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Dresdner Journal : 18.05.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-05-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id480674442-191205187
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id480674442-19120518
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-480674442-19120518
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Dresdner Journal
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-05
- Tag 1912-05-18
-
Monat
1912-05
-
Jahr
1912
- Titel
- Dresdner Journal : 18.05.1912
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2. Btilage zu Nr. 114 des DresdNtk JMNMls Sonnabend, 18. Mai 1912. Reichstag. Sitzung vom 17. Mai 1912. Am BundeSratstische: Reichskanzler vr. v. Bsthmann. Hollweg, die Staatssekretäre v. Kiderlen-Waechter und vr. Lis co sowie preußischer Minister v. Breitenbach. Präsident vr. Kaempf eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 5 Min. Aus der Tagesordnung stehen zunächst kurze Anfragen. Abg Lolshorn (Welse) fragt: Ist dem Hrn. Reichskanzler der authentische Wortlaut der Kundgebung Sr. Majestät des Kaisers an den Bürgermeister von Straßburg bekannt, die eine eventuelle Verfassung und eventuelle Einverleibung von Elsaß-Lothringen in Preußen zum Gegenstände gehabt haben soll. Übernimmt der Hr. Reichskanzler die verfassungsmäßige Verantwortung für die Kundgebung? Reichskanzler vr. v. Bethmann Hollweg: Ich werde zu dieser Angelegenheit bei der sofort beginnenden Beratung meines Etats sprechen. Abg. vr. Quarck-Franksurt (soz.) sragt: Ist der Hr. Reichs kanzler bereit, Auskunft darüber zu geben, ob nach dem Vorgang von Frankreich nunmehr auch der Abschluß einer Literatur konvention zwischen Deutschland und Rußland auf Grund des Artikels 35 des russischen ttrheberrechtsgesetzes vom 20. März 1911 zu erwarten steht? Geh. Legationsrat vr. Lehmann: Verhandlungen sind in dieser Frage im Gange. Es folgt die zweite Beratung des Etats des Reichs kanzlers. Es sollen zunächst die Fragen der inneren Politik er örtert werden. Abg. Scheidemann (soz): Wir empfinden eine gewisse Zärt lichkeit dem Reichskanzler gegenüber, der uns mit seiner Politik zu unserer jetzigen Stärke verholsen hat. Die Kaiserliche Gunst hilft allein nicht, wenn man sonst allgemein ei» Mann des Miß trauens ist. Wenn der Reichskanzler den internationalen Frieden will und wenn er eine deutsch-englische Verständigung herbeisühren will, so wünschen wir, daß er hierin mehr Erfolg hat, als aus dem Gebiete der inneren Politik. Wir leben jetzt in Übergangs zeiten, und da m«b es schwer sein, eine richtige Politik zu machen. Unhaltbar ist die Aufrechterhaltung des persönlichen Re giments. (Sehr richtig!) Dieses persönliche Regiment steht im Widerspruch mit den Wünschen des ganzen Volkes. Wenn der Reichstag nicht energischer wird, dann muß er bald Platz macheu energischeren Männern, die dafür sorgen werden, daß bald nach der Errichtung der chinesischen Republik auch Preußen-Deutschland zu einem modernen Staate umgestaltet wird. (Lachen rechts, Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Unser System der Reichsfinanzpolitik ist morsch! Der Reichskanzler ist Konservator preußischer Altertümer, denn er hat die Wahlresorm in Preußen hintertrieben. Auf die Versprechungen der Thronrede ist keine Einlösung erfolgt. Hier ist eine Ehrenschuld abzutragen. Das Volk erwartet aber nichts