Volltext Seite (XML)
„Es ist ein neuer Beweis für den Reichtum des Empfindens und Formens, daß die fünfte und siebente Sinfonie trotz der Verschiedenheit ihrer Charaktere dem gleichen Boden zu entstammen scheinen. Wir sahen schon in dem ersten und dritten Satz der fünften Sinfonie, namentlich aber in deren erstem, welche Bedeutung dem Rhythmus zukam, derart, daß die Musik oftmals nur noch Rhythmus zu sein schien, und zwar ein ganz bestimmter, einmaliger. Es war, als wenn die Welt in diesem Rhythmus hinge. Solch einmaliger gleichbleibender Rhythmus liegt im Wesen des Tanzes, im Wesen der Suite als eines Kreises von Tänzen. Es ist, rhythmisch gesehen, der große Unter schied der Sinfonie, daß sie den einmaligen Rhythmus verabschiedet und an seine Stelle mehrere Rhythmen einander gegenüberstellt und nur den Ausgleich zwischen diesen ver schiedenen Rhythmen erstrebt. Gerade in dieser großen und schweren Kunst rhyth mischen Ausgleichs hat Beethoven es vielfach zu einer Vollendung gebracht, die nicht mehr erreicht worden ist. Vielleicht hat er nicht in Einzelheiten den feinen Sinn für Rhythmus gehabt, den etwa Bach hatte, der auch in diesem Punkt unübertroffen zu sein scheint, das rhythmische Gliedern großer Strecken aber und die Herstellung ihres taktischen Gleichmaßes, die Vermeidung der Eintönigkeit durch Gegensätze und das Erwirken des Gleichgewichts dieser Gegensätze hat niemand so wieder gekonnt wie Beethoven.“ Sätze aus dem feinsinnigen Beethoven-Buch Walther Krugs. Sie weisen uns den Weg zur siebenten Sinfonie. Auf unserm Weg durch das Bcethovensche Schallen lernen wir Beethoven, den Rhythmiker, kennen. Wie sehr diese Sinfonie ganz auf den Rhythmus gestellt ist, zeigt uns gleich der erste Satz. Er beginnt — nach der langsamen Einleitung — nicht mit einem Thema, sondern mit einem Rhythmus. In vier Takten wird er festgestellt. Dann erst setzt in den Flöten das Hauptthema ein, im Piano, später bringen es die Streicher im Fortissimo. Dieses federnde Thema beherrscht den ganzen Satz, auch das zweite Thema steht in seinem Bann, es ist im Grunde nichts Neues. Auch die Durchführung wird von dem Rhythmus des Hauptthemas beherrscht, und so ist der ganze Satz ein einziger Rausch von Glück und Freude. Gelegentlich huschen Schatten vorbei. So im Überleitungsthcma, so in der Koda, wo zu den lichten Figuren der Violinen und dem Orgelpunkt-E der Bläser in den tiefen Streichern ein drohend schleichender Basso ostinato ertönt. Um so hinreißender, um so feuriger und freudiger ist dann der Aufschwung, den der Satz schließlich wieder mit dem Hauptrhythmus nimmt. Auch der zweite Satz ist von einem mehr rhythmischen als eigentlich melodischen Thema beherrscht. Es ist der Rhythmus eines Trauermarsches. Er bestimmt den Hauptteil, in dem Bratsche und Cello und dann die zweiten Geigen leise vor sich hin zuweisen scheinen, er ist aber auch in dem das Bild etwas aufhellenden Mittelteil durch das eigensinnig dumpfe Pochen der Bässe weiterhin wirksam. Das Scherzo, Nachkomme des Menuetts, ist erst recht — wie aller Tanz — vom Rhythmus bestimmt. Ein wilder Tanz von Naturgeistern, von Kobolden und Käuzen. Sehr stark gegensätzlich das Trio, das Beethoven einem alten österreichischen Wall fahrergesang nachgebildet haben soll. Das ist ein Brucknerischer Gedanken in der Beet- hovenschen Sinfonie. Sein fester Rhythmus ordnet ihn der Gesamtidee unter. Der vierte Satz endlich ist ein bacchantisches Rasen, ein orgiastisches Sichauslebcn. Ungebändigt lebt der Rhythumus sich aus. Die melodische, die harmonische Substanz ist völlig nebensächlich. Sie ist von einer fast primitiven Einfachheit. Beethoven ist unersättlich in unveränderten Wiederholungen. So werden seine Gedanken noch ein facher. Wichtig ist nur die Veränderung des Rhythmus. Der flutende des Hauptthemas wird bald zum punktierten des zweiten Themas, das wieder marschähnlich klingt. Aber