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ZUR EINFÜHRUNG Manfred Weiss, 1935 in Niesky geboren, studierte nach dem Abitur 1952 bis 1957 an den Musikhochschulen in Halle und Berlin Komposition bei Hans Stieber und Rudolf Wagner-Regeny, bei dem er außerdem bis 1959 einen Meisterkursus an der Akademie der Künste in Berlin absolvierte. Seitdem wirkt er als Dozent für Komposition und stellvertre tender Abteilungsleiter an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber" Dresden. Sein kompositorisches Schaffen, das in den letzten Jahren zunehmende Beachtung fand und 1977 mit der Verleihung des Martin-Andersen-Nexö- Kunstpreises der Stadt Dresden, des Hanns- Eisler-Preises von Radio DDR (für das Orgel konzert) sowie des Kompositionspreises Hans Stieber gewürdigt wurde, umfaßt bisher ver schiedene Orchesterwerke (darunter zwei Sinfo nien, Musik für 12 Blechbläser und Pauken, Orchesterlieder „Ahnung der Liebe", Toccata für Orchester, Klavierkonzert, zwei Streicher musiken, Sinfonische Fantasie), die Brecht- Kantate „An meine Landsleute" und vor allem Kammermusik. Nachdem die Dresdner Philhar monie schon 1967 ein Orchesterwerk von Manfred Weiss (Präludium, Meditation und Hymnus) sowie 1973 und 1974 Kammermusik werke (Streichtrio und 2. Klaviertrio) urauf führte, erlebte im Juni 1979 ein weiteres Werk des Dresdner Komponisten seine Uraufführung bei der Dresdner Philharmonie, das im Auf trag des Orchesters geschaffene Konzert für Violine und Orchester, das 1976/77 entstand. Jedes neue Werk, das Manfred Weiss vorlegt, kündet von der Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Zielstrebigkeit seines schöpferischen Weges. Das Konzert für Orgel, Streichor chester und Schlagzeug wurde 1974/ 75 im Auftrag der Staatstheater Dresden kom poniert und am 6. 1. 1977 durch Prof. Ama deus Webersinke und die Staatskapelle Dres den unter Siegfried Kurz erfolgreich uraufge führt. Nun wird das Werk im Anschluß an die Aufführungen im 1. Philharmonischen Konzert mit Prof. Webersinke und der Dresdner Phil harmonie unter Prof. Herbert Kegel für ETERNA eingespielt. Der Komponist gibt folgende Ein führung in das Stück: „Das Konzert für Orgel, Streichorchester und Schlagzeug ist einsätzig, gliedert sich aber in drei ineinander überge hende Teile, deren erster und dritter rasches Tempo aufweisen, während der zweite Teil in einem langsamen Tempo abläuft. Der erste Teil erinnert mit zwei Themen und einer Art Durchführung an die Sonatenform. Statt der Reprise erklingt eine Kadenz der Orgel. Als Ausgangspunkt für die Melodik ist ein am Beginn stehendes Dreitonmotiv entscheidend, das später häufig zur Intervallfolge des B-A- C-H-Motives umgebildet wird. Für die Harmo nik des Satzes, wie auch des gesamten Werkes ist ein aus Clustern (Tontrauben) und Quint intervallen bestehender Zwölftonakkord be stimmend. Während der erste Teil eine frische Aktivität unter Einbeziehung von marsch- und jazzartigen Elementen ausstrahlt, wirkt der zweite Teil, der von Streicherclustern mit Schlagzeugeinwürfen getragen ist, schmerzlich und erinnert in gewisser Hinsicht an eii^k Blues. Der von der Orgel eingeleitete dr^P Teil versucht zunächst, diese Stimmung durch tänzerische Aktivität im Dreiachteltakt zu über winden, die vor allem durch einen ostinaten Paukenrhythmus hervorgerufen wird. In einem Mittelteil bricht jedoch jäh, vom Pedal der Or gel intoniert, zusammen mit Beckenschlägen der Cantus firmus der alten Sequenz .Media in vita' (.Mitten wir im Leben sind vom Tod umfangen') herein, der im Wechsel zwischen Orgel und Orchester vollständig intoniert wird. Nur schwer gelingt es den tänzerischen Ele menten sich danach wieder durchzusetzen, und erst eine synthetische Verarbeitung dieser Elemente zusammen mit dem Choral macht nach einem schmerzlichen Höhepunkt von Or gel und Orchester den Weg frei für die Über windung der Todesgedanken. Das Werk will kein einseitiges Virtuosenstück sein, vielmehr wird der musikalische Inhalt im Wechselspiel zwischen Soloinstrument und Or chester abgehandelt, wobei aber das Soloin strument durchaus konzertant im Vordergrund steht." Nicht nur von Beethoven, auch von Franz Schubert gibt es eine „Missa solemnis": seine Messe Nr. 5 für