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Sonntag, den 2. September 1979, 19.30 Uhr, im Festsaal des Kulturpalastes Dresden Konzert der Dresdner Philharmonie Dirigent: Herbert Kegel Solisten: Oleg Kagan, Sowjetunion, Violine Natalio Gutman, Sowjetunion, Violoncello Johannes Brahms 1833-1897 Konzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102 Allegro Andante Vivace non troppo PAUSE Gustav Mahler 1860-1911 Sinfonie Nr. 1 D-Dur Langsam, schleppend Kräftig bewegt Feierlich und gemessen, ohne zu schleppen Stürmisch bewegt Oleg Kagan, 1946 in Jushno — Sachalinsk geboren, wurde seit 1953 im Geigen spiel ausgebildet, ehe er 1965—1969 am Moskauer Konservatorium bei B. Kus nezow und David Oistrach studierte und von 1969—1971 daselbst eine Aspiran tur innehatte. 1964 gewann er den 4. Preis des George-Enescu-Wettbewerbes Bukarest, 1965 den 1. Preis des Sibelius-Wettbewerbes Helsinki, 1966 den 2. Preis des Tschaikowski-Wettbewerbes Moskau und 1968 den 1. Preis des Bach-Wettbewerbes Leipzig. Seit 1971 ist Oleg Kagan, der zu den hervor ragendsten jüngeren Vertretern der sowjetischen Geigerschule gehört, Solist der Moskauer Philharmonie.' Gastspiele führten ihn in viele Länder Europas und nach Japan. In den letzten Jahren pflegt er auch nachdrücklich das Kam mermusikspiel mit seiner Frau Natalia Gutman und mit Swjatoslaw Richter, mit dem er Schallplatten einspielte. Mit den Dresdner Philharmonikern musi zierte er seit 1968 wiederholt. Natalia Gutman, Solistin der Moskauer Philharmonie und eine der führenden gegenwärtigen sowjetischen Cellistinnen, stammt aus einer Musikerfamilie. Bereits mit fünf Jahren wurde sie in die Moskauer Gnessin-Musikschule auf genommen. Später setzte sie ihre Studien an der Zentralen Musikschule in Moskau bei den Professoren S. Aslamasjon und G. Kosolupowa fort und ab solvierte schließlich das Moskauer Konservatorium, wo sie heute selbst ein Lehramt ausübt. Als Aspirantin von M. Rostropowitsch vertiefte sie anschließend am Leningrader Konservatorium ihre Ausbildung. Bereits 1959 gewann sie den 1. Preis des internationalen Instrumentalistenwettbewerbes anläßlich der Welt festspiele der Jugend und Studenten in Wien, 1961 den 2. Preis des sowjetischen Allunionswettbewerbes und den 1. Preis des Dvoräk-Wettbewerbes in Prag. 1962 wurde sie Preisträgerin des Tschaikowski-Wettbewerbes Moskau. Seitdem folgte sie zahlreichen In- und Auslandsverpflichtungen. Für ihre kammermusi kalischen Leistungen erhielt sie 1967 gemeinsam mit Alexej Nassedkin den Preis für Duospiel im Wettbewerb der Münchner Rundfunkanstalten. Bei der Dresdner Philharmonie war sie seit 1965 oft zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG „Von mir kann ich Dir recht Drolliges erzählen. Ich habe nämlich den lustigen Einfall gehabt, ein Konzert für Geige und Cello zu schreiben. Wenn es einiger maßen gelungen ist, so könnte es uns wohl Spaß machen. Du kannst Dir wohl vorstellen, was man in dem Fall alles angeben kann — aber stelle es Dir nicht zu sehr vor. Ich habe das hinterher auch gedacht, aber da war's fertig", schrieb Johannes Brahms im August 1837 in einem Brief an Clara Schumann. Dieses Werk, das Doppelkonzert für Violine, Violoncello und Orchester a-Moll op. 102, sollte das letzte Orchesterwerk des Meisters werden. Es entstand 1887 während seines Sommeraufenthaltes in der Schweiz am Thuner See und war von ihm als eine Art „Versöhnungskomposition" für seinen Jugendfreund, den berühmten Geiger Joseph Joachim, gedacht worden, da zwischen ihnen — infolge von Streitigkeiten, die den Scheidungsprozeß Joachims betrafen, — eine starke Trübung der Freundschaft eingetreten war. Brahms litt sehr unter diesem gespannten Verhältnis und wollte versuchen, durch die Komposition des Doppelkonzertes die einstigen engen Beziehungen zu Joachim wieder zu knüpfen, was ihm auch tatsächlich gelang. Es entspann sich eine ausgedehnte Korrespondenz um das neue Werk zwischen beiden, und am 21. September 1887 konnte Clara Schumann in ihr Tagebuch eintragen: „Joachim und Brahms haben sich seit Jahren zum ersten Male wieder gesprochen". Bereits am 18. Oktober wurde das Doppelkonzert mit Joachim und Robert Hausmann als Solisten unter der Leitung des Komponisten in Köln uraufgeführt. Leider hat das Werk aller dings bis heute im Vergleich zu den „übrigen orchestralen Schöpfungen Brahms' immer einen etwas schweren Stand gehabt, was zum Teil vielleicht an einer gewissen Herbheit liegen mag, zum Teil aber sicher auch darauf zurück zuführen ist, daß das Konzert durch die Notwendigkeit, gleich zwei Solisten von Rang heranziehen zu müssen, seltener als die übrigen Instrumentalkonzerte des Komponisten zur Aufführung gelangt und den Hörern dadurch weniger vertraut ist. Dennoch offenbart das Brahmssche Doppeikonzert, in dem sich kammermusikalische, konzertante und sinfonische Elemente organisch verbinden, eine Fülle mannigfaltiger Schönheiten und steht als würdiger Ausklang des orchestralen Schaffens des Meisters gleichberechtigt neben seinen anderen großen Orchesterwerken. Von zwingender Einheitlichkeit ist der erste Satz des Konzertes, dessen Charak ter durch Kraft und trotzige Energie bestimmt wird. Nach einer kurzen Orchester einleitung, die bereits das Hauptthema andeutet, beginnt das Solo-Cello un begleitet mit einem rezitativartigen, präludierenden Umspielen des Themas. In den darauf folgenden fünf Takten Bläsersatz und dem ersten Einsatz der Solo-Violine klingt schon das zweite Thema des Satzes auf. Es schließt sich ein Dialog zwischen beiden Soloinstrumenten an, dann erst ertönt im Orchester.die ausführliche Exposition der beiden Hauptthemen, zu denen .im Verlaufe des Satzes noch verschiedene Nebengedanken treten. Die Durchführung bringt.ein kontrastreiches, vor allem rhythmisch sehr differenziertes Wechselspiel zwischen Solisten und Orchester. In dreiteiliger Liedform ist der langsame, von Hornrufen eingeleitete zweite Satz des Werkes angelegt, dessen thematische Grundlage ein weitgeschwun genes, kantables Thema bildet. Besonders charakteristisch für dieses besinnliche Andante ist die häufige, klangsatte Parallelführung der zwei Soloinstrumente in Oktaven. Der Mittelteil des Satzes moduliert von D-Dur nach F-Dur; das Seitenthema mit seinen Terzen- und Sextenparallelen erklingt durch Flöten, Klarinetten und Fagotte und wird von den Solisten aufgegriffen und verziert.