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■ /*5. —Vi» RICHARD STRAUSS, geb. 11. Juni 1864 in München, bekannte sich als Symphoniker zur Gefolgschaft eines Berlioz und Liszt. Was diese begonnen, setzte er nrit neuen und erstaunlichen Mitteln fort. Die durch das „Programm“ gestärkte poetisch-künstlerische Intention geht die denklich engste Verbindung ein mit dem Wirklichkeitssinn. Die mikroskopische Klein malerei der modernen Partitur wird Ingrediens und Bildungsfaktor zugleich, und mit der durchbrochenen Arbeit des Partitur bildes stimmt die (häufig) kürzere Fassung der Themata vollkommen überein. Oft mag es dem Kunstfreunde nicht leicht fallen zu erkennen, wo das unmittelbar ursprüngliche Schaffen aufhört, wo die mehr oder minder ausklügelnde orchestrale Virtuosität beginnt und auch Gewöhnliches etwa eben nur mit Aufwand von ebenso eminenten wie raffinierten Mitteln gesagt wird. Immer ist der dichterische Grundgedanke der geistig-musikalische Motor. Aber zuweilen mag es wohl scheinen, als ginge das Ganze auf in der Fülle der überaus zahlreichen feinen Details. Sinnliches und Geistiges zieht Richard Strauß in das Bereich der jederzeit und unverkennbar von dramatischem Puls vor- und aufwärts getriebenen symphonischen Darstellung. Traumhafte Idealistik folgt auf derbe Realistik. Don Juan, der Idealist der Sünde, schreitet dem ernsten, grübelnden Zarathustra voran, des Künstlers eigenes Leben wird in „Tod und Verklärung“, in der Sinfonia domestica und im „Heldenleben“ Quell des kompositorischen Schaffens. Macbeths unheilvolle Leidenschaft findet nur schwer Ruhe und Aussöhnung, Don Quichote und Sancho Pausa müssen jeder auf seine Weise im Weibe das reizende Unheil erkennen lernen. Und über alle hinweg schwingt Till Eulenspiegel laut lachend die klingende Schellenkappe. Also findet eine jegliche Gestalt ihre eigene Atmosphäre. In der symphonischen Dichtung „Tod und Verklärung“ wandelt der Komponist, ganz Realist und doch Poet, auf schwermutsvolien Pfaden. Als junger Meister schrieb Richard Strauß dieses op. 24. Ein großer Zug herrscht darin. Eben so durchaus persönliche Eigenheit. Dem Gedanken dient die Faktur. Er bildet sich die Form. Strauß besaß die Kühnheit, an sich Furchtbares musikalisch zu verdichten und mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln künstlerisch darzustellen. Er ver mittelt uns Eindrücke, die etwa jenen eines Totentanzes ähneln. In dieser Komposition ist alles Energie, aber keine Roheit noch Aufdringlichkeit. Vielleicht, daß sich dem Künstler das große Geheimnis von Leben und Sterben einstmals in schweren Leidensstunden selbst entschleierte. Wenigstens empfängt der Hörer einen solchen Eindruck als sei diese Musik vom Dasein nicht eben nur abgeschrieben, sondern das Produkt einer großen Persönlichkeit. Vor der lux perpetua aeterna erlischt der schwachdämmernde Schein der Totenlampe. Merkwürdig und lehrreich dabei, wie Strauß gerade hier mit wenigen Tonschritten und Akkordfolgen nicht allein wundervolle Wirkungen erreicht, sondern vor allem auch schwere, ernste Gedanken zu tief be wegendem Ausdruck bringt. Tonika und Dominante feiern einen neuen Triumph. GUSTAV MAHLER, geb. 7. Juli 1860 im böhmischen Kalischt, steht hinter Richard Strauß unvergleichlich weit zurück. Sein Wollen und Können zeigt diametralen Gegensatz. Er ist durchaus Eklektiker und seine schöpferische Eigenart ist relativ nur gering. Der Dirigent überwog in ihm wesentlich den Autor. In seiner Lyrik liebt er oft volksliedartige Anklänge, die sich auch in manchem Satz seiner Symphonien verspüren lassen. Ein ausgezeichneter Musiker, wurde Gustav Mahler eine Zeitlang von einer Partei noch vor kurzer Zeit, gefördert und getragen. Des Komponisten Lieder werden längeres Leben haben als seine Symphonien. Denn diese könnten recht wohl das Motto tragen: Den Freunden und der Vergangenheit gewidmet. . . . ANTON BRUCKNER wurde als Schulmeisterssohn im oberösterreichischen Ansfelden am 4. September 1824 geboren, kam als Sängerknabe in das Stift St. Florian und amtierte dann als Schulgehilfe in Windshag. Hierauf siedelte er als Stifts organist nach St. Florian über und erhielt 1855 die Linzer Domorganistenstelle. Von Linz aus reiste Bruckner oft nach Wien, um bei Sechter Kontrapunkt zu studieren. Nach Sechters Tod wurde der Meister Hofkapellorganist und Lehrer am Wiener Konser