Soli, Chor, Orgel und Orchester As-Dur. Und noch erstaunlicher: Beide wurden in denselben Jahren komponiert (Beethoven 1819—1823, Schubert 1819—1822). Beethoven schrieb seine Missa für die Inthronisierung des Erzherzogs Rudolph als Erzbischof von Olmütz, Schubert gedachte sich damit dem kaiserlichen Ehepaar selbst als Komponist zur Geltung zu bringen, mußte freilich zu dem mehrfach umgearbeite ten Werk dreier Jahre zu hören bekommen: „Ihre Messe ist gut, doch leider nicht im Stil, den der Kaiser liebt." Für Messen, wie der • ser sie liebte, gab es ein Rezept: „Nicht zu g noch zu schwer in der Ausführung“. Das stand im schroffen Gegensatz zum Anliegen der Künstler. Denn worauf es Beethoven wie Schubert ankam, bestand gerade darin, die Messe zur zyklischen Großform auszuweiten und dem Oratorium zur Seite zu stellen. Der Kaiser hingegen, und hinter ihm der Klerus, hatten eine gute Witterung dafür, worauf die Sache hinauslief: auf die Emanzipierung vom liturgischen Gebrauch, auf die Konzertmesse, auf die Aufhebung des religiösen im ästheti schen Erlebnis. Als Schubert die abgewiesene Partitur wieder unter den Arm nahm, sagte er sich mit ironischer Selbstsicherheit: „Nun, so bin ich denn nicht so glücklich, im kaiserlichen Stil schreiben zu können". Denn zum Unter schied von den früheren Messen Schuberts wollte dieses neue Werk durchaus nicht mehr in den alten Rahmen passen. Es gab da Par tien, die einfach unvereinbar waren mit dem Muster der Wiener Orchestermesse, wie sie vor allem Michael und Joseph Haydn geschaffen hatten. Es begann schon mit der Tonart. Eine Messe in As-Dur war durchaus ungebräuchlich. Schlimmer noch, daß es nicht dabei blieb; von «t zu Satz wechselte die Tonart. Den größ- Anstoß mußte zweifellos der Anfang des ictus erwecken, der über Bläser-Raunen und Streicher-Tremolo den dreifachen Heilig-Ruf in einer Folge von Harmoniewechseln aufbaute, wie man sie selbst bei Beethoven vergeblich suchen würde. Das war derselbe Schubert, über dessen ungewohnte Modulationen damals die Presse herfiel, indem sie ihn mit einem Fuhr mann verglich, der mit acht Pferden bald rechts, bald links ausweiche, ohne die Straße halten zu können. Der Zeitgeist kam aber auch von einer Seite herein, die man heute vielleicht am wenigsten bemerken wird: von einer Vermenschlichung der Religiosität, die mit dem kirchlichen Dog ma immer weniger vereinbar war. Schubert gibt sich gar nicht erst Mühe, etwa wie Beet hoven mit dem Dogma zu ringen. Wo es ihn stört, läßt er den geheiligten Text sogar einfach aus (z. B. „Credo in unam sanctam catholicam ecclesiam"). Mit dem kanonisierten Missa- Ordinarium verfährt er unverkennbar als der Liederkomponist. Es ist sogar ein bewunderns werter Zug der As-Dur-Messe, wie es Schubert immer wieder überraschend gelingt, für die widerstrebendsten lateinischen Prosastellen klar geordnete Liedverhältnisse zu schaffen. Das Mittel: eine oft verblüffend einfache vers- mäßige Anordnung. Bei aller Ausdehnung hat er so jeden Satz, jeden Satzteil auf unge wöhnlich durchsichtige und überschaubare Verhältnisse gebracht. Solchen souveränen Vereinfachungen fällt jedoch der Ausdruck an keiner Stelle zum Opfer; im Gegenteil, es wird ihm eine Direktheit und Größe gesichert, wie wir sie nur aus den schönsten Schubert-Liedern kennen. Besonders hat es ihm das Bild des Menschensohnes angetan. Schon im Kyrie wird der „Christe“-Teil unerwartet schmerzlich in toniert. Dasselbe wiederholt sich bei dem acht stimmigen Misterioso des „et incarnatus est", und anschließend daran bis zum gepeinigten Aufschrei in der „kreuzigenden" Melodik des „Crucifixus". Darin lag entschieden mehr als bloße Befolgung rhetorischer Tradition. Die Schändung des Menschensohnes hat Schubert zweifellos als die größte Schmach des Men schengeschlechtes empfunden. „Du herrlicher Christus", liest man in seinen Briefen, „zu wie viel Schandtaten mußt du dein Bild herleihen. Du selbst das gräßlichste Denkmal der Ver worfenheit, da stellen sie dein Bild auf, als wollten sie sagen: ,Seht, die vollendete Schöp fung des großen Gottes haben wir mit frechen Füßen zertreten; sollte es uns etwa Mühe ko sten, das übrige Ungeziefer, genannt Men schen, mit leichter Hand zu vernichten?"