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enthüllenden, zukünftigen Genies. Es sind die Augen des göttlichen Bambino der Heiligen Familie von Botticelli, diese Augen eines Kindes, in denen man die kommende Tragödie schon liest.“ Die 1. Sinfonie steht noch in der Nähe Haydns, vor allem im zweiten und vierten Satz. Aber Neues ist schon zu spüren, denn hinter Beethovens Per sönlichkeit werden die Ideen der Französischen Revolution sichtbar. Und diese Ideen formen auch den Inhalt der Musik. Für Beethoven bedeutet die Er weiterung der sinfonischen Form eine innere Notwendigkeit. Er zerstört jedoch die überlieferten Formen nicht, er erweitert und durchdringt sie von innen her! Ob Haydn diese 1. Sinfonie seines Schülers wohl verstanden hätte? Gewiß nicht, denn wer hätte vor Beethoven wagen dürfen, eine Sinfonie in C-Dur nicht in C-Dur beginnen zu lassen? Und der zweite Satz, hätte er nicht besser in der Tonart der Dominante stehen müssen? Beethoven schrieb ihn in der Subdominante, also in F-Dur. Auch der dritte Satz war kein Menuett mehr wenngleich der Name noch darüber stand, sondern ein Scherzo. Warum? Otto Daube erklärt es damit, daß „der Sturm der Revolution ja längst zwischen die Perücken und den Puder des Menuettzeitalters gefahren war, und daß mit dem von der Grazie des Rokoko erfüllten Lebensgefühles auch das Menuett als Ausdruck der Lebensfreude fallen und einem neuen, freieren Raum geben mußte.“ Berlioz nennt dieses „Scherzo-Menuett“ das „Erstgeborene“ aus jener Familie neckischer Spiele, für welche Beethoven die Form erfunden und das Tempo bestimmt hat, sie vertreten in fast allen seinen Instrumentalwerken die Stelle des bei Haydn und Mozart üblichen Menuetts, welches ein doppelt so lang sames Tempo und einen ganz verschiedenen Charakter besitzt. Mit der 2. Sinfonie tritt uns — ganz ähnlich wie in der ersten — eine Welt des Lichten, Heiteren und Optimistischen entgegen. Begonnen 1802, wurde sie am 5. April 1803 zum erstenmal aufgeführt. Neu und kühn beginnt das Werk mit einer außergewöhnlich langen Einleitung, einem wahrhaften „Meister werk“, wie sie Berlioz nannte. Liedhaft und singend wölben sich die Themen, weit ausschwingend im langsamen Satz, stets jedoch konzentriert und be wußt geformt. So heiter gelöst, einfach und leicht uns die Sinfonie auch er scheint, Beethoven hat intensiv an ihrer Gestaltung gearbeitet. Wir kennen eine Vielzahl von Skizzen, den letzten Satz soll der Meister sogar dreimal in Partitur niedergeschrieben haben! Fand die 1. Sinfonie noch eine „freundliche Aufnahme“, so waren die Stim men nach der Uraufführung der „Zweiten“ wesentlich geteilter. Die „Leip ziger Allgemeine Musikalische Zeitung“ glaubte feststellen zu müssen, daß der allzu häufige Gebrauch aller Blasinstrumente die Wirkung vieler schöner Stellen verhindere. Das Finale erschien dem Rezensenten bizarr, wild und grell. Der Schriftsteller und Liederkomponist Spazier schlug die Pauke noch heftiger und meinte: „Ein krasses Ungeheuer, ein angestochener, unbändig