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8. ZYKLUS-KONZERT JOSEPH HAYDN UND DER KLASSIZISMUS Donnerstag, den 1. April 1982, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden Freitag, den 2. April 1982, 20.00 Uhr Dirigent: Johannes Winkler Solisten: Nannita Peschke, Berlin, Sopran Ute Walther, Rostock, Alt Christian Vogel, Leipzig, Tenor Gothart Stier, Leipzig, Baß Chöre: Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung Matthias Geissler Philharmonischer Kinderchor Dresden Einstudierung Wolfgang Berger Orgel: Hans Fromm Arthur Honegger 1892-1955 Sinfonie Nr. 4 (Deliciae Basilienses) Lento e misterioso — Allegro La rg hetto Allegro PAUSE Joseph Haydn 1732-1809 Messe für Soli, Chor, Orgel und Orchester B-Dur (Harmoniemesse) Kyrie (Poco Adagio) Gloria (Vivace assai — Allegretto — Allegro spiritoso) Credo (Vivace) Sanctus (Adagio — Allegro) Benedictus (Molto allegro) Agn.us dei (Adagio — Allegro con spirito) ZUR EINFÜHRUNG Der Schweizer Komponist Arthur Honeg ger wurde 1892 in Le Havre geboren. 1909 bis 1910 besuchte er in Zürich, woher seine El tern stammten, das Konservatorium. 1911 bis 1913 wurde die musikalische Ausbildung in Paris (u. a. bei Vincent d’lndy) fortgesetzt. In der französischen Hauptstadt schloß sich Honegger vorübergehend der Komponisten gruppe der „Six" an. Er wirkte als Dirigent und Klavierbegleiter, trat später auch als Kritiker he' Är und wurde Lehrer für Komposition. Ae.<- ’nlußreich ist sein 1951 erschienenes Buch „Je suis compositeur“ („Ich bin Komponist“). Honegger starb 1955 in seiner französischen Wahlheimat, in Paris. International bekannt wurde er 1921 mit seinem szenischen Oratorium „König David". Der Komponist — eine der bedeutendsten Erschei nungen des 20. Jahrhunderts — hat sich in seinem Schaffen vielen Genres zugewandt. Neben Sinfonien und anderen sinfonischen Werken, Konzerten und Klaviermusik stehen Oratorien, Opern, Operetten und Bühnenmusi ken sowie Kompositionen für Hörspiel und Film. Von Anbeginn seiner kompositorischen Tätigkeit bemühte sich Honegger um die schöpferische Fortführung großer Traditionen, beispielsweise der Bachschen Polyphonie, ließ er sich vom Neoklassizismus ebenso anregen wie vom Impressionismus und vom Jazz. Wich tig für seine Haltung als Komponist ist das Bekenntnis: „Es war immer mein Wunsch und mein Bemühen, eine Musik zu schreiben, welche für die große Masse der Hörer ver ständlich und doch vom Banalen so weit frei wäre, daß sie auch noch die wirklichen Musik- fre'ujde zu fesseln vermöchte." V ■illem aber gehörte Honegger zu den wenigen humanistischen bürgerlichen Künst lern seiner Zeit, die auf die gesellschaftliche Situation ihrer kapitalistischen Umwelt, auf die Erschütterungen des zweiten Weltkrieges zu mal, sehr stark reagierten. Die für ihn typi sche Mischung von sensibler Geistigkeit und leidenschaftlichem Ausdruckswillen steht be sonders in seinen fünf Sinfonien im Dienste betonter Auseinandersetzung mit der Gegen wart. Honegger weiß um die Bedrohung der Humanitas in der spätkapitalistischen Welt. Die 1946 vollendete und am 12. Januar 1947 uraufgeführte Sinfonie Nr. 4 (Deli- c i a e Basilienses) (ihr Untertitel lautet: „Basler Freuden“) entstand im Auftrage des Basler Kammerorchesters und seines Leiters Paul Sacher zum zwanzigjährigen Jubiläum des Ensembles. Man hat nicht zu Unrecht darauf hingewiesen, daß dieses intime, gelöste Werk die großen Vorbilder Haydn und Mozart spü ren läßt. Zum ersten Satz (Lento e misterioso / Allegro) bemerkte der Komponist, er spiegle musika lisch einen seelischen Zustand wider: Mißliche Lebensumstände der Nachkriegszeit weckten die Sehnsucht nach einem Sommeraufenthalt bei Freunden in der Schweiz. Nach klangzarter langsamer Einleitung entfaltet sich im Allegro- hauptsatz ein fröhliches melodisches Wechsel spiel der Instrumente und Instrumentengrup pen, in dem zwei Gedanken die Hauptrolle spielen. Gelegentlich fehlt es nicht an kräfti gen dynamischen und rhythmischen Akzenten, aber insgesamt dominiert heitere, pastorale Gelöstheit. Im zweiten Satz (Larghetto) legt Honegger der gesamten melodischen Entwicklung ein von Franz Abt stammendes Baseler Volkslied zu grunde: ,,Z' BasI an mim Rhy". Der besondere Effekt liegt hier darin, daß die Liedmelodie in ihrer originalen Gestalt erst am Satzende, vom Horn, vorgetragen wird. Das Finale (Allegro) besticht durch seinen kräftigen rhythmischen Elan. Es ist zugleich überaus kunstreich gearbeitet: Elemente von Rondo, Passacaglia und Fuge werden wech selnd genutzt und auch gekoppelt. Hier klingt ebenfalls eine Volksliedweise, und zwar der „Basler Morgenstreich“, auf. Vor dem Schluß teil bringt ein kurzer Adagio-Einschub Besin nung, ehe der Satz locker und elegant zu Ende geführt wird. „Indessen bin ich an der Neuen Mess sehr mühesam fleissig, noch mehr aber forchtsam, ob ich noch einigen Beifall werde erhalten können." Als Joseph Haydn mit diesen Zeilen Fürst Nikolaus Esterhazy im Jahre 1802 das Entstehen einer „Missa solemnis B-Dur“ ankündigte, hatte der Siebzigjährige sein umfangreiches Lebenswerk beinahe voll endet. Von sich bereits als einem alten, ge brechlichen Greis redend — er ließ sich sogar eine Besuchskarte drucken mit dem Notentext: „Hin ist alle meine Kraft, alt und schwach bin ich“ — schien es dem als Hof-Compositeur an das neu erblühte Esterhäzysche Orchester zu rückgekehrte Haydn immer schwerer zu werden, Werke von solcher Meisterschaft und Originali tät zu schreiben, die ihm wie die „Schöpfung“, die „Sieben Worte“ oder die „Londoner Sin-