vatorium sowie auch Lektor an der Universität. Er starb zu Wien am 11. Oktober 1896. Die siebente Sinfonie (E-dur) erstand in den Jahren 1881 bis 1883. Sie steht zur lokalen Musikgeschichte Leipzigs in enger Beziehung. Am 30. Dezember 1884 fand hier ihre Uraufführung in einem Theaterkonzert statt. Der ehemalige Bruckner schüler Arthur Nikisch führte den Stab und bereitete dem verehrten Lehrer den Weg. Denn bis dahin war Bruckners Name wenig oder gar nicht bekannt. Jetzt mit einem Schlage stand der Meister inmitten der musikalischen Kunstwelt, angestaunt, verehrt und angefeindet und gehaßt. Die 7. Sinfonie ging ihren Weg. Sie wurde innerhalb eines Dezenniums aufgeführt in München, Wien, Hamburg, Berlin, Graz, Amsterdam und New York. Bruckners 7. Sinfonie steht in enger Beziehung zu ihrer Vorgängerin, jener in A-dur. Hier wie dort handelt es sich keineswegs um Konflikte. Sie ist im Gegenteil Emanation einer wundervollen seelischen Abgeklärtheit, zugleich aber auch einer Gottestrunkenheit, wie sie sich oft auch in der bildenden Kunst des Barokzeitalters darstellt Vielleicht wurde sie auch zum Teil inspiriert durch Erinnerungen an die Tage von St. Florian, allwo eine gottvergnügliche Heiterkeit herrschte. Im 1. Satze waltet jene Freudigkeit in Gott, die den Meister Bruckner insbesondere charakterisiert, gebieterisch vor. Überall tut sich Enthusiasmus kund, der sich unausgesetzt rastlos zu ekstasischem Aufschwung steigert und zu visionärer Schauung gelangt. Der Satz ist ein orchestrales Gloria; transzendentale Kräfte waren seine Urheber. Und so geht die Stimmung auch in der Durchführung immer höher und höher hinauf, enger verschlingen sich die Linien der kunstvoll gewebten Polyphonie; das Orchester wird zu immer größerer Entfaltung gezwungen, intensiveres Schauen himmlischer Gesichte beglückt, erhebt, erfüllt den Meister. Der 2. Satz (Adagio) hat seine eigene Geschichte. Es ist die letzte, Richard Wagner dargebrachte Huldigung. Aus Venedig kam die Trauerkunde von des bayreuthischen Meisters Abscheiden. Bruckner hatte ihn abgöttisch verehrt und geliebt. „Das Adagio hab' ich wirklich auf den Tod des Großen, Einzigen geschrieben. Teils in Vorahnung, teils als Trauermusik nach der eingetretenen Katastrophe“, bekannte Bruckner selbst. Das Adagio kontrastiert gewaltig zum Eingangssatz. Es herrscht leidvolle Resignation, kampflose Stille. Dem Gedanken tiefer Trauer folgt jener der alles überwindenden, alles in sich aufneh menden Liebe (Fis-dur). Gar herrlich entwickelt sich allmählich choralähnliche Stimmung, dann der Hymnus des Auferstehungs glaubens — mit Decsey zu reden, ein Aufsteigen aus Grab und Nacht zu Glanz an Gottes Seite und zu ewigem Leben. Es ist mit vollem Recht gesagt worden, dieser Brucknersche Satz sei eine der großartigsten Verkündigungen der Musik. Er ward denn auch gewählt, des heimgegangenen Meisters Totenfeier musikalisch zu verklären. Das (a-moll) Scherzo läßt nichts verspüren von dem durchaus völkischen Östreichertum, das Bruckner mit Franz Schubert verwandt erscheinen läßt. Der Satz klingt wider vom wilden Humor eines Giganten oder tollen Waldschrattes, der Bäume ausreißt oder mit gewaltigen Felsblöcken Kegel schiebt. Des Tondichters Trachten geht auf schier grimmigen Humor aus und seine Sprache hat hahnebüchene Akzente. Aber er muß zu Atem kommen. Im Trio breitet sich Ruhe aus; Violinen und Celli führen die Kantilene. Beinahe lyrisch ausbreiten wollen sich die Geister. Jedoch es ist, als möchten sie sich selbst und einander nicht trauen; leise, ganz leise beginnt’s wieder zu rumoren. Die Pauke haut dazwischen: und zum andern Mal hebt das wütende Gemächte an, wie es wohl die germanischen Urväter vom Wuodan und Thor träumten. Aus diesem und aus dem Eingangssatz wird das und jenes im F i n a 1 e übernommen. Gewiß nicht im wörtlichen Sinne, wohl aber gefühls- und stimmungsgemäß. Im Verlaufe wird der Enthusiasmus des ersten Satzes noch um ein Weites übertrumpft und die seelische Verzückung noch wesentlich potenziert. Und es ist, als könne sich Meister Anton nimmer-getun, also künden es die blechblasenden Männer. Jedoch ist auch hier, inmitten alles Sturmes und Dranges, nichts von polemischen Gegensätzen zu finden. Bruckner bleibt der er ist, der breit ausladende Epiker, der, unbeirrt von Zeit und Raum, in ruhig fort fließender Erzählung darzustellen beliebt. E. S.