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Dresdner Journal : 16.08.1913
- Erscheinungsdatum
- 1913-08-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-191308162
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-19130816
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-19130816
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1913
-
Monat
1913-08
- Tag 1913-08-16
-
Monat
1913-08
-
Jahr
1913
- Titel
- Dresdner Journal : 16.08.1913
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2. Beilage zu Nr. 189 des AHUrilülA Sonnabend, 16. August 1913 24 Die weiße Krau. Nach a!tm Throniken frei bearbeitet. Noman von M. Kneschke-Schönau. (Fortsetzung und Schluß zu Nr. 186.) Bergheimal. Lon Gerhard Platz (Weißer Hirsch). Im prallen Sonnenscheine des Augustnachinittags liegt der Hof der Klippmühle droben im Schwarzwassertal vor mir, als ich nach der Mittagsruhe aus der Tür des Seiteugebäudes trete. Auf dem steinernen Rande des Wassertroges drüben sitzt ein lehmfarbenes Huhn und schöpft emsig das er quickende Naß. Vor dem großen Haufen Grünfutter vor der Stalltüre hält der Braune; das Kumt ist ihm weit auf den Hals herabgefallen, indes er lange Strähne saf tiger Wicken und süßduftender Kleeblüten hinter den mahlenden Zähnen verschwinden läßt. Mitten im Hose aber steht in tiefe Gedanken ver sunken der Herr über dies alles, der Klipp-Müller — Philipp, in Holzschuhen und Arbeitshosen, wie er gerade aus dem Schleifhause kommt. Die Pfeife baumelt ihm zwischen den Zähnen, die Hände hat er in den Taschen vergraben und unverwandt blickt er auf die weißgraue Hoskatze, die zu seinen Füßen mit einem in der Scheune gefangenen Mäuslein spielt. In der Art, wie die Katze sich an der Angst ihres Opfers weidet, eS bald zwischen den Krallen festhält und bald wieder von ihm abläßt, daß das Tierchen in ver zweifelter Hast ein Stück über den Hof rutscht, nur um im nächsten Augenblick wieder in der Gefangenschaft der behenden Jägerin zu sein, liegt etwas so erbarmungslos Grausames, daß ich's nicht länger mit ansehen kann und ärgerlich hinübcrrufe: „Philipp, wie können Sie nur die Quälerei dulden!" Der Philipp aber schüttelt voller Seelenruhe den Kopf und murrt zurück: „Der Mensch wird auch ge schunden im Leben, zumal wenn er den Dokterfch in die Hände fällt." Trotz dieses weisen Ausspruch» spring ich heran und befreie mit einem wohlgezielten Steinwurf die MauS von ihrer unerbittlichen Feindin und von allen irdischen Qualen überhaupt. Mietze wirft mir einen scheelen Seitenblick auS ihren grünen Lichtern mit dem schmalen Pupillenstrich zu und schnürt gekränkt in die Scheune zurück, ohne sich um ihre Beute im geringsten mehr zu kümmern. „DaS nimmt sie krumm", meint der Philipp, „uun fängt fie ein paar Tage nicht mehr." Indem rufts auS dem Wohnhaus, daß der Kaffee fertig fei. Dir treten in die angenehm kühle Gaststube. Der Müller sucht feinen Stuhl in der Fensternische auf, während ich mich in die Ecke de» ächzenden Kanapees hinter dem runden Tisch fallen lasse. Al- der Kaffee mit dem Weißbrot kommt, erhebt sich auS der Stuben- ecke der Sultan, tritt etwa» steifbeinig an den Tisch heran, nimmt die alten Knochen zusammen, und auf ein mal fitzt er neben mir auf dem Sofa. Dem Philipp bleibt der Mund vor Überraschung offen