mehr von oben, sondern verläßt sich auf seine eigene Kraft. Wird dieses gefährliche Spiel fortgesetzt, so heißt das, das Schicksal herausfordern Der Vorgang in der Grafenstadener Maschinenfabrik gibt schwer zu denken, zumal die Vorgänge durch einen „exzellenten" Denunzianten zur Sprache gekommen sind. Wenn die Ver fassung Elsaß-Lothringens in Scherben geschlagen und dieses Volk in Preußen einverleibt werden soll, so ist das allerdings die An drohung der schwersten Strafe (Heiterkeit), das bedeutet Zuchthaus strafe und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte. (Lärmende Pfui rufe rechts, Lärm, Sehr richtig! bei de» Sozialdemokraten). Man sollte weniger unvorsichtig sein bei der Verletzung eines Volkes in die zweite Klasse des Soldatenstandes. Präsident vr. Kaempf: Ich bür« Sie, sich zu mäßige», sonst müßte ich Sie zur Ordnung rufen. (Der Reichskanzler, die Staats sekretäre Kühn, vr. Liseo, Minister v. Breitenbach, sowie die Regierungskommissare und ein großer Teil der Rechten verlassen ostentativ den Saal. Rufe bei den Sozialdemokraten: Endlich allein! Rufe: Raus! Große Unruhe.) Ich behalte mir vor, einen Ordnungsruf auf Grund des Stenogramms noch nachträglich zu erteilen. Abg. Scheidemann (soz.) fortfahrend: Was sagt Hr. Basser mann dazu, der ja schon zum Petroleur von Mannheim avanciert ist? (Glocke). Präsident vr. Kaempf ruft den Redner zur Ordnung. (Große Heiterkeit links). Abg. Scheidemann: Das war natürlich nur scherzhaft ge meint! Wir wollen nicht, daß Preußen länger das deutsche Sibirien bleibt. (Pfuirufe rechts, Lärm). Präsident vr. Kaempf: Ich rufe Sie zur Ordnung! Abg. Scheidemann (soz.): Ich werde gegen diesen Ordnungs ruf Beschwerde führen. Es sollte nicht heißen, in Elsaß-Lothringen zurück, sondern in Preußen vorwärts! Das Eindringen der Polizei in das preußische Abgeordnetenhaus ist eine Erscheinung der völlig verrotteten, unhaltbaren Zustände. Präsident vr. Kaempf: Ich bitte auf die Dinge im Land- tage nicht cinzugehen. Abg. Scheidemann (soz.): Über eine solche Geschäftsführung meines kurzfristigen Kollegen Kaempf bin ich erstaunt. Bisher was es stets zulässig, auf solche Sachen hier einzugehen. Die Mitglieder der Mehrheit im Abgeordnetenhaus sind nicht da auf Grund eines Gesetzes, sondern aus Grund einer Verordnung, die vor 63 Jahren unter Bruch eines Königlichen Wortes zustande kam. (Große Unruhe; Präsident vr. Kaempf rügt diesen Ausdruck. Die Vorgänge im Abgeordnetenhaus« waren lediglich ein Ergebnis des dortigen Bodens. (Große Unruhe.) Treiben Sie diese Dinge nicht zu weit, das Volk fühlt sich beleidigt. Präsident vr. Kaempf rügt nachträglich auf Grund des Stenogramms die Ausführungen des Redners. Abg. vr. Spahn (Z.): Ich halte es nicht für gerechtfertigt, auf die Angelegenheit im Abgcordnetenhause einzugehen, weil die Sache noch schwebt. Anders liegt es mit der angeblichen Äußerung des Kaisers in Straßburg. Ich bedauere diese Äußerungen und die Drohungen, die darin ausgesprochen sein sollen. Selbstverständlich hat der Kaiser nicht die Macht, die Reichslande einem Bundes staate einznverleiben ohne Anhörung der Volksvertretung. Abg. vr. Graf v. Schwerin-Löwitz (kons.): Ich halte eS nicht für angezeigt, auf angebliche Äußerungen des Kaisers hier einzugehen, solange nicht der authentische Wortlaut vorliegt. Die Vorgänge in Elsaß-Lothringen bestärken uns in der Annahme, daß es em Fehler war, dem Reichslaude