Volltext Seite (XML)
Es mag für manchen Hörer eine Ernüchterung bedeuten, wenn er erfährt, daß die sogenannte ungarische Musik also eigentlich eine städtische Kunstmusik ist, weit entfernt von den wirklichen Traditionen der ungarischen Volks- und Bauemmusik, zu deren typischsten Wesensmerkmalen gehört: Die Herkunft von der alten Fünf- tonleiter (Pentatonik), die rhythmische Wiederholung, eine rhythmisch freie Deklamation (langsame Sätze) und eine reichverzierte Ornamentik. Franz Liszt wurde in Raiding geboren, in einem Dorf des sogenannten Burgen landes, das gleichsam zwischen zwei Kulturen liegt. Auch Joseph Haydn stammte aus dieser Landschaft. Bei ihm dominierte der österreichisch-deutsche Einschlag, bei Franz Liszt hingegen der ungarische. Später weilte der Meister nur ganz selten in seinem Vaterland, er ließ sich stärkstens von der deutschen Romantik beeinflussen und entwickelte sich schließlich als Mensch und Komponist zu einem ausgeprägten Weltbürger. Heute ist es verhältnismäßig still um Liszt geworden. Die Jugend urteilt leicht vor eilig und überheblich. Ältere Hörer vermissen seine Kompositionen schmerzlich. Bei allem Für und Wider: Liszt verdient nicht, ganz in Vergessenheit zu geraten. Seine Musik läßt sich vom Menschen Franz Liszt nicht trennen. Und der Mensch Franz Liszt verdient unsere Verehrung und Bewunderung, auch heute noch. „Zwar verlieh ihm Österreichs Kaiser den Adelstitel“ — lesen wir in Kurt Pahlens ,Musikgeschichte der Welt 1 (Orell Füssli, Zürich, 1950) — „sein wahrer Adel aber liegt in seinem Herzen. Und wenn auch die Frauen ganz Europas in ihm die pracht volle männliche Erscheinung bewunderten, seine wirkliche Schönheit liegt in seiner Seele. Liszt war der König der Virtuosen, aber er war mehr: ein Schöpfer!“ Die beiden Klavierkonzerte Franz Liszts wurden in den Jahren 1839/40 konzipiert, teilweise skizziert, jedoch nicht vollendet, denn Liszt war durch seine Verpflich tungen als Klaviervirtuose so in Anspruch genommen, daß er kaum Zeit für seine schöpferische Arbeit fand. Erst 10 Jahre später — 1849 — wurden die endgültigen Fassungen beendet. Die Instrumentierung bereitete Liszt einige Mühe, so daß er — bezeichnend für seine Gewissenhaftigkeit und den künstlerischen Ernst! — die Hilfe seines Schülers L. Raff in Anspruch nahm. Doch läßt sich dessen Einfluß heute nicht mehr klar umgrenzen. Das erste Konzert wurde von Liszt selbst uraufgeführt. Dirigent war Hector Berlioz. Die Uraufführung des zweiten in A-Dur fand 1857 in Weimar statt. Solist war der Lisztschüler H. v. Bronsart, Dirigent der Komponist. Liszt versuchte in diesem Konzert, ein Thema aufzustellen, das dann in den lang samen wie in den schnellen Teilen, die pausenlos ineinander übergehen, verarbeitet wurde. Im Schlußteil vereinigte er das Thema mit allen Varianten. Durch diese Formneuerung wollte Liszt „eine auf sich selbst gestellte Musik ohne Rücksicht auf irgendein Programm“ erreichen. Als typisch ungarisch könnte man das Tempe rament und die rhapsodischo Freizügigkeit bezeichnen. Durch Liszts „Erfindung von Motiven als plastischen Einheiten, fähig zur unend lichen Umformung im Verlaufe eines Werkes“ wurde er zum Schöpfer jener neuen Form, die (nach Richard Wagner) „in jedem Augenblick diejenige ist, die nötig ist“. In Bela Bartoks anregendem Buch „Ungarische Volksmusik und neue ungarische Musik“ finden wir den bezeichnenden Satz: „Wenn man mich fragt, in welchen Werken der ungarische Geist seinen vollkommenen Ausdruck gefunden hat, so lautet meine Antwort: in Zoltän Kodälys Werken!“ Der noch heute in seiner ungarischen Heimat wirkende Meister wurde 1882 geboren. Nach musikalischen und wissenschaftlichen Studien promovierte er 1906 mit seiner Dissertation „Über den Strophenbau des ungarischen Volksliedes“ zum Dr. phil. Zur gleichen Zeit begann seine Volksliedarbeit. Seit 1907 sammelte er zusammen mit Bela Bartök über 3500 Lieder in Oberungarn, Siebenbürgen und in der Buko wina. Band für Band dieser Lieder ist inzwischen erschienen, von Kodäly wissen-