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1. Richard Wagner Tristan und Isolde Vorspiel und Schluß, a) Vorspiel (Liebestod). Tristan führt als Brautwerber Isolde seinem Könige und Oheim zu. Beide lieben sich. Von der schüchternsten Klage des unstillbaren Verlangens, vom zartesten Erbeben bis zum furchtbaren Ausbruch des Bekenntnisses hoffnungsloser Liebe durchschreitet die Empfindung alle Phasen des sieglosen Kampfes gegen die innere Glut, bis sie, ohnmächtig in sich zurücksinkend, wie im Tode zu verlöschen scheint. b) Schlußsatz (Verklärung). Doch, was das Schicksal für das Leben trennte, lebt nun verklärt im Tode auf; die Pforte der Vereinigung ist geöffnet. Über Tristans Leiche gewahrt die sterbende Isolde die seligste Erfüllung des glühenden Sehnens, ewige Vereinigung in ungemessenen Räumen, ohne Schranken, ohne Banden, unzertrennbar!“ Rieh. Wagner, Sämtl. Schriften Bd. XII. 2. Richard Strauß Tod und Verklärung, Tondichtung Die letzten Kämpfe und Visionen eines Sterbenden und seine Erlösung und Verklärung durch den Tod bilden den Vor wurf des Tondichters. Zwanglos verbinden sich die gemeinten dichterischen Vorstellungen mit dem rein musikalischen Entwicklungs gang, so daß sich eine bei Programm-Musik nicht immer erzielte besondere Geschlossenheit der Wirkung ergibt. In der langsamen Einleitung (Largo C-Moll 4 /i) pocht in stockenden leisen Triolen die Totenuhr, schmerzhaft verkrampfen sich Harmonien, liebliche Violin- und Holzbläsersoli wirken wie mattes Lächeln wehmütiger Erinnerung. Plötzlich rast mit zerschmetternder Wucht der schnelle Hauptsatz los: der Todeskampf beginnt. Aber in sein Toben klingt alsbald machtvoll ein feierliches weitgeschwungenes Akkordthema als Symbol des Ideals und der Erlösung. Visionär zieht darauf vor dem Auge des Sterbenden das Bild seines Lebens vorüber: „der Kindheit Morgenrot“ in rührenden Holzbläsermelodien, dann kräftiger sich regend „des Jünglings keckes Spiel“, endlich in kühn ge schwungenem vollsaftigem Orchesterklang das Abbild gereifter Männlichkeit, dem mit drohenden, gleichsam Halt gebietenden Posaunen rufen freilich auch die Erinnerung an furchtbare Widerstände nicht fehlt. Stolzer als zuvor schwingt sich schließlich das feierliche Erlösungsthema auf, doch plötzlich bricht der wilde Todeskampf wieder los und führt nach kurzer Qual zur Auflösung: das Tamtam klingt wie eine Totenglocke. Der morsche Leib ist gebrochen. Aber die Harmonien lichten sich zu abgeklärtem C-Dur und in breiter Feierlichkeit strömt nun mit wachsendem Glanze das Erlösungsthema hin, dem keine feindliche Macht mehr in den Weg treten kann und das nach gewaltiger Steigerung sich schließlich in leiser Verklärung entschwebend verliert. 3. Gustav Mahler Das Lied von der Erde £ $> eAX/v Eigentlich ein Liederzyklus für Orchester, wird dieses Werk von seinem Schöpfer doch „Sinfonie“ genannt, weil es im geschlossenen Aufbau und in der Einheit der thematischen Entwicklung dieser Form nahe kommt. Ein Urmotiv, auf den Tönen a g c beruhend und in allen nur denkbaren Abwandlungen gebracht, ergibt das einigende thematische Band, Optimismus und Pessimismus der Stimmungen sind die entsprechend gegeneinander abgetönten sinfonischen Gegensätze. Die Texte stammen in der Hauptsache von Li-Tai-Po, dem bedeutendsten Lyriker der Chinesen, der im 8. Jahrhundert nach Christus lebte und 1000 Jahre später durch eine feinsinnige Übersetzung von Hans Bethge der deutschen Literatur zugeführt wurde. 1. Das Trinklied vom Jammer der Erde (Nach Li-Tai-Po, 702—763) Schon winkt der Wein im gold’nen Pokale, Doch trinkt noch nicht, erst sing’ ich euch ein Lied! Das Lied vom Kummer soll auflachend in die Seele euch klingen. Wenn der Kummer naht, liegen wüst die Gärten der Seele, Welkt hin und stirbt die Freude, der Gesang. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Herr dieses Hauses! Dein Keller birgt die Fülle des goldenen Weins! Hier, diese Laute nenn’ ich mein! Die Laute schlagen und die Gläser leeren, Das sind die Dinge, die zusammen passen. Ein voller Becher Weins zur rechten Zeit Ist mehr wert als alle Reiche dieser Erde! Dunkel ist das Leben, ist der Tod! Das Firmament blaut ewig und die Erde Wird lange fest steh’n und aufblüh’n im Lenz. Du aber, Mensch, wie lange lebst denn du? Nicht hundert Jahre darfst du dich ergötzen An all dem morschen Tande dieser Erde! Seht dort hinab! Im Mondschein auf den Gräbern Hockt eine wild-gespenstische Gestalt — Ein Aff’ ist’s! Hört ihr, wie sein Heulen Hinausgellt in den süßen Duft des Lebens! Jetzt nehmt den Wein! Jetzt ist es Zeit, Genossen! Leert eure gold’nen Becher zu Grund! Dunkel ist das Leben, ist der Tod! Eine Mischung von Bitterkeit, Ironie und Ekstase. Das Kolorit des als Allegro pesante gegebenen Satzes wird durch Streicherpizzikati, gedämpfte Trompetenklänge und einen zitternden hohen Celloton düster eingestellt. Ein trotziges Hornmotiv setzt sich als lebensbejahendes Moment durch. 2. Der Einsame im Herbst (Nach Tschang-Tsl, um 800) Herbstnebel wallen bläulich überm See; Vom Reif bezogen stehen alle Gräser; Man meint, ein Künstler habe Staub von Jade Über die feinen Blüten ausgestreut. Der süße Duft der Blumen ist verflogen; Ein kalter Wind beugt ihre Stengel nieder, Bald werden die verwelkten gold’nen Blätter Der Lotosblüten auf dem Wasser zieh’n. Mein Herz ist müde. Meine kleine Lampe Erlosch mit Knistern, es gemahnt mich an den Schlaf. Ich komm’ zu dir, traute Ruhestätte! Ja, gib mir Ruh’, ich hab’ Erquickung not! Ich weine viel in meinen Einsamkeiten. Der Herbst in meinem Herzen währt zu lange. Sonne der Liebe willst du nie mehr scheinen, Um meine bittern Tränen mild aufzutrocknen? „Etwas schleichend ermüdet“, in einer Art Rondoform gehalten mit einigen Orgelpunkten, ist das Stück klangverkörperter Melancholie. Gedämpfte Geigen, eine wehmütige Oboe und die dunkle Altstimme bestimmen die trübe Vergänglichkeitsstimmung, die sich nur im Schluß vorübergehend zu einem leidenschaftlichen Aufschwung aufrafft.