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2. Beilage z« Nr. 233 des IüUMllls Dienstag, 7. Oktober 1913 t» » w 0 > Ä. r »». I G. Ä. Besserung, 'kü _. ... A »0 " ö G- während in 30 von 100 Füllen fest rs.» Ao. v erzielt, in 30 Fällen M sehr günstige Heilerfolge ) ) B ) » stellbare Erfolge ausblieben. Die Kur erfordert sechs Wochen, während deren sechsmal in der Woche, also täglich, mit einem Tag Pause wöchentlich, das Wasser getrunken wird. In hartnäckigeren Fällen wird eS not wendig, die Kur zu wiederholen. — Von besonderem Interesse ist der Jahresbericht über die bei der Krebs behandlung erzielten Erfolge. Um ihre Bedeutung richtig einzuschätzen, must hervorgehoben werden, daß die Gelehrten des Institutes in der Bewertung der erreichten Heilerfolge mit sehr großer wissenschaftlicher Vorsicht vorgehen, was sich schon daraus ergibt, daß sie in allen Fällen nur von „anscheinenden Heilungen" sprechen, weil sie den Beweis für die Endgültigkeit der erzielten Er folge erst nach einer Frist von zehn Jahren als erbracht ansehen wollen. Trotz dieser Skepsis mehren sich die Berichte, die von einem vollständigen Verschwinden der Krebsgeschwülste nach Nadiumbehandlung zeugen. Ein besonders interessanter Fall betraf eine Frau, die an Schlüsselbeinkrebs litt. Die Chirurgen wiesen darauf hin, daß nur eine operative Entfernung des ganzen Armes und der Schulter Besserung verheißen könne, also eine Operation, die eine Sterblichkeitsrate von 30 Proz. aufweist. Tie Patientin unterzog fich nun der Radium behandlung; eine Tube mit 100 Milligramm Radium wurde zweimal je zwölf Stunden lang bei der Geschwulst angewandt. Nach einem Monat waren alle Symptome des Wachstums verschwunden, und jetzt, nach sechs Monaten, fehlen noch die Anzeichen eines Rückfalles. Und die- ist ein Beispiel für viele ähnliche. — AuS Berlin meldet man unS: Gestern nach mittag traten die Teilnehmer des in Berlin stattfindenden Ersten Kongresses für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft in der Aula der Universität zu sammen. Der von deutscher Seite ergangene» Einladung war eine große Zahl von Gelehrten aller Fakultäten aller europäischen Kulturstaaten gefolgt. Mit dem Rektor, Grafen Baudissin an der ' Spitze, fanden sich fast alle Universitätslehrer zur Be grüßung ein. Für die Stadt Berlin war Bürgermeister Reicke erschienen. Die Reihe der Ansprachen wurde von Prof. Dessoir eröffnet. ES folgten Ausführungen des Rektors, de- Ministerialdirektors Schmidt für das Unterrichtsministerium und folche auswärtiger Pro fessoren. — AuS Assisi wird berichtet: In diesen Tagen hat Eorrado Ricei in Anwesenheit der Provinzbehörden und »727 L0.7i «r- U.7i v.« U.00 171» UH> a.üO IN an 18« »N >4 re n« UN N.7i «Li ».oo v.oo »'or n.« un w.7i »,7i 18,78 >7.« W.0» 1,7» NN NN NN »N NN »N an an vn »n , .0 ,n »n in > Ä 1 > > B. >. i » , A K. j G. Ä. G. Ä. B. iS G. r«. s. löst Petri-Ouartett. (Erster Abend.) Haydn- Mozart—Beethoven — das war der rechte Anfang! Eine herrliche Steigerung der Eindrücke ergab sich von selbst, und wir meinen, der Saal hätte noch besser besetzt sein können, als er eS war. Haydn sprach zu uuS mit einem O-ckur-Quartett op. 17 <Rr. 5), das mit einer Überraschung aufwartete. Nach einem beschaulichen ersten Satz und einem sinnigen Menuett vernahmen wir die auffallend ernsten Klänge eine- Adagio, daS in seinem weiheerfülllen, von ausdrucksvollen Rezitativen unter brochenen Gesang der Eolovioline schon den Geist Beethovens voran-zuahnen scheint. Dann folgte Mozart, und man begrüßte mit Freuden, daß man einmal daS La^lur-Quartett spielte, daS seine besonderen Schätze in dem an kühner Harmonik reichen langsamen Satz und in dem alle Geister Mozartscher Grazie und Anmut ent fesselnden Menuett offenbart. Vielleicht, daß man sich für die nächste Konzertzeit auch wieder einmal de-^-ckur- Quartett» erinnert, dessen köstliche Variationen im Mittelfatz al» Vorläufer der Variationen in HaydnS Kaiser- und Beethoven- Ä.