stehen, daß ihm beinahe die Tabak-pfeife zu Boden gefallen wäre, und im Tone höchster Entrüstung ruft er mit starker Stimme: „Sultan, schämst — denn — du — dich — nicht, du ganz infame» Viehl? Ist da» eine Art, sich fo aufzuführen?" Da sein Herr aber keine Miene macht, feinen Sorgen stuhl zu verlasten, so nützt Sultan seine Chancen, dreht sich nach Hundeart ein paarmal um feine eigene Achse, legt mir den Kopf in de» Schoß und macht sich« mit einem behaalichen Schnaufer bequem. Ich mag dem alten Weidgenosten da» weiche Lager wohl gönnen und Alo sie wieder zu sich kam, war der Maler längst davon- gegangen. Sie lag auf ihrem Ruhebette, und Maria und Gottfned bemühten sich eifrig um sie. Teilnahmslos ließ sie alles mit sich geschehen, nur als sie den gramvollen Zug um Gottfrieds weichen Knabenmuno, dem selbst der blonde Schnurrbart nichts von seiner Jugendlichkeit nahm, sah, da seufzte sie tief auf, drückte seine Hand und flüsterte: ,,Du hattest nur zu recht! Aus Feigheit ist er zum wortbrüchigen Schurken an mir geworden!" In die dumpfe Schwüle, die diesen Worten solate, tönten Helle Kinderstimmchen. Der kleine Otto, mit Hilde gund an der Hand, erschien auf der Schwelle. Da schnellte Karintha, wie von einer Viper gestochen, in die Höhe. Sie stieß, mit den Händen heftig abwehrende Gebärden gegen die Kinder machend, einen markerschütternden Schrei aus, rind förmlich in Raserei verfallend, verfluchte sie sich, die unschuldigen Kinder, Albrecht und das stanze Zollernhaus, dazwischen immer wieder die Worte: „Bier Augen im Wege!" a lsstoßend. Entsetzt sprang Gottfried hinzu, die Rasende, die sich eben auf die Kinder stürzen wollte, zu halten Doch schon hatte Maria sich vor die Kleinen geworfen, und diese flohen mit gellendem Wehegeschrei den Gang entlang, der sich sofort mit dem erschreckt herbeieilenden Gesinde füllte, das uun neugierig lauschend die grauenhaften Verwünschungen nuffing, welche die unselige Frau in ihrer wilden Verzweif lung unaufhörlich ausstieß Mau hörte Möbel stürzen, Scherben klirren, ein Geräusch, als ob Gewebe zerrissen würden. Mit blutender Wange und zerkratzten Händen kam endlich Gottfried aus dem Gemache, wies die gaffenden Leute hinaus und flüsterte dem ängstlich nach der Ursache dieses Höllenlärms fragenden Voigt zn: „Die Herrin ist fieberkrank und halb von Sinnen. Schickt nach einem Arzte." Und dieses Rasen währte stundenlang. Wie ein gefan gener Vogel unablässig den Ausgang sucht und solange den Kopf an den Maliern stößt, bis er enchöpft zusammenbricht, so gab sich Karintha ihrer Verzweiflung hin so lange, bis die Kräfte sie verließen und sie wie tot zu Boden sank. Dieser herzzerreißende Anblick der völlig gebrochenen Herrin bereitete der alten Amme wahre Höllenqualen und ließ einen Entschluß in ihrem Kopfe reifen, der von den furcht barsten Folgen für alle begleitet sein sollte. Aus den Verzweiflungsrufen und Anklagen Karinthas hatte sie ent nommen, daß die Kinder das Hindernis waren, an dem ihr Herzensglück zerschellen sollte. Wohl hing die Alte mit zärt licher Liebe an den Kindern, aber was bedeutete diese gegen über der abgöttischen Liebe, die sie zu Karintha hegte. Um deren Glück zu retten, hätte die fanatische Alte eine Tod sünde begehen können. Die Kinder waren im Wege, also mußten