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8. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Freitag, den 16. April 1982, 20.00 Uhr Sonnabend, den 17. April 1982, 20.00 Uhr cJroscJmon philhsmooniikori Johannes Winkler Dirigent: Solist: Vaclav Hudecek, CSSR, Violine Alban Berg 1885-1935 Drei Orchesterstücke op. 6 Präludium Reigen Marsch Johannes Brahms 1833-1897 Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 Allegro non troppo Adagio Allegro giocoso, ma non troppo vivace PAUSE Ludwig van Beethoven 1770-1827 Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 (Pastorale) Allegro ma non troppo (Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft dem Lande) auf Andante molto mosso (Szene am Bach) Allegro — (Lustiges Zusammensein der Landleute) Allegro (Gewitter, Sturm) — Allegretto (Hirtengesang, frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm) Der 1952 geborene tschechische Geiger VACLAV HUDECEK hat eine erstaunliche Karriere in den Konzertsälen der Welt angetreten. Auch zahlreiche Schallplatten-, Rundfunk- und Fernsehaufnahmen haben seinen Ruf schnell verbreitet. Schon als Fünfjähriger begann er — unter Anleitung des Vaters — mit dem Geigenspiel, absolvierte 1964—1967 ein außerordent liches, 1967—1968 ein ordentliches Studium bei J. Micka am Prager Konservatorium sowie 1968—1973 bei V. Snitil an der Akademie der Musischen Künste Prag. 1970 - 1974 trieb er daneben Studien bei D. Oistrach in Moskau. Er ist mehrfacher Preisträger nationaler Wettbewerbe und errang 1966 den 2. Preis und 1967 den 1. Preis des Internationalen Rundfunkwettbewer bes „Concertino Praga". 1967 debütierte er in London beim Royal Philharmonie Orchestra, 1968 beim „Pra ger Frühling", wo er 1972 unter der Leitung von D. Oistrach mit der Tschechischen Philharmonie Tschai kowskis Violinkonzert musizierte. Mit der Dresdner Philharmonie konzertierte er bereits in den Jahren 1971, 1978 und 1979. ZUR EINFÜHRUNG Der österreichische Komponist Alban Berg, anfänglich kleiner Wiener Beamter, in den Jahren 1904 bis 1910 Schüler von Arnold Schönberg, dessen spätere Komposi tionsmethode „mit 12 nur aufeinander bezoge nen Tönen" in persönlicher Modifizierung Grundlage seines Schaffens wurde, 1930 zum Mitglied der Preußischen Akademie der Künste ernannt und 1933 von den Faschisten verboten, schuf mit seiner 1925 von Erich Kleiber an der Berliner Staatsoper uraufgeführten Oper „Wozzeck" ein Hauptwerk des musikalischen Expressionismus. In den 1914 komponierten, 1929 überarbeite ten und vollständig erst 1930 unter Johannes Schüler in Oldenburg uraufgeführten Drei Orchesterstücken op. 6, deren er sten und zweiten Satz Anton von Webern 1923 in Berlin erstmals vorgestellt hatte, zeigt sich Berg weniger der Welt des Komponisten Schönberg, dessen Fünf Orchesterstücke op. 16 etwa, verpflichtet als man meinen sollte, schließlich widmete er das Werk seinem „Lehrer und Freunde Arnold Schönberg in unermeßlicher Dankbarkeit und Liebe" zu des sen 40. Geburtstag. Sein Opus 6 ist vielmehr die schöpferische Auseinandersetzung mit Gustav Mahlers Konzeption der Sinfonie. Mahlers Einfluß manifestiert sich in diesem letzten Frühwerk des jungen Berg unüberhör bar und verschwand von da an niemals mehr aus dem Weltbild des reifen Berg. Der Komponist bekannte sich in den drei Stücken des op. 6 zu zwei Fundamentaltypen der Mahlerschen Sinfonik, die er in einzigarti ger Weise schöpferisch weiter entwickelte: zu dem dramatisch gesteigerten, in einen kata- strophischen Höhepunkt gipfelnden Marsch und zu dem bäuerischen ländlerartigen Wal zer-Scherzo. Seine Stücke, Präludium, Reigen, Marsch überschrieben, die nicht die aphoristi sche Kürze Webernscher Instrumentalminia turen anstreben, sind sinfonische Prozesse von außerordentlicher, oft beklemmender Intensi tät, in denen häufig die Impulsivität der Mah lerschen Klanggestik nachklingt. Mahlersche „Schicksalsrhythmen" prägen sowohl die kurze Steigerung des gleichfalls marschartigen Prä ludiums wie den Marsch, in dem die drei Schicksalsschläge des Hammers aus Mahlers 6. Sinfonie als Symbol katastrophischen Ge schehens wiederkehren. Während Berg an sei nem Opus 6 arbeitete, brach der erste Weltkrieg aus! Das Präludium entwickelt sich crescendierend aus geräuschhaften Anfängen bis zu getürmter imitatorischer Ballung, um in den entgegen gesetzten Vorgang der Auflösung umzuschla gen. In nahezu symmetrischer Anordnung grup - pieren sich die mannigfachen Walzeraspekte des Reigens, der das (von Schubert her be kannte) Sonaten-Scherzo repräsentiert, aller dings ohne Mahlers Trioepisoden. Berg selbst soll das Marsch-Finale, ein ausgesprochener Sinfoniesatz Mahlerscher Prägung mit vierfach gestaffelter Einleitung, zweifachem Hauptsatz, Reprise und Coda, als die komplizierteste bis dahin geschriebene Partitur bezeichnet haben, wohl in Anspielung auf die Vielzahl einzeln, Ausgangselemente, deren ständige Umwari lung sich formal in ruhelosen, oft hektisch oszi lierenden Spannungskurven und — an Höhe punkten — in Bergs „Katastrophenrhythmus" äußert. Johannes Brahms schrieb sein einzi ges, im Jahre 1878 komponiertes Violin konzert D-Dur op. 77 für seinen lang jährigen Feund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihm auch bei der Ausarbeitung der Solostimme in violintechnischen Fragen ratend zur Seite stand (ohne daß Brahms al lerdings auf alle Änderungsvorschläge Joachims eingegangen wäre). „Nun bin ich zufrieden, wenn Du ein Wort sagst und viel leicht einige hineinschreibst: schwer, unbe quem, unmöglich usw.", können wir in einem Brief vom August 1878 an Joachim lesen, den der Komponist ihm zusammen mit der zu be gutachtenden Violinstimme schickte. In seiner Antwort darauf bemerkte der Geiger, „daß das . . . herauszukriegen“ und ein Teil sogar „recht originell violinmäßig" sei. Bereits am Neu jahrstag des folgenden Jahres wurde das in einer glücklichen, fruchtbaren Schaffensperiod| entstandene Werk (auch die 2. Sinfonie D-D^ und das 2. Klavierkonzert B-Dur stammen aus dieser Zeit und zeigen manche dem Violin konzert verwandte Züge) mit Joachim als Soli sten unter Brahms' Leitung uraufgeführt. Das Konzert, das sich in bezug auf Aussage, Form und Anlage außerordentlich vom Typ des zeitgenössischen Virtuosenkonzertes unterschei det, war vom Komponisten zuerst viersätzig geplant worden. Da Brahms aber „über Ada gio und Scherzo gestolpert ist", komponierte er den Adagio-Satz neu und ließ die beiden ursprünglichen Mittelsätze wegfallen. Trotz dem ist die ausgesprochen sinfonische Anlage des Konzertes unverkennbar. Schon Clara