die Verfassung zu geben, und daß wir im Recht waren, sie abzulehnen. Ob und wie dieser Fehler wieder gut zu machen ist, mag der Zukunft Vorbehalten bleiben. Ebenso gehe ich nicht ein auf die Frage der Führung der Geschäfte im Abgeordnetenhaus«. Für uns steht die Frage des Ab- schlusses der neuen Handelsverträge im Vordergrund des Interesses. Dabei ist zu berücksichtigen der ganze wirtschaftliche Aufschwung, den unsere Entwicklung seit Verabschiedung des Zolltarifs ge nommen hat. (Sämtliche Sozialdemokraten, die in lebhaften Unterhandlungen miteinander zusammen gestanden hatten, ver lassen de» Saal. Im Hause herrscht große Unruhe, in der die meisten Worte des Redners verloren gehen. Die Sozialdemokraten erscheinen nach und nach wieder auf ihren Plätzen.) Ziel und Aufgabe der deutschen Landwirtschaft wird es sein, den inländischen Bedarf selber zu decken. Daß wir das Ziel erreichen werden, steht zu erwarten, wenn wir die Landwirtschaft schützen. Während der weiteren Ausführungen des Redners erscheinen einige Bundesratsvertreter, unter diesen der hanseatische Gesandte Klügmann und Unterstaatssekretär Richter, wieder auf der Bundes- ratsempore, entfernen sich aber alsbald wieder, was in den Reihen der Sozialdemokraten schallende Heiterkeit auslöst. Als Redner ausführlich auf die Wirtschaftspolitik eingeht, bittet ihn der Präsident, nicht zu weit vom Thema abzuschweifen. Graf v. Schwert« (schließend): WaS wir wollen, ist überall eine ziel- und kraftbewußte innere und äußere Politik! (Lebhafter DeiM rechts.) Präsident vr. Kaempf: Ich habe mir vorher schon einmal die Rede des Abg. Scheidemann angesehen und habe mir das Stenogramm kommen lassen. Nun finde ich darin noch folgendes: Der Hr. Abgeordnete hat gesagt: Wir meinen aber noch, daß man mit solchen Drohungen, wie mit der Versetzung in di« zweite Klasse des Soldatenstandes, oder mit der Versetzung in die unterste Stufe eines Staatsbürgers, in Preußen doch etwas vorsichtiger sein soll". Durch diese Äußerung wird Preußen auf das schwerste verletzt, und ich rufe den Abg. Scheidemann deshalb nachträglich noch zur Ordnung. (Lebhafter Beifall rechts, Lachen bei den Sozialdemokrqten.) Während der folgenden Rede des nationalliberalen Abg. van Ealker betreten die Bundesratsmitglieder um ^4 Uhr wieder den Saal, von den Sozialdemokraten mit Gelächter und ironischen Zurusen wie „Arbeitswillige" begrüßt. Aba. vr. van Ealkcr (nl.): Ich wollte als Altdeutscher und Neuelsässer heute eigentlich über die Dinge reden, die über Elsaß- Lothringen hinaus ganz Deutschland interessieren. Nach den Worten des ersten Redners aber habe ich ganz vergessen, daß ich ein Elsässer bin, es kam mir die Zeit in Erinnerung, als ich in früher Jugend das Lied lernte: Ich bin ein Preuße! (Lebhafter Beifall rechts und bei den bürgerlichen Parteien, Lärm bei den Sozialdemo, traten und Lachen.) Ich bin sehr traurig darüber, daß Sie darüber lachen können, wenn ein Deutscher uno Preuße sich aus vollem Herzen zu seinem Vaterlande bekennt. Gerade als solcher fühle ich mich in diesem Hause. (Lebhaftes Bravo!) Wir haben die heilige Verpflichtung, eingedenk zu bleiben, was Preußen für Deutschland gewesen ist. (Lebhaftes Bravo!) Gegen die Rede des Abg. Scheide mann muß ich entschieden protestieren. In England beleidigt niemand den König, das ist nicht gentlemanlike. (Sehr gut!) Da richtet sich ein solches Verhalten