sie beiseite geräumt werden. Aber wie? . Da kam es wie eine Erleuchtung über sie: Die Pest im Zigeunerlager! Sie würde zu einer früheren Stunde, als ausgemacht war, hingehen, und zwar nicht nur bis zur großen Buche, sondern bis ans Lager, und die Kinder würde sie milnehmen. Nun mochte Gott entscheiden! Entgingen die Kinder der Gefahr der Ansteckung, so war es Gottes Wille nicht, daß Karintha den Bund mit Albrecht schlösse. Fielen sie der Pest zum Opfer, so war die Bahn frei, und niemand würde von einem gewaltsamen Tode der Kleinen sprechen können. Daß sie mit den Kindern ungesehen aus der Burg entkäme, dafür wollte sie schon Sorge tragen. Gedacht, getan! Am Nachmittage ließ sie Jlsabe rufen, damit sie im Nebenzimmer der Kemenate verbleibe, falls Karintha etwas begehren follte. Die Gräfin lag in einem tiefen Schlafe, den die Erschöpfung und ein von den: Arzte verabreichtes Schlafmittel hervorgerufen hatten. Maria erklärte der Vögtin, daß sie die Kinder, damit sie auf andere Gedanken kommen sollten, zu Filippo auf das Vorwerk bringen wolle. Sie waren von dem Gebaren der Mutter ja zu sehr in Schrecker» versetzt worden und weiner lich. Der Grund lvar einleuchtend, und so konnte Maria unbehelligt mit den Kindern die Burg verlassen. Es be fremdete auch niemand, daß sie erst spät mit ihnen heim kehrte und die Kinder todmüde erschienen. Zwei Tage verstrichen. Uber der Burg lag's wie Ge witterschwüle. Die Herrin lag noch immer, in völlige Apathie verfallen, krank darnieder, jede Nahrung, jede»» Trunk Wasser ablehnend. Gottfried irrte wie ein Verzweifelter durch die Räume der Burg. Er bangte für das Leben der geliebten Verwandten und machte sich die bittersten Vor- würfe, daß er aus seinem Groll gegen Albrecht keinen Hehl gemacht und das Feuer nur noch bei Karintha geschürt hatte. Er gab sich die erdenklichste Mühe, die Leidende aus ihrer Teilnahmslosigkeit aufzurütteln, denn der Arzt hatte kopf schüttelnd gemeint, daß diese Apathie bedenklich wäre. Aber kein Mittel verfing. Mit weit geöffnete»» Augei» ins Leere stierend, lag Karintha da, und alles Zureden prallte wirkungs los an ihr ab. Um das Elend auf der Burg noch zu erhöhen, erkrankte in der nächsten Nacht der kleine Otto und am nächsten Tage legte sich auch Klein-Hildegund. Niemand wußte, was den Kindern fehlte, selbst der Arzt stand ratlos am Bett der fiebernden Kinder, die von der bösen Mutter, schwarzen Männern und kleinen Pferdchen wild durcheinander phanta sierten. Die alte Maria beobachtete den Zustand der Kinder mit höchster Spannung, in ihren Augen glühte ein unheim liche» Feuer. Sie litt es nicht, daß man die Gräfin von der Krankheit der Kinder unterrichtete, und übernahm die Pflege ganz allein. An ihrer Stelle mußte noch immer Jlsabe, die Vögtin, bei Karintha weilen. Am Abend des vierten Tages verschlechterte sich das Befinden der kleinen Hildegund so sehr, daß der Arzt und Gottfried entschieden darauf bestanden, daß die Gräfin benachrichtigt würde. Und siehe da, was alle Vorstellungen »li»d Bitten nicht bewirke»» konnten, der Appell ai» die Mutter liebe vermochte es sofort. Karintha fuhr aus ihrer Apathie empor und eilte, schwankend vo, Erschöpfung und bleich wie ein Gespenst an das Lager de» todkranken Mädchens, das sie nicht mehr erkannte. Der