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-f-f. 6.4t- ORCHESTERMUSIK UNSERER ZEIT Wenn in dem Konzert, das den Titel „Orchestermusik unserer Zeit“ trägt, als Vertreter der jungen deutschen Komponisten-Generation ein „Komponist im Waffenrock“ oder, wie man gerne sagt, ein „feldgrauer Komponist“ zu Worte kommt, dann erfüllt die Dresdner Philharmonie eine Ehrenpflicht einem Künstler gegenüber, der als Repräsentant jener gelten darf, die als Soldaten draußen stehen, die deutsche Kultur zu schützen. Es ist keine Selbstüberhebung, wenn man sagt, daß der schöpferische Mensch den Krieg intensiver erlebt als andere, intensiver insofern, als es ihn drängt, dieses Erlebnis auch zu gestalten. So entstehen als literarische Zeugnisse dafür PK.- Berichte und Gedichte, es entstehen Zeichnungen und Gemälde, und auch manche Seite aus musikalischen Kriegstagebüchern ist uns bekannt geworden. Wenn das neueWerkdes 1906 in Dresden geborenen Grabner-Schülers Johannes Paul Thilman sich als ein Variationenwerk über eine alte Volksweise von 1430 („Ich wollt’, daß ich daheime wär’“) ausweist, so liegt schon in diesem Themen- Vorwurf die Beziehung zum Krieg. Sie ist erst recht hergestellt, wenn wir aus einer Notiz in der Partitur erfahren, daß das Werk geschaffen wurde „im Kriegsjahr 1940 während und nach dem Vormarsch im Westen in Lessincs, Hem bei Roubaix, Clair- marais bei St. Omer, Boulogne.“ Man wird von einem Komponisten wie Johannes Paul Thilman, der sich bisher mit Musik von absolut „absolutem“ Charakter einen Namen gemacht hat, keine programmatische Schilderung von Kriegserlebnissen erwarten dürfen. Dagegen spricht schon die Verwendung der strengen, immer an ein Thema gebundenen Varia tionenform. Wie aber Thilman diese Form und den Ausdruck eben jenes Kriegs erlebnisses in einer Synthese zusammenfaßte, das macht die Eigenart seines Werkes und die besondere Stellung in unserem Konzertprogramm aus: mehr als von jedem anderen Werk kann man von ihm behaupten, daß es Musik „unserer Zeit“ ist. Das Thema wird zunächst von den Bratschen und Klarinetten vorgetragen, denen in kürzestem Abstand die ersten Violinen im strengen Kanon folgen. Die füllige Instrumentation, die ein Kennzeichen des ganzen Werkes ist, wird schon hier an gewandt, um einen Höhepunkt herauszuarbeiten. Dann wird das aus dem Thema gewonnene Material in den sechs Variationen geistvoll verarbeitet, bald ins Sin fonisch-Weitausgreifende (1. Variation), bald ins Energisch-Zupackende (2. Varia tion), bald ins Aufgelockert-Vorwärtstreibende (3. Variation), bald ins Klagend- Schwermütige (4. Variation), bald ins Stürmisch-Aufbrausende (5. Variation) und schließlich ins Scherzohaft-Leichte gewendet, um dann im Finale nach kunstvollen Verarbeitungen noch einmal in großer Steigerung die leidenschaftliche Bestätigung zu finden: „Ich wollt’, daß ich daheime wär.” Als Vertreter der älteren Generation Hans Pfitzner. Seine Sinfonie cis-moll trägt die Opuszahl 36a. Die Bezeichnung „a“ versteht sich aus dem Untertitel: „Nach dem Streichquartett Opus 36“. Der Meister hat also ein Streichquartett instrumentiert und damit zur Sinfonie gestempelt. Ohne eine Note hinzuzufügen. Der erste Satz beginnt mit einem Motiv, das als „Urmotiv“ die ganze Sinfonie beherrscht. Immer wieder taucht es im ersten Satz auf. Die Orchesterfassung betont noch seine Wichtigkeit, seine zentrale Stellung, wenn es bald in den fahlen Schimmer der Oboen und Fagotte getaucht (Ziffer 5), bald (in der Umkehrung und anderen Veränderungen) in die drohenden Stöße des Blechs, der Trompeten, Hörner und Posaunen, später auch der Baßtuba gepackt wird (Ziffern 6 und 7). Am erschütternd sten ist es, wenn es vor der Coda des ersten Satzes unmittelbar aus der Linie des „Anschlußmotivs“ (vergl. weiter unten!) herauswächst, um wieder von diesem auf genommen zu werden; die Holzbläser träumen es vor sich hin, die Harfe fällt mit einem sanften Arpeggio ein. Da ist nämlich auf eine tröstliche, wenn auch kaum