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So erleben wir also in dieser dritten ,,Leonoren"-Ouvertüre den ganzen „Fidelio", den Sieg über Tyrannenmacht und Tyrannenwillkür. Eingangs hören wir die Klage Florestans, des von seinem politischen Gegner ins Ge fängnis geworfenen Mannes. In dem folgenden schnelleren Teil wird der Kampf Leonorens geschildert. Ein Trompetensignal kündet die Rettung an. Der Gatte wird befreit. Die Liebe hat gesiegt. Jubel ist der strahlende Aus klang der Tondichtung, mit der Beethoven der Gattenliebe ein Denkmal ge setzt hat, unvergänglicher als Erz. Johannes Paul Thilman Die Sinfonie A-Dur, op. 92, entstand im Jahre 1812. Es ist das Jahr, in welchem Napoleon seine entscheidende Niederlage in Rußland erlebt, von der er sich nicht mehr erholt; es ist das Jahr, in dem sich in Spanien aus der Unterdrückung durch die fremden, französischen Eroberer eine revolu tionäre Bewegung entwickelt, die sich in der spanischen Verfassung aus diesem Jahre in folgenden Worten ausdrückt: „Das spanische Volk ist frei. Die souveräne Gewalt gehört ihrem Wesen nach dem Volke." Es ist das Jahr, in dem in England Arbeiteraufstände gegen die Ausbeutung durch die Fabrikanten wüteten (die Unruhen in Nottingham), in dem in Deutschland die Industrialisierung wesentliche Fortschritte macht (Krupp in Essen) es ist ein Jahr des Tumultes, der Tragödien, des Leides, des Kampfes vieler Menschen um ihre eigene Freiheit. Von diesen Nöten und politischen Er eignissen ist in der siebenten Sinfonie Beethovens wenig zu spüren, da Beethoven an den politischen Ereignissen nicht viel Anteil nahm. Beethoven hatte gerade in diesen Jahren eine innere Entwicklung durch gemacht, die ihn von der Außenwelt zur Welt der Phantasie, der inneren Gesichte hinführte, die ihn zur Abwendung von der realen Welt bewog. Leopold Schmidt sagt: „Er hatte in sich eine höhere Macht der Musik ent deckt, ihr eigenstes Reich war ihm aufgegangen, in dem sie souverän ist, wo alle Dinge ihr eigenes Leben haben und einer Deutung nicht mehr bedürfen." Richard Wagner sah in der siebenten Sinfonie die „Apotheose des Tanzes", also eine Verklärung und Idealisierung tänzerischer Zustände. Recht hat er insofern, als der rhythmische Einfall in diesem Werk vorherrscht, daß er eine bedeutende Rolle im schöpferischen Vorgang spielt. Beethoven ist in dieser Sinfonie Idealist geworden, er hat sich dem Schiller’schen Idealismus voll und ganz hingegeben. Der erste Satz beginnt mit einer getragenen, feierlichen Einleitung. Der eigentliche Satz steht im lebhaftesten punktierten Sechsachteltakt, der beide Themen prägt. Dieser Satz endet in einem sieghaften Durchbruch. Anstelle des langsamen Satzes bringt Beethoven, abweichend vom üblichen Gebrauch, ein Allegretto von verschleierter Melancholie und wehmütiger Verträumtheit. Die weitere Entwicklung dieses Satzes verläuft in der Form der Variation. Das Scherzo steht im schnellsten Tempo, es ist lustig und keck, übermütig und steckt voller Humor. Das eingeschobene Trio hebt sich durch seine zärtliche Melodie scharf vom Scherzo ab. Der lebhafte Schlußsatz hat ein erstes Thema, in welchem die Hauptbe tonung entgegen allem üblichen Gebrauch auf dem unbetonten Taktteil liegt — ebenso ist im vierten Takt des beschwingten zweiten Themas die Betonung auf dem Nebentaktteil. In einer übermütig-burschikosen Stim mung verläuft dieser Satz, von einer Heiterkeit Beethovens kündend, die in ihm liegen mußte, da das Entstehungsjahr der siebenten Sinfonie 1812 ein tränenreiches Jahr war. Johannes Paul Thilman