Neine Otto aber schrie bei ihrem Anblick gellend auf und verfiel in Krämpfe, die nun auch seinen Zustand wesentlich verschlimmerten. Wie eine Unsinnige gebärdete sich die Amme Mit den An ¬ zeichen höchster Angst warf sie sich der Gräfin vor die Füße, den Weg zum Bett der Kinder versperrend und sie beschwörend, die Kranken nicht anzurühren. Ma»» »nußte sie gewaltsam entfernen, um der Gräfin den Zutritt zu den Kinder»» zu ermöglichen. Wie ein geschlagener Hund kroch die Alte in eine Ecke des Zimmers, Hände ringend, Gebete murmelnd »»nd die angstvollen Blicke nicht von Karintha wendend. Der Anblick der Kinder erschütterte die Gräsin auf das tiefste. Das eigene Leid trat zurück vor der Sorge um die Kleinen, deren Pflege sie nun selbst übernahm, trotzdem sie sich vor Schwäche kaum auf bei» Füßen zu halten ver mochte. Aber auch die sorgsamste Pflege »md die ärztliche Kunst versagten. In der Nacht starb tue kleine Hildegund, und am Mittag des nächsten Tages schloß der Erbe der Plassen- burg seine blaue»» Kinderaugen für immer Schaudernd er kannte der Arzt, daß es die furchtbare Pest war, von der die Kinder dahingerafft worden waren Um jede Panik unter dem Burggesinde zu vermeiden, verschwieg er die Todesursache und ordnete nur die schleunigste Einsargung »»nd Überführung der kleinen Leiche»» nach Kloster Himmels- kron an, wo die burggräflichen Kinder an der Seite ihres Vaters beigesetzt werden sollten. Die noch am Sterbelager der Kinder zusammeugebrochene Gräfin sah und hörte von dem allen nichts. Sie lag bewußt los in ihrer Kemenate, gepflegt von der alte»» Maria, die nach dem Tode der Kinder wie ueubelebt war. Auf dem Burggesinde lag es wie ein Bann. Scheu flüsternd besprachen die Mannen die Ereignisse der letzten Tage, und was nun werden sollte. Ob die Burggrafen von Nürnberg nm» wirklich die Herren der Plassenburg würden oder die Gräfin das Erbe antreten würde. Keiner wußte etwas Gewisses. Der schnelle Tod beider Kinder, die überhastete Überführung und pruuklose Beisetzung der Leichen hatte etwas so Geheimnisvolles, Grausiges für das Gesinde, daß das Tuscheln und Mutmaßen kein Ende nehmen wollte. Als uun gar die Gräfin aus ihrer Be wußtlosigkeit erwachte und, die Kinder suchend, wie eine Wahnsinnige durch die Räume der Burg irrte, das Haar sich raufte und unter wilde»» Selbstanklagen sich ihre Mör derin nennend, da wuchs das Grauen noch, und das Gerücht, daß die Kinder keines natürliche»» Todes gestorben seien, nahm immer festere Gestalt an. Mit scheuen Blicke»» streiste man die Tag und Nacht ruhelos umherirrende Herrin, der wie ei»» Schatten die alte Maria folgte. Als eines Abends eine heftige Szene zwischen den be»den Frauen stattfand, und die Gräfin mit entstelltem Gesicht und unter grausigen Verwünschunge»» die alte, getreue Amme zum Palas hinausstieß und man die Ärmste an» andern Morgen tot aus dem Main zog, da ward aus den» Flüster»» ein Murren, und man sprach ungescheut aus, was man dachte, daß die Alte entweder auf Geheiß der Herri»» die Kinder umge bracht habe, oder die Gräfin selbst es getai» und fie die Mit wisserin gewesen, die nm» von Reue gepackt, den Tod im Main gesucht. Reue und Gewissenspein trieben, nach Air sicht der Burginsassen, die Gräfin auch zu den» Pilger- gange auf bloße»» Füße»» »»ach