selber. (Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten, Lärm.) Wir müssen weiter marschieren aus dem von Bismarck gezeigten Weg. Das ist geschehen durch die Ver leihung der Verfassung an Elsaß-Lothringen. Ich hoffe, daß die weitere Entwicklung eine gedeihliche sein wird. Die Grafenstadener Resolution der Zweiten elsässischen Kammer bedauere ich. Un richtig ist die französische Auffassung, als ob in Elsaß-Lothringen das Volk in Fesseln schmachte und darauf warte, sich Frankreich wieder anschließen zu können. Tatsächlich sind es sehr wenige, die nach Frankreich zurückkehren möchten. (Sehr gut!) Fehler werden auch von der Regierung gemacht, die der Entwicklung hinderlich sind und die vermieden werden müssen, wenn Elsaß-Lothringen von ganzem Herzen deutsches Land werden soll. Sind Äußerungen des Kaisers geschehen, wie sie getan worden sein sollen, so sind sie zwar bedauerlich, anderseits hat der Kaiser aber das Recht, auch unwillig zu sein. Für die Elsässer sollte es heißen: gouvenir ja, vspöranov nein, niemals! Wir müssen in dem Bewußtsein arbeiten, daß Elsaß-Lothringen ein deutsches Land ist. (Bravo!) Reichskanzler vr. v. Bethmann Hollweg: Auf die Vorgänge, die mich und die Mitglieder des BundeSrates veranlaßt haben, eine Zeitlang den Saal zu verlassen, gehe ich hier selbstverständlich nicht ein, nachdem von feiten des Präsidenten ein Ordnungsruf wegen der Äußerungen, die der erste Vorredner gemacht hat, er teilt worden ist. Ein Mann, der von seinem Laude so spricht, wie es geschehen ist (Zuruf von den Sozialdemokraten: Sein Land?) verurteilt sich selbst. (Stürmischer Beifall rechts, große Unruhe links). Ihre Zwischenrufe, m. H., machen mich nicht irre in meinen Gefühlen als Preuße und guter Deutscher, der weiß, was Deutsch land Preußen verdankt. (Lebhafter Beifall). Der Kanzler gibt hierauf eine Darstellung der Grafenstadener Angelegenheit. Im Januar d. I. ist die preußische Eisenbahnverwaltung durch Zeitungs- ausführungen und durch eine uiit Namensunterschrift versehene Zuschrift daraus aufmerksam geworden, daß die Leitung des Grafenstadener Werkes in direkt deutsch-feindlichem Sinne wirke. Danach hat die Eisenbahnverwaltmig im Vernehmen mit der Landesverwaltung eine Untersuchung angestellt, deren Ergebnis der Untcrstaatssekrctär Mandel in der elsässischen Kammer mitgeteilt hat. Die elsaß-lothringische Regierung erklärte, es sei für sie notorisch, daß der leitende Direktor des Werkes die Seele aller deutsch-feindlichen Bestrebungen sei, die sich in und um Grasenstaden bemerkbar machten. Alle persönlichen Beziehungen zwischen der Fabrikleitnng und den Behörden hätten anfgehört nnd daran habe dieser Direktor schuld; er benutze jede Gelegenheit, nm sich über deutsches Leben in abfälliger und häßlicher Weise zu äußern. Aus Grund dieses Ergebnisses stellte die Eisenbahn verwaltung dem Werke die Einstellung weiterer Aufträge in Aussicht, falls nicht in bestimmter Frist dieser Direktor von seinem Posten entfernt würde. (Hört! hört! links, Beifall rechts). Das ist der Tatbestand. Es ist unbegreiflich, wie man daraus Vorwürfe gegen die Eisenbahnverwaltung herleiten kann. Für die deutsche Eisenbahnverwaltung ist es ein Ding der Unmöglich keit, geschäftliche Beziehungen zu einem Werke aufrechtzuerhalten und ihm jährlich Millionen Bestellungen zuzuwenden, dessen Leitung die Verachtung deutschen Wesens zur Schau trägt und in die Tat umsetzt. (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Die