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ZUR EINFÜ HRUNG Carl Maria von Weber (1786—1826) komponierte zwischen 1804 und 1806 in Breslau, wo er durch die Fürsprache seines Lehrers Abbe Vogler eine Kapell- melsterstelle an der Breslauer Oper erhalten hatte, angeregt durch die Nähe des Riesengebirges und die dort noch lebendige Sagengestalt des Rübezahl ver schiedene Stücke zu einer Oper, die schon eine Volks oper werden sollte. 1811 gab er mit der Opusziffer 27 die Ouvertüre dazu unter dem Namen „Beherrscher der Geister“ heraus. Wild und voller Dämonie setzt in d-Moll die Ouvertüre ein, nach kurzer Zeit ab gelöst von einem zarten Flötensolo, das aber bald wieder in die stürmische, drängende, die Größe und rauhe Pracht des Gebirges schildernde Musik über geht. Volkstümliche Weisen (Oboensolo) lockern das etwas düstere Bild auf, immer wieder jedoch bricht das unberechenbare Wesen Rübezahls durch, immer wieder klingt ein geisterhafter Ton auf, den Weber später im Freischütz in der Wolfsschluchtszene genial beherrscht. Gegen Schluß wird das Bild freund licher, das D-Dur tritt an die Stelle des d-Moll, mit kraftvollen Schlägen endet die Ouvertüre, die, in sehr jungen Jahren Webers entstanden, doch schon seine spätere geniale und dabei volkstümliche Be gabung klar erkennen läßt. Ludwig Spohr (1784—1859) führte als Violinvirtuos ein Leben voller Reisen und Veränderungen, war eine Art europäischer Berühmtheit von Petersburg bis Rom, von Wien bis London, bis er sich in Kassel niederließ, wo sich zahlreiche Schüler um ihn ver sammelten. Spohr war aber auch ein bedeutender Komponist, dessen Ruf zu seiner Zeit größer war als der Marschners und Lortzings. 1816 unternahm Spohr eine Konzertreis durch die Schweiz nach Italien. Aus diesem Anlaß komponierte er für sich sein achtes Violinkonzert, das er „in Form einer Ge sangsszene“ abfaßte. Dieser Titel sagt vielerlei aus. Zunächst will Spohr mit der Violine „singen“ und durch die Melod en seine Gefühle aussagen. Dann hat er mit der Absicht, dieses Konzert in Form einer Szene zu komponieren, eine dramatische Note in das Werk bringen wollen, so wie in einer Szene durch die auftretenden Personen immer die Stimmung und der Inhalt des Geschehens wechseln. Und zuletzt hat er dieser Szene einen einzigen Rahmen gegeben, was in der Einsätzigkeit dieses Opus 47 zum Ausdruck kommt. Die „Gesangsszene“ ist eines der belieb testen Stücke der Violinkonzertliteratur. Es hat sich bis heute auf den Programmen gehalten und übt immer noch seine Wirkung des Schönklanges und der manchmal weichen Schwermut aus, die von vielen Hörern als das wahre Merkmal der Romantik angesprochen wird. Franz Schubert (1797—1828) hat ebenso wie sein so sehr verehrtes Vorbild Beethoven neun Sinfonien geschaffen, von denen uns nur acht bekannt sind, während die sogenannte „Gasteiner Sinfonie“ ver schollen ist. Unter ihnen befinden sich Meisterwerke wie die „Unvollendete“ in h-Moll, die „Tragische“ in c-Moll, die große Sinfonie Nr. 7 in C-Dur, von deren „himmlischen Längen“ Schumann schwärmte. Die B-Dur-Sinfonie ist die zweite in der Reihe. Er begann sie am 10. Dezember 1814 und vollendete sie am 24. März 1815. Er war also erst 17 Jahre alt. Mozart und Haydn standen dabei Pate. Schubert gibt sich ganz „klassisch“, so daß ihn Moser heute den „Klassiker der Romantik“ oder den „Roman tiker der Klassik“ nennt, womit er andeuten will, daß Schubert auf der Grenzscheide zwischen diesen beiden Epochen der Musik steht. Nach einer lang samen Einleitung mit punktierten Akzenten läuft ein sehr lebhaftes, sich ganz klassisch verhaltendes Thema ab, in dem sich Kraft und Grazie vereinen. Ein süßes zweites Thema schafft den nötigen Kon trast, der der Sinn eines jeden ersten Sinfoniesatzes ist. Der Versuch, diese beiden Gegensätze zu ver einen, ist die Aufgabe der umfangreichen Durch führung, die Schubert mit Meisterschaft bewältigt. Das Andante läßt in fünf Variationen die Vielfalt des Inhaltes eines schlichten, volkstümlichen Themas erkennen. Tanzfreudigkeit und eine derbe Lust zeichnen das Menuett aus, während das Trio ein hübsches Volkslied enthält. Der Schlußsatz ist ein rasendes Rondo von einer trotzdem anmutigen Klar heit und Schlankheit. Die Musik wirbelt und tanzt gleichsam dahin und zeigt eine köstliche Frische. Obgleich in der Sinfonie nicht die eigentlichen Schuberttöne erklingen, sind wir ihm für dieses klas sische Werk äußerst dankbar. Heinrich Marschner, der 1795 in Zittau geboren wurde und 1861 in Hannover starb, ist einer der großen unbekannten Frühromantiker, der genialisch veranlagt, auf Wagner einen bedeutenden Einfluß ausübte. Er steht im Schatten Webers und Wagners und wird deshalb oft übersehen. Seine dramatischen Hauptwerke sind die Opern „Der Vampyr“ (1828), „Templer und Jüdin“ (1829) und „Hans Heiling“ (1833). Hans Pfitzner bearbeitete diese drei Werke, denn er sah in ihnen Hauptwerke der Frühromantik, die er für unsere Bühnen erhalten wissen wollte. Marschners Musik hat außer einem Zug zur Dämonie auch alle Merkmale echter Volkstümlichkeit. Marsch ner, der eine Zeit Kapellmeister an der Dresdner Oper war, verwendete eine erzgebirgische Sagengestalt mit seinem Hans Heiling, diesem suchenden Wesen aus dem Reiche der Erdgeister, das Menschengestalt annimmt und Freud und Leid auf der Erde erlebt, Liebe und Haß an sich erfährt und wieder ins Geister reich zurückkehren muß. Mit einem Solo des Horns, dem Lieblingsinstrument der Romantik, beginnt die Ouvertüre, die sich bald ins Leidenschaftliche und Dämonische wendet, womit sie ein Bild Hans Hei- lings malen will. Es gibt ein liebliches Thema, das seine Braut Anna darstellen soll — aber immer wie der aufbegehrende, unruhvolle Stellen in der Musik, die den Zwiespalt dieses halb elkischen, halb mensch lichen Wesens ausdrücken. Gegen Schluß wendet sich jedoch die Musik vom düsteren f-Moll zum helleren F-Dur, womit der versöhnliche Ausgang des Ge schehens angezeigt wird. Joh. Paul Thilman