-ckur-Quartett (op. 18) anzu sprechen sind. Der letztere Meister sprach mit dem sechsten o». o s » o s. s der op. 18-Quartette, dem in v, das Schlußwort, und eine Steigerung der Eindrücke ergab sich so schon kunst- geschichtlich von selbst, insofern, als hier znm erstenmal die Geister der Romantik sich regen. In sprühende Lustig- keit tönen die grüblerischen Klänge der „Malinconia" wie aus einer neuen Welt hinein. Weltschmerz kannte der reine Klassizismus nicht. Für die Wiedergabe der Werke gibt eS nur Worte de» höchsten Lobes, und Hr. Unkenstein-Leipzig fügte fich dem Ensemble als neuer Bratschist bestens ein. O. S. Wifftnschast und Kunst. Giuseppe vervi. Zu seinem 100. Geburt-tag, 8. Oktober. Bon vr. Adolf Weißmann. Man mag Erinnerungsfeiern belächeln. Wir)können unS in der Tat nichts Groteskeres denken, al» den Wettstreit der Wcltgrößen nm da» Gedächtni» der Menschen. Aber eS hieße den tiefen Sinn zugleich mit dem Unsinn au»merzen, wollten wir nun diese» mensch lich begründete Etappenbilden einfach au» der Welt schaffen. Wer auf höherer Warte steht, soll die Größe vor daS Tribunal de- Zeitgeistes führen, von ihm aus prüfen, ob überlieferte- sich halten läßt; was steht und was abgebröckelt ist. Diese» Gericht ist grausam, aber nötig. Im Kamps umS Dasein der großen Toten im Gedächtni- der Menschen bleibt nur da- Zukunfts- trächtige. Und das soll auch nur gefeiert werden. Fragen wir uns, warum unS Verdi, den eS heute zu feiern gilt, jetzt mehr ist, als je zuvor, fo gibt eS daraus nur eine Antwort: die Sehnsucht nach dem Eigentlichsten, nach der Quelle der Musik, treibt unS zu ihm. Solange wir noch dem Wahn nachjagten, Wort und Ton der Oper könnten zu einer unlösbaren Ein heit verschmelzen, wurde Verdi von Wagner so sehr be schattet, daß für feine gerechte Würdigung kein Naum blieb. Erst nachdem das Wagnerprinzip als stilbildend dank den Bemühungen seiner Nachbeter Schiffbruch ge- litten hatte, konnte sich der Blick für Verdi klären. Verdi mußte schon darum so lange mißverstanden, seine Wertung mußte schon darum von tausend Wenn und Aber durchkreuzt werden, weil hier scharsumrissenes Volkstum eine Scheidewand aufrichtete, die nur liebe- und verständnisvolles Nacheuipfinden beiseite schieben konnte. Die Bedingungen, unter denen ein fremd- nationaler Wert zu einem internationalen wird, waren im ersten Verdi nicht gegeben. Nicht nur, daß der Drama tiker tastend kaum an wenigen Punkten feiner Früh- werke die eingeborene Kraft aufleuchten ließ; auch der Stoff seiner ersten Opern, vom „Oberto, conte di S. Bonifacio" über „Nabucco" zu den „Lombardi" konnte nur den Italiener, der in Ketten seufzte, fesseln und begeistern. Man ahnte in ihm den Freiheits komponisten, man jubelte ihm zu. Man schöpfte aus seinem Werk die tröstliche Zuversicht, daß, wie Rossini, Bellini, Donizetti, so auch dieser junge Verdi Italien in der Welt Sympathien werben werde. Und schon „Ernani", die Oper des Jahres 1844, beginnt den Flug durch die Welt. Auch sie ist, obwohl mit einem Victor Hugoschen Text behaftet, aus italienischer Freiheitssehnsucht ge boren. Aber unmöglich ists, sich der Kraft dieser Chöre, der Ursprünglichkeit einzelner Nummern zu verschließen. Gab es nicht Fürsprecher italienischer Melodien genug? Man war es ja gewöhnt, von den Italienern die Gaben musikalischer Schönheit entgegenzunehmeu. Man hörte in der ganzen Welt die italienischen Sänger und Sängerinnen. Man hatte ihnen Tempel gebaut, wie im Pariser TheLtre Italien, im bescheideneren König- städt,scheu