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Haydn und seine „Jahreszeiten“ Es war ein glücklicher Gedanke der Dresdner Philharmonie, Haydns Volks oratorium „Die Jahreszeiten“ im vergangenen Jahre für eine Aufführung im Freien auszuwählen, denn wie kaum ein anderes Werk der Oratorienliteratur gehören die „Jahreszeiten“ in die Natur, sind selbst ein StüokNatur, ein Stück musikgewordene Landschaft. In der bürgerlichen Musik-Geschichtsschreibung wurde Haydn oft einseitig als ge mütvoller „Papa Haydn“ bezeichnet. Das war jedoch ein entstellendes, ein falsches Bild: denn Haydn gehörte, wie auch Mozart, dem Freimaurertum an, das damals „in Deutschland und Österreich eine ausgesprochen politische, antifeudal-auf geklärte Gruppe von Gebildeten, eine Art fortschrittlichen Intellektuellen-Ordens, war“ (E. H. Meyer). Im Uraufführungsjahre der „Jahreszeiten“ war es immer wie der der fast siebzigjährige Haydn, der durch seine musikalischen Aufführungen Mittel zur Pflege und Unterstützung der im Kriege Verwundeten bereitstellte, und in einem Bericht der damaligen Zeit lesen wir darüber: „Die Musik scheint bestimmt .zu sein, alle Sammlungen zu guten Werken zu fördern und verfehlte auch diesmal den Zweck keineswegs. Haydn dirigierte selbst mit jugendlichem Feuer“. Die „Jahreszeiten“ errangen einen enthusiastischen Erfolg. Ihre Melodien wurden bald im ganzen Volk gesungen. Das ist verständlich; denn Haydn besingt in diesem Volksoratorium nicht nur die Jahreszeiten, die Wunder der Natur, sondern auch den arbeitenden Menschen. Ein schönes Beispiel bietet die Arie: „Schon eilet froh der Ackersmann zur Arbeit auf das Feld“. Haydn besaß ein echtes Verhältnis' zum ein fachen, arbeitenden. Menschen, und seine eigenen Worte sagen uns darüber genug aus: „Ich bin mit Kaisern, Königen und vielen großen Herren umgegangen und habe manches Schmeichelhafte von ihnen gehört, aber auf einem vertraulichen Fuß will ich mit solchen Personen nicht leben, ich halte mich lieber zu Leuten von meinem Stande!“ Die Arien und Chöre der „Jahreszeiten“ sind ohne das Volkslied nicht denkbar und diese Verbundenheit vieler Meister mit dem Volkslied, entgegen dem Druck der herrschenden Klasse, war (nach Meyer) „ein wesentlicher musikalischer Ausdruck ihrer sozial-positiven fortschrittlichen Haltung“. Gottfried Schmiedel