Himnwlskron, m»d als gar die ;unge Gürtelmagd, die an Marias Statt den Dienst im Schlaf zimmer der Gräfin hatte, ein blutiges Tuch und eine goldene Nadel »nit Blutspuren hinter dein Toilettentisch der Herrin fand, da stand es fest bei den» Gesinde, daß die unnatür liche Mutter die zarte»» Kindlein mit der goldene»» Nadel erstochen habe. Und dieses Gerücht hatte flinke Füße. In» Städtlein und in der ganzen Umgegend sprach »»»an davon und nie mand war da, dieser Verleumdung entgegenzutreten, denn Gottfried von Hohentrüdingen, der einzige, der es hätte tun können, »oar nach Nürnberg befohlen worden, um dein Burggrafen Johan»» Bericht voi» den Vorgänge»» auf der Plassenburg zu erstatten. Ter Arzt, ein Klosterbruder aus Himmelskron, hatte schon »nit den Leiche»» der Kinder die Burg verlassen und pflegte jetzt die Gräfin, die kurz vor dein Kloster, noch vor Beendigung ihrer Wallfahrt, zusammen gebrochen und voi» einen» hitzige»» Fieber ergrisfen worden war. Wochenlang rang sie mit den» Tode, und als sie endlich soweit genese»» war, daß sie das Bett verlasse»» konnte, war sie eine gebrochene Frau »nit schlohweißem Haar und müden, hoffnungslos ins Lebe»» blickenden Augen. Auf die Plassen burg kehrte sie nicht wieder zurück, folgte auch »richt den flehentlichen Bitten Gottfrieds, auf seiner Burg als Haus frau zu walten. Sie sehnte sich nach Frieden und suchte ihn in dem von ihrem alte»» Freunde, dem Ratsherrn Conrad Groß gestifteten Kloster Gründlach bei Nürnberg, dem sie ihr ganzes Barvermögen überwies, und in einem der Armenpflege und Wohltätigkeit gewidmete»» Leben, die Fehler ihres Charakters und he»ßen Blutes, die so großes Unheil über sie und ihr Haus gebracht, zu büßen suchte. Maria hatte ihr gestanden, daß sie aus blinder Liebe zu ihr, und um ihr das verlorene Liebesglück zu retten, die Kinder der Ansteckung preisgegeben hatte. Boller Abscheu hatte sie die Alte verstoßen, um deren Selbstmord nun auch noch als Schuld aus den» Gewissen zu tragen. Furchtbar bedrückte sie der gegen die Zollern ausgestoßene Fluch Sie fürchtete, daß er sich ebenso wie an ihr und ihren Kindern, auch an Albrecht und seinem Geschlecht erfüllen würde. Sie liebte Albrecht noch immer von ganzem Herzen und zitterte für sein Leben »»nd sein Glück. Durch Heinrich Mendel hatte sie erfahren, daß Albrecht nicht anders gekonnt hatte, als sich dem Willen der Mutter und des älteren Bruders, des Seniors der Familie, zu beugen, und daß er selbst tief unglücklich geworden war. Er war ein Opfer der Familien tradition geworden, hatte ohne Liebe die reiche Erbtochter Sophie von Henneberg gefreit, tat freudlos und wortkarg seine Pflicht und hielt seine reine Liebe zu Karintha und die Erinnerung an den wonnigsten Mai fernes Lebens wie ein Heiligtum »n feinem Herzen verschlofsen. Karintha aber fand nickt ehr Ruhe und Frieden, als bis sie nach Rom zum heiligen Vater gepilgert war, um ibn fußfällig zu bit- ten, sie von dem grause»» Fluche zu lösen, den sie gegen die Zollern geschleudert und mit dem sie gedroht hatte, ihnen noch nach »hrem Tode, als Schreckgespenst zu erfchqinen, um ihnen zu künden, wenn Unheil drohte. Doch Papst Clemens HI., der die Zoller»» haßte, weis sie zu seinem Feinde, dem Kaiser Ludwig den Bayern ge halten, und dem da- mächtige Aufblühen