Theater zu Berlin. Kein Weber, kein Marschner konnte den Italienern ihre schmeichelnde-Über- redungskraft rauben. Aber Verdi vermochte noch lange nicht seine italieni schen Vorgänger aus dem Herzen der musikalischen Welt zu verdrängen. Sein Weg führte ihn von nationaler Beschränkung zur höchsten Menschlichkeit. Auf der Straßs zu dieser Höhe sehen wir ihn wiederholt zusammen brechen, uin dann mit erneuter und gesammelter Kraft einen Gipfel zu erklimmen. Fast legendär mutet uns diese Fruchtbarkeit an, die in den vierziger Jahren zu den peinlichsten Mißgriffen führt. Aber von dem Grenz stein Verdischer Entwicklung aus betrachtet, nehmen sich auch die>e Irrtümer prachtvoll aus. Oder ist es nicht bezeichnend, wie der leidenschaftliche Liebhaber der Wir kung die gesamte fremde Literatur auf die stärksten Dra matiker hin absucht; wie er instinktsicher meist bei Shake speare und Schiller landet; wie er ihnen mit der Naivität seiner Mittel beikommen will? Zwangvolle Plage, Müh ohne Ziveck! Wirklich? Wer sich die Arbeit nicht ver drießen läßt, zwischen Verstaubtem und Vergilbtem zu forschen, wird stets den mühsam erungenen Fortschritt in Einzelheiten erkennen. Mag auch bei diesem musika lischen Mißbrauch von Dichtern, die sich gegen ihn nicht wehren konnten, die sinnlose Nummer an sich oft ein allzu beschauliches Leben führen, mag zuweilen auch die melodische Kraft erlahmen: am Ende hat sich Verdi in „Luise Miller" durch alles Ordinäre selbst bis zu einem auSdruckssähigen Orchester durchgetastet. Des Jahrhunderts zweite Halste ist angebrochen. Verdi drückt ihr das musikalische Zeichen aus mit drei Werken: Rigoletto, Trovatore, Traviata, die alle im Zeitraum von zwei Jahren, vom März 1851 bis März 1853, der staunenden Welt geschenkt werden. Schon bis dahin hätte jeder Einsich ige, der ihn auf seinem Wege begleitete, al- Frucht die Überzeugung heimtragen müssen, daß dieser junge Mavstro nicht frivol mit seinem Pfunde wuchert. War Verdi auch von der Notwendig keit des Theatereffek.eS durchdrungen, so strebte er doch danach, ihn zu verfeinern. Drängte ihn auch sein Sinn für das Greifbare von allen gedanklichen Konstruktionen ab, so fühlte er sich doch immer fähiger, auch den Ge danken seinen Musiksinn zu treffender Charakteristik zu vermählen. Natürlich hat eine musikalische Bollnatur dabei ganz andere Hemmungen zu überwinden, als je mand, der wie Wagner die Gestalten seiner Musikdramen vom Dichter aus sieht. Verdi bleibt zunächst noch immer der Tyrann de- Dichters. Der Urdichter hat ihm den Stoff herlcihen müssen; sein Piave, sein Solera sind reimschmiedende Sklaven, die auf jeden literarischen Ehr geiz zu verzichten haben. „Ein Königreich sür eine packende Situation", sprach Verdi. Hatte er sie, dann stand auch schon da- Motiv vor ihm. Fieberhaft arbeitete die Phantasie im geheimen und stellte da- ganze Werk in einem Zuge vor ihn hin; sie befruchtet sich am Gesänge, der ihm oberste- Ge setz ist; setzt er sich an den Schreibtisch, dann bleibt der zweite, für ihn weit mühsamere Teil der Aroeit zu leisten. Nicht al- ob mangelhafte Beherrschung musika lischer Orthographie ihn aufhielte; sein Können ist nicht Wissenschaft. Die wissenschaftlichen Erfahrungen, die bei den Arbeiten des Londoner Radium-In stitutes im Laufe der letzten Zeit gesammelt werden konnten, haben nun, wie bereits kurz gemeldet wurde, zu einer Entdeckung geführt, deren Bedeutung kaum hoch genug veranschlagt werden kann, denn durch sie wird das Bereich der Radiumbehandlung gewaltig erweitert. Sir Frederick Treves, der Leiter des Institutes, der erst jetzt nähere Einzelheiten über diese folgenreiche jüngste Errungenschaft der Nadiumtherapie bekannt gibt, weist darauf hin, daß der Wissenschaft die