Professor FrantiSek Rauch Blick nach Ungarn Ungarische Musik— was ist das, was verstehen wir darunter? Uns fällt die schmach tende Zigeunermusik eines Hubay ein, wir erinnern uns an die „Ungarischen Tänze“ von Johannes Brahms. Ist das nicht „ungarische Musik?“ Ganz bestimmt aber die „Ungarischen Rhapsodien“ Franz Liszts! Auch die nicht? Was bleibt dann übrig? Die Antwort gibt uns einer dor bedeutendsten Kenner der ungarischen Musik, der Komponist Zoltän Kodäly, dessen Theater-Ouvertüre heute abend erklingen wird. In seinem Aufsatz „Die ungarische Volksmusik“ (Musik der Zeit, Heft 9, Verlag Boosey und Hawkes, Bonn) lesen wir: „Alle Musik, die dem Rundfunkhörer durch Zigeunerorchester oder andere populäre Bearbeitungen unter dem Titel ,Ungarische Volksweisen“ oder auch, seit Sarasato, als ,Zigeunerweisen“ dargeboten wird und die seit nahezu 100 Jahren die Grund lage der Anschauung über ungarische Musik im allgemeinen bildet, hat mit ungarischer Volksmusik im engeren Sinne wenig oder gar nichts zu tun. Ebensowenig ist sie aber ein Produkt der Zigeuner, wie seit Franz Liszts ,unsterb lichem Irrtum“ immer noch behauptet wird. Die Verfasser jener Melodien, zu denen u. a. auch die Themen der .Ungarischen Tänze“ von Brahms und der ,Ungarischen Rhapsodien“ von Liszt gehören, sind zumeist nachweisbar. Sie lebten alle im 19. Jahrhundert, die bedeutendsten unter ihnen waren Abkömmlinge ungarischer Adelsgeschlechtor. Die Verfasser w ren fast alle handwerksunkundige Dilettanten. Das melodische Gut wurde bald nach seinem Erscheinen herrenlos, niemand fragte nach dem Verfasser.“