des Zollernha ilseS längst ein Dorn im Auge gewesen, behauptete, sie von diesem Fluche nicht lösen, ihn nur mildern zu können, fo daß fie nicht als drohende- Schreckgespenst, sondern al- warnende Todes botin erscheinen solle, wenn einem Zoller ein jäher Tod drohe, damit er noch Zeit zu Buße und Reue habe. Gänzlich niedergebrochen kehrte Karintha ins Kloster zurück und starb nach wenigen Jahren an der Schwindsucht. Sie hatte allzuviel gefastet und sich allzusehr kasteit. Das hatte der geschwächte Körper nicht ertragen können. Ihr letzter Hauch war ein Segenswunsch für den einst und noch immer so heiß geliebten Mann, der ihr übrigens bald in» Tode nachfolgte und keine Erben hinterließ. Nie hat sie erfahren, daß man sie im Volke als Kindesmörderin ver dächtigte, nie davon, daß Albrecht einmal an ihrer Treue gezweifelt, als Jörg Winkler, der Maler, sich in» Weinrausch prahlend ihrer Gunst gerühmt und als Beweis eine Locke ihres Goldhaars gezeigt hatte. Die Weltabgeschiedenheit und der Friede des Klosters hatten die arme Büßerin vor diese»» Schlangenstichei» bewahrt. Die zahlreichen Arinen, denen sie unablässig Gutes getan, betrauerten die fromme Schwester Elisabeth, wie sie im Kloster genannt wurde, tief. Im Bolksmunde aber hat sich die Sage von der zauber schönen Orlamünderin, die aus Liebe zum Burggrafen Albrecht ihre eigenen Kindlein mit einer goldenen Nadel erstochen habe und nun zur Strafe keine Ruhe im Grabe fin den könne uiid als weiße Frau den Zollern erscheinen müsse, wenn ihren, Hause Gefahr drohe, erhalten bis auf den heutigen Tag, und sowohl auf dem Lauenstein, ihrer Geburtsstätte, als auf der Plassenburg, zeigt man noch heute scheu die Säle und Gänge, in denen sie m langschlep pendem, weißem Schleiergewande mit klagend erhobenen Händen zur Mitternachtsstunde wandeln soll. Auch mir, der Schreiberin dieses Romans, wurden sie gezeigt, und die uralte Sage erzählt. Tas Schicksal dieser unglücklichen Fra»» packte mich mächtig, und ich sand nicht Ruhe und Rast, bis ich aus einer Unmenge alter Chroniken, die sich fast alle widerspräche»» und die angebliche Kindes mörderin »nit den verschiedensten Namen »rannten, ein Körn lein Wahrheit herausfand, auf das ich meinen Roman nun aufbaute. Auf Burg Lauenstein, de»»» angebliche»» Schauplatz ihrer Kindheit und Hochzeit, ist er erstanden, und wenn die Feder nimmer weiter wollte und der Gedankenflug gehemmt ward, dam» brauchte ich nur in der» Orlamünder-Saal hinabzusteigen und auf dem Fenstersitze Platz zu nehmen, von dem man ins Waldtal der Loquitz hinabsieht, danir raun ten rnir flüsternde Geisterstimmen zu, was ich nicht wußte, und worüber ich mir vergeblich den Kopf zerbrach, bis ich den Faden wiederfand, der mich durch das Labyrinth dieses Frauenlebens sicher hindurchführte. Und wollte ich doch einmal erlahmen und Zweifel in mir aufsteigen, ob es »nir gelinge»» würde, von» Namen der unglücklichen Frau den Makel des Kindermordes zu tilgen, dann stand sofort das Bild der schönen Karintha vor meiner Selee »»nd sah mich mit den wunderbaren, dunkle»» Augensternen so flehend an, bis ich wieder zur Feder griff und alles, alles niederschrieb, was »nir hier auf der alten, schönen Burg fo seltsam offenbart wurde.
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