Tatsache, daß das Radium ein Gas ausströmt, bereits bekannt war, aber der Umstand, daß dieses Gas, die sogenannte Ema nation, die gleiche Heilkraft besitzt wie das Radium selbst, konnte erst im Laufe der letzten Zeit wissenschaftlich fest gestellt werden. Die Mittel und Wege, diese Emanation zu versenden, damit sie von der Ärztewelt in größerem Maß stäbe selbst benutzt werden kann, sind ebenfalls gefunden, sodaß in den letzten Wochen schon mehrfach heilkräftige Nadiumemanationen zum praktischen Gebrauch an aus wärtige Arzte versandt werden konnten. Sie bewahren 24 bis 48 Stunden lang die gleiche Kraft wie das Radium selbst, ohne daß die eigentliche Radiumsubstauz durch diese Kraftabgabe sich abuutzt. Das Londoner Radium-Institut, das mit seinen 4 8 reinen Radiums die größte zu Heilzwecken an einem Orte vereinigte Nadiummenge besitzt, hat 1^ 8 beiseite gestellt, um dauernd die Emanation zu erzeugen. Die Versendung ersolgt in sinnreich konstruierten Röhren, in die das Gas oderdieEmanation durch eiuenbesonderenProzrß eiugeführt und dann durch flüssige Luft fixiert wird. Ter Arzt, der beispielsweise heute für einen Patienten die Anwendung von 50 Milligramm Radium benötigt (der Wert der eigentlichen Substanz selbst ivürdc in diesem Falle rund 20000 M. betragen), kann heute von dem Institut eine Tube mit Emanation erhalten, die in ihrer Heilkraft genau dem entsprechenden Quantum Radium gleichkommt. Da mit ermäßigt sich auch die Kostspieligkeit der Anwendung, denn für eine Tube mit 100 Milligramm Nadium- Emanation werden rund 250 M. berechnet. In den letzten zehn Tagen hat das Institut 13 derartige Sen dungen abgeschickt, die zusammen die Heilkraft von 800 Milligramm Radium enthalten. Ein Gramm reine» Radium liefert in 24 Stunden 160 Milligramm Ema nation. Im Anschluß an diese bedeutungsvollen Mit teilungen berichtete vr. Pinch dann über die Erfolge, die daS Institut auf einem anderen Gebiete der Radium- therapie erringen konnte. Das sind die Radium wasserkuren. Dieses Wasser ist so stark mit Radium- emanation getränkt, daß es im Dunkel leuchtet und übertrifft in seiner Wirkung alle anderen radioaktiven Wasser um ein Vielfaches. Die Untersuchungen und Ver suche ergaben, daß angestellte Trinkkuren bei allen Leiden rheumatischer Natur überraschend günstige Erfolge zeitigen. Es wurde bisher in Füllen von rheumatischen Gelenkentzündungen und im weiteren Sinne sür alle gichtischen und rheumatischen Erkrankungen an gewandt. In 40 von 100 Fällen wurden bisher groß, doch entwickelt genug, um ihm für seine Zwecke zu dienen. Aber immer noch eiliger sind die musikalischen Ideen. Um so staunenswerter, wie er, neuzeitlicher Er wägungen voll, sich selbst bezwang und auch die Schreib- tischarbeit immer sorgsamer werden ließ. „Rigoletto", „Trovatore", Traviata" sind die kraft volle Synthese der ersten Verdi. Man findet in ihnen die überraschende HerauSmeißelung einer Gestalt durch die Prägnanz deS Rhythmus, durch die Sattheit der Farbe. AuS dem Schmerz quillt ihm am sichersten die Charakteristik. Ahnen wir nun die Tiefe der Verdischen Natur, den zum Leide geborenen Künstler? Dem mitleids los zerfleischten Narren, der vom Jammer zur Rachsucht getriebenen Azucena, der vom Weltgenuß zu entsagungs voller Liebe bekehrten Violetta gehört sein Herz. Je mehr er sie ins Licht stellt, desto dunklere Schatten fallen auf die anderen Gestalten. Aber sie sind doch nicht so tief, daß sie uns die instrumentalen Eroberungen Verdis, seine gewachsene Sorgfalt, die verschwenderische Fülle von Melodik verhüllten. Noch im „Trovatore", wo die Gegen sätze sich am heftigsten befehden, wo verfeinertes Empfinden sich am stärksten gegen Widersinn und Roheiten auflehnt, strecken wir vor der zielsicheren Genialität