deutschen Eisenbahuverwaltungen würden pflichtwidrig gehandelt haben, wenn sie diese Vorgänge ignoriert hätten. Es ist nicht Ge sinnungsschnüffelei gewesen. Auch der Vorwurf, die Eisenbahn verwaltung wäre von der rheinisch-westfälischen Industrie als Vor- spann benutzt worden, um die Konkurrenz von Grafenstaden aus zuschalten, ist hinfällig. Preußen sieht es als seine Ausgabe an, die reichsländische Industrie soviel als möglich zu fördern und ich setze mich dafür ein, daß das bauen,d geschieht. (Bravo!) Also, m. H., das Konkurrenzmotiv fällt weg; es besteht nur in der Phantasie derjenigen Personen, welche die Angelegenheit politisch ausbeuten möchten gegen Preußen. Für die zweite Hälfte von 1912 werden die Bestellungen für Grafenstaden noch zurückgehalten, in der Hoffnung, daß noch eine Verständigung gelingt. Diese Verständigung ist bisher nicht zustande gekommen, weil das Werl sich weigert, den Direktor zu entlassen. (Sehr richtig! bet den Sozialdemokraten.) Es ist selbstverständlich, daß die Eisenbahn verwaltungen auf ihrer Forderung bestehen. Wenn die Arbeiter der Fabrik Not leiden sollten, wird eS das Werk sein, das die alleinige Verantwortung dafür trägt. (Sehrrichtig!) Wenn man der Eisenbahnverwaltung einen Vorwurf machen wollte, so konnte es nur der sein, daß sie zn vorsichtig vorgegangen ist. In anderen Staaten wäre die Antwort aus ein Verhalten, wie es hier die Wcrkleitung gezeigt hat, die gewesen, daß einfach die Bestellungen aufhören, ohne daß man überhaupt in Verhandlungen eintritt. Die Verhandlungen galten auf beiden Seiten als vertraulich. Die Vertraulichkeit ist aus fetten der Regierung auf das strengste ge wahrt worden. Der Abg. Blumenthal war es, der in der elsässischen Kammer die Angelegenheit zum erstenmal vor die Öffentlichkeit gebracht hat und sie in nationalistischem Interesse zu verwerten suchte. Damit komme ich auf die allgemeine politische Bedeutung dieses Falles. Die elsässische Kammer hat hier ganz offen für Grafenstaden Partei genommen, und aus diesen und anderen Vorkommnissen haben die Gegner der vorjährigen Ver fassungsgesetzgebung den Schluß gezogen, daß diese Gesetzgebung verfehlt oder doch verfrüht gewesen sei. Daß sich die neue Ver fassung leicht und ohne Reibungen einleben würde, habe ich nicht erwartet. Hr. van Calker hat in ganz ausgezeichneter Weise das chwierige Milieu Elsaß-Lothringens bezeichnet, die Schwierig eiten, die sich daraus ergeben, daß das Land, das in seiner ganzen vergangenen Geschichte sich keines selbständigen staatlichen Lebens zu erfreuen gehabt hat, jetzt übergegangen ist zu einen« großen Maße staatlichen selbständigen Lebens. Diese Schwierigkeiten ind zuerst drastisch hervorgetreten bei den ersten Wahlen znr elsässischen Kammer im vorige«, Herbst. Eharakteristisch für die verworfenen Zustände, die damals entstanden, Ware« auch die Gewissenskonflikte, in die ein Teil der deutschen Wählerschaft geriet, als sie vor die Frage gestellt wurde, ob sie mit Hilfe der Sozialdemokratie den Nationalismus überwinden oder ihm durch Stimmenthaltung zu», Siege verhelfen sollte. Ob diese Vorgänge eine andauernde politische Blutung habe««, ob die Ver fassung nuzweckmäßig gewesen sei, das kann heute nicht entschieden werden. Aber unzweiselhast haben diese Vorgänge das nationale Empfinde«« weiter deutscher Kreise tief verletzt. (Sehr richtig!) Dieser Unwille ist eS, dem