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Einführung in die Werke des Programms von Richard Reinhardt Die Vortragsfolge bringt drei der gehaltvollsten und schönsten Orchesterwerke großer deutscher Meister: Webers Euryanthe-Ouvertüre, Schuberts »Unvollendete“ und die Große C-moll Symphonie Nr. 1 von Brahms. Von klassischem Geist und Formwollen befruchtete und geadelte deutsche Romantik gibt damit dem Programm seine innere Einheit. Karl Maria von Weber hat in seiner Oper »Euryanthe" nicht nur seine bedeutendste Musik geschaffen, sondern darüber hinaus mit ihr den musikdramatischen Stil begründet, dessen Vollendung Richard Wagner Vorbehalten war. Wagner war sich dieser Bedeutung der Euryanthe - Musik, die er »eine Kette glänzender Juwelen vom Anfang bis zum Schluß“ nannte, für sein eigenes Schaffen vollauf bewußt und es ist unverkennbar, daß sein »Lohengrin“ die Erfüllung dessen bedeutete, was Weber in seiner »Euryanthe“ gewollt. Gerade mit seinen Ouvertüren, die eigentlich symphonische Dichtungen sind, hat Weber in klarer Verbundenheit mit der Klassik die musikalische Romantik begründet, in welcher zum Gedankenreichtum und zur Formenschönheit der Klassik das edle deutsche Schwärmen und die weichen, oft dunklen Orchesterfarben treten. All das wird besonders deutlich an dem genialen Wurf der Euryanthe-Ouvertüre offenbar. Dieses ungemein glänzende und schwungvolle Orchesterstück, das die Grundstimmungen eines tragischen Liebesgeschehens zum inneren Vorwurf hat, weist zwar die innere Struktur der klassischen Sonate aut, ist aber durch ein eingefügtes kurzes Largo dramatisch gegliedert. Sie beginnt mit dem freudigen Jubel eines ritterlichen Festes am Königshof, mündet mit dem zweiten Thema, das von süßen Geigen, begleitet von einem Streichquartett, vorgetragen wird, in Adolars Liebeslied: »O Seligkeit, ich faß dich kaum“, dessen ritterlichen Hintergrund kämpferische Marschrhythmen bilden, kündet dann mit dem unheimlichen pp-Thema der Celli und Bässe, das sich mit den übrigen Orchesterstimmen zum dämonischen Fugato fortbildet, nahendes Unheil, läßt aber den unterirdischen Stimmen nicht lange das Wort, denn der Held glaubt an Leben und Liebe, verscheucht die Gespenster und kehrt zum Glanz und Jubel des Festes zurück, mit dem das wundervolle Werk anhob. Von Franz Schuberts acht Symphonien haben nur zwei die Würde der Unsterblichkeit er langt, die C-Dur und die „Unvollendete 1 *. Gewiß steht auch Schubert mit seinen sympho nischen Werken auf den Schultern der klassischen Großmeister, aber ihm eignet ein anderer innerer Stil als etwa dem willenstarken Gestalter Beethoven, bei dem es um kämpferische Auseinandersetzungen geht. Schubert ist auch als Symphoniker wie als Liedschöpfer der kindliche Träumer und das tiefe empfindsame Gemüt, das gerne und ausschöpfend bei seinen Gefühlen verweilt. Die »Unvollendete“ ist wirklich ein Fragment und nicht etwa, wie man wohl auch gemeint hat, eine von vomeherein zweisätzig gedachte Symphonie. 1822 geschrieben, wurde sie erst 1865 neu entdeckt und uraufgeführt, weil sie ein eifer süchtiger Freund der Öffentlichkeit vorenthalten hatte. Sie ist zweifellos sein bestes symphonisches Werk und enthüllt in ergreifenden Melodien und Harmonien den schwer mütigen, leidenden, sehnsüchtigen Schubert. Den musikalischen Gedankenstoff des ersten Satzes bilden vier Themen, einleitend eine dunkle Schwermutsmelodie der Celli und Bässe, dann ein von wogenden Geigensechzehnteln getragenes Sehnsuchtsmotiv der Klarinetten und Oboen, gefolgt von einer zweiten Trauerweise bis endlich, zuerst von den Celli vorgetragen, eine von süßer Wehmut durchwebte Melodie voll unbeschreiblichen Wohlklangs, die »be rühmteste der Welt“, sich eine zeitlang in den Vordergrund schiebt, die fast zu schön ist, um die in der Durchführung drohende Gewalt der Gemütsausbrüche, ihre Klagen und die dunklen Schatten zu rechtfertigen, mit denen der Satz zu verhallen scheint, ehe er sich noch einmal zu heftigen ff-Akkorden aufbäumt, die aber dann doch in sich zusammensinken. Wie himmlischer Balsam legt es sich dann im zweiten Satz mit seinem rührendem und fast kindlichem Melos auf die wunde Seele. Eine sanfte Hand scheint über das heiße Haupt des Leidenden zu streichen. Sei getrost und glaube, will eine gütige Stimme sprechen; aber noch sind nicht alle Fragen des beschwerten Gemütes zum Schweigen gebracht, sie