die Waffen. Indes zieht Verdi nun wieder eine steinige Straße zu einem neuen Gipfel. Schon wieder ist er drauf und dran, eine neue Synthese zu schaffen. Sie ist nur möglich, wenn das Dickicht fruchtbaren Irrtums durch schritten ist. Anders als der deutsche, gedankenvolle, bedachtsame Wagner, dem jeder Fehltritt verhängnisvoll schien, durfte der impulsive Verdi wiederholt scheitern, ohne unterzugehen. Vollzieht sich dort der Entwicklungs prozeß lange im Innern, bevor er Gestalt gewinnt, so drängt er hier in jeder Phase nach dem sinnfälligen Ausdruck. Im Jahre 1859 beweist der „Maskenball", daß Verdi die Forderungen an sich erhöht hat. Nun ist kein Streit mehr zwischen seiner Naivität und den Gedanken auszusechteu, die ihm sein anspruchsvolleres Wesen und die komponierende Umwelt, vor allem Meyrr- beer, geliehen haben. Schüchtern wagt sich das Leitmotiv hervor, aber die Lust an der Nummer, die Freude am Tanzrhythmus erhält sich. Au ein Lokalkolorit denkt er noch nicht. Aus tieferem Siun und einer Melodik, die zwischen dem Unbedenklich-Draufgängerischen und dem Gewählteren schwankt, springt ein Prachtwerk, eine musikalische Umpräguug des spannenden Librettos mehr nach der heileren als der tragischen Seite hervor. Die Bedingungen, unter denen Verdi zu schaffen hat, komplizieren sich. Tie alte Oper wird in Tat und Schrift bekämpft. Mozartische Naivität droht aus der Welt zu schwinden. Dem Geist, dem Wissen, der Sammlung traut man zu, auch die Ursprünglichkeit des musikalischen Ge dankens zu ersetzen. Mehr Sinn, nur Sinn wird gefordert. Die großen Italiener vor und mit ihm, die Rossini, Bellini, Donizetti, hätten und hatten sich mit dem Er reichten beschicken. Verdi aber sah gerade jetzt für fich eine Zukunft herandämmern. Konnte man nicht vom entgegengesetzten Ende auS auf das Gleiche zielen? Sein Ton war unerschütterlich, war unermüdlich sruchtbar. Konnte er ihn der Wahrheit nicht mehr und mehr an nähern? Sein Rhythmus, seine Harmonik widerstrebten dem nicht. Im Gegenteil: keimhaft ruhte in seinem rauhen, derben Motiv der Trieb zur Veredelung; wie sein unverdorbener, aus dem Gesänge geborener Tonsinn nur die natürliche Kraft zu verfeinern brauchte, um des Aus drucks aller Empfindungen fähig zu werden. Tas alles konnte einem Maöstro gelingen, der nicht nur seine Musik, seinen Geist, auch die Mittel zu entwickeln heiß be müht war. Wir wissen nun, wie ihm dies geglückt, wie Verdi noch als Achtzigjähriger am Gesamtkunstwerk der Na tionen mitzubauen vermochte. Aber für viele fehlte noch die Brücke zwischen „Aida", dieser Paarung von best- veredeltem Belcanto und dramatischer Leidenschaft, und den Alterswerken „Othello" und „Falstaff", die viel un erbittlicher, der eine in der Tragik, der andere im musi kalischen Lustspiel, der Wahrheit dienen. Noch spukt in den Köpfen jene Idee, daß Magner Verdis heimlicher Mitarbeiter gewesen sei. Für den aber, der diese Werke in ihrem Wesen erfühlt, der jeden Schritt Verdis und auch jene lange Fermate von 16 Jahren bemerkt hat, steht die Folgerichtigkeit seines Aufstieges; die Treue gegen sich und sein eigenes Volkstum außer Zweifel. Ahnen wir nun Sinn und Bedeutung einer Verdi- Jahrhundertfeier? Wir beugen unS noch einmal vor seiner mit Meisterschaft entwickelten Urkraft, erbauen uns an ihr und wünschen, daß sie auch unsere Zukunfts musik befruchten möge. Verdi ruft der Oper zu: Er kenne dich selbst und bescheide dich. Er warnt vor granvioser Pose und leerer Theatralik, vor der Über macht des Geistigen in einer Kunst, die im Irdischen, im Allzumenschlichen wurzelt. Sie ist nicht sür die Ewigkeit geboren. Und doch bleibt zu hoffen, daß min destens noch in 50 Jahren eine Verdi-Feier auf Ver ständnis und Mitempfinden rechnen kann.