Atemschöpfen aber nur zu neuen Ausbrüchen führt. Die Menschenseele vermag die selbstgeschaffenen Fesseln nicht abzuwerfen. Zuletzt klingt der Sturm mit der Wehmutsklage des chromatischen Motivs ab, der sich aber denn- noch ein Hoffnungsschimmer beigesellt. Im Zweiten Satz (Andante sostenuto) will Friede und Freude werden, aber nur schwer sind zunächst noch die dämonischen Elemente des nachklingenden ersten Satzes abzuwehren. Oboe und Sologeige verstärken dann die zuver sichtlich tröstende Stimmung, in die noch verklärter Schmerz hineinklingt; immer leiser und frömmer werden die Harmonien und endlich sinkt erlösende Stille herab. Der Dritte Satz (Allegretto) gleicht der ersten heiteren Stunde nach schwerem Erleben. Die Seele verweilt träumerisch auf Bildern der Erinnerung; aber sie spinnt sich ein in allerlei süße Heimlichkeiten, denen die Schatten des chromatischen Motivs nichts mehr anhaben können und die in der köstlichen Reigenmelodie mit ihrem graziösen Wechselspiel zwischen Holz bläsern und Geigen einen rührenden naturhaft einfachen Ausdruck finden. Der Vierte Satz (Adagio - Piu Andante - Allegro non troppo) fällt zuerst in die leidenschaftlich trübe Stimmung des ersten zurück; aber es ist schon Resignation und Müdigkeit in ihr. In dunklen Kreisen irren die Halbtöne des Schicksalsmotivs vorüber; noch einmal bäumt sich Aufregung empor. Dazwischen regen sich in Geigen und Bratschen Ansätze zur Freude, bis wie ein Himmelsbote mit beschwörender Stimme ein starkes, schlichtes, beglückend volkstümliches Hornmotiv eintritt, dem das Orchester zunächst zögernd folgt, bis sich endlich der abermals vom Horn angestimmte und von den Streichern aufgenommene Freuden hymnus durchsetzt, der allzu oft mit dem der Neunten Symphonie verglichen worden ist. Wo auch das quälende Halbmotiv noch aufkommen möchte, da wird es sieghaft nieder gerungen, und im dithyrambischen Jubel und der edlen Leidenschaft einer kampfgeadelten Freude stürmt der Satz zu seinem glanzvollen Ende. Wer der Welt ein solches Werk geschenkt, der sollte wahrlich dem Streit der Parteien, der noch immer um den Namen Brahms ist, entrückt sein. EMU. MÜHL, BAYREUTH