Se. Majestät der Kaiser in seinem Gespräch mit dem Oberbürgermeister von Straßburg Ausdruck gegeben hat. (Sehr richtig! rechts.) Wegen dieses Gesprächs sind in der Öffentlichkeit heftige Angriffe gegen den Kaiser gerichtet worden. Ich lege gegen diese Angriffe Verwahrung ein. (Große Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Die Worte des Kaisers sind durch eine bedauerliche Indiskretion, an der aber der Herr nicht beteiligt war, an den die Worte gerichtet worden sind, in die Öffentlichkeit geraten, und zwar, was peinlich ist, in einer franzö sischen, Zeitung. (Sehr richtig! rechts. Lärm bei den Sozial demokraten.) Trotz dieser Veröffentlichung ist keine Situation geschaffen worden, für die ich nicht die Verantwortung trüge. Solange ich an dieser Stelle stehe, trete ich vor den Kaiser, nicht aus höfischen Rücksichten, die mir draußen in der Presse angehängt worden sind, die kenne ich nicht, sondern aus staatlicher Pflicht; und wen«« ich dieser staatlichen Pflicht nicht gerecht werden kann, dann werden Sie mich nicht mehr an diesein Platze sehen! (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Also Sie billigen den Ver fassungsbruch?) ES hat dem Kaiser völlig ferngelegen, die Rechte von Bundesrat und Reichstag auch nur irgendwie zu berühren. Der Kaiser hat auch nicht davon gesprochen, daß jetzt an eine Revision der Berfassungszustände Elsaß-Lothringens herangetreten werde«« soll. Verwunderlich ist es, daß elsaß-lothringische Politiker die Zeit für gekommen erachten, um die Verfassungsgesetzgebung von« Reiche aus das Land zu übertragen. Davon kann keine Rede sein. Elsaß-Lothringen ist Reichsland. Nur Bundesrat und Reichs tag werden darüber zu befinden habe««, ob einmal die Ver fassungszustände geändert werden müssen, und wie. Bundesrat und Reichstag werde««, wen«« ihnen solche Beschlüsse ausgenötigt werden sollte««, sich nur von de» Lebensinteressen des Reiches leiten lassen. Bei Elsaß-Lothringen steht es, ob diese Lebensinteresse»« die Erhaltnug und Konsolidierung der dem Lande gegebenen Frei heit und Selbständigkeit oder ihre Einschränkung fordern werden. Das Land wird sich sein Schicksal selber schassen. Niemand kann die Augen davor schließen, daß deutsch-feindliche Bestrebungen im Lande vorhanden sind, die aus dem Land ein der Verbindung mit dem Reiche widerstrebendes Land machen möchten. Gegen diese Bestrebungen muß alles, was deutsch ist, zusammcnstehen, dam« werde«« sie überwunden werden. Das und die Sorge sür die Zu kunft des Reichslandes ist Kern und Inhalt der ernsten Mahnung des Kaisers gewesen. (Abg. Ledebour: Fanle Ausrede!) Dar über ist sich die ganze Nation einig: Elsaß-Lothringen ist ein Land, das zu uns gehört wie jeder andere Teil des deutschen Vaterlandes! (Lebhafte Zustimmung rechts.) Sollten—ich glaube es nicht — Treibereien die Überhand gewinnen, welche diese Tatsache auch nur entfernt in Zweifel ziehen können, dann aller dings würde cs Pflicht des Bundesrats und des Reichstages sein, »ach Mitteln auszuschaue», um diese Treibereien zuschanden zu machen, und — des bin ich gewiß — diese Pflicht würde dann erfüllt werden, dein« es wäre eine Pflicht deutscher Ehre! (Leb hafter Beifall rechts; Zische«« links; wiederholter sich steigernder andauernder Beifall rechts, anhaltendes Zischen links. Ruse bet den Sozialdemokraten: Feige Ohnmacht!) Vizepräsident Tove: Ich muß de» von dem Abg. Ledebour gemachten Zwischenruf „Faule Ausrede" ganz entschieden zurück weisen. Abg. vr. Haas Baden (fortschr. Vp ): Der Reichskanzler hat unzweifelhaft ein großes Verdienst um die Schaffung der elsaß- lothri,»gischen Verfassung. Da hätte er sich Loch etwas ernstere Gedanken machen sollen über die Vorgänge in Straßburg. Es ist eine Schamlosigkeit, daß dieses Privatgespräch hinausgetragen worden ist und namentlich an die französische Presse. Was ist denn in Elsaß-Lothringen so Schweres vorgekommen? Vor zehn Jahren beurteilte der Kaiser die Loyalität der Elsaß-Lothringer ganz anders, als er de«« Tiktaturparagraphen aufheben wollte. Weite Kreise der dortigen Bevölkerung sühlen sich als gute Deutsche, das zeigt auch die Niederlage der Nationalisten bei den Landtags wahlen. Eine Rückwärtsentwicklung der Verfassung ist nicht an gebracht. Im -Elsaß ist es nicht schlechter geworden, nein, das Gegenteil ist eingetreten. Wenn noch nicht alles gnt ist, so trägt auch die Regierung ein gut Teil Schuld daran. Das Kaiserwort hat großen Schaden angerichtet sür die deutsche Sache iin Elsaß. Es freuen sich die französische Regierung, das frauzösische Volk nnd die phantastisch nationalistischen Volksteile über diese Worte. Das ganze deutsche Volk ist aber bitter berührt. Eine Zürückhaltung auch ii« Privatgesprächen des Kaisers ist nicht zu spüren gewesen. Welche Depesche aus Berlin hätte wohl ein süddeutscher Fürst be kommen, wenn er sich ähnlich geäußert hätte? (Sehr gut!). De»« Nationalisten Frankreichs wollen wir sagen: Elsaß-Lothringen schaut nicht zu euch herüber. Aber die Elsaß-Lothringer mögen bedenken, daß jene Worte wenig Bedeutung haben. Das Wort des deutschen Volkes ist in dieser Frage mächtiger als das des Kaisers. (Beifall.) Abg. Lchultz-Bromberg (Rpt.): Der Kaiser hat sich stets als warmer Freund von Elsaß-Lothringen gezeigt; deshalb war es erklärlich, daß der Kaiser darüber, daß er in so undelikater Weise von der Kammer behandelt »vurde, sich unwillig zeigt. Seine War nungen waren durchaus berechtigt, über die Form, die uns noch nicht einmal bekannt ist, läßt sich streite««, von Staatsstreichgelüsten ist darin aber keine Rede gewesen. Die Worte über Preußen sind tief betrübend, die Hr. Scheidemann fand. Sie können das Maß der Beleidigungen berghoch auf Preußen häufen, Sie werden nie mals das Maß der Verachtung erreichen, die Sie dafür trifft. (Glocke. Vizepräsident Tove: Haben Sie damit Hrn. Scheide mann gemeint?) Seine Worte habe ich damit auch gemeint. Wir sind erfüllt von dem stolzen Gefühl, Preuße,« zu sein, dem Staat anzugehören, den Sie so hassen, den« Staate Friedrichs de- Großen, an dein Ihre Vorwürfe zerschellen und zerrinnen werden. Abg. Hauß (Els.): Ich bin auch einer der Missetäter, welche die Abstriche iin reichsländischcn Etat vertreten haben. Von einer Reichsseindlichkett kann keine Rede sein. Die Beamtenschaft schreit nach Aufbesserung ihrer Bezüge, da mußte au überflüssiger« Dingen gespart werden. Auf Grund der Berichte zweifelhafter Personen ist das Verfahren gegen den Grafenstadener Direktor eingeleitet worden, der noch erst kürzlich zum Prüfungskommissar der Kaiserl. Technischen Schule in Straßburg ernannt worden ist. Niemand von uns, von meiner Partei, denkt daran, Elsaß-Loth ringen vom Reiche loszureißen. Nein, wir geben gern dein Reiche, was ihin gebührt, verlangen aber auch, daß es uns nicht zu Reichs bürgern zweiter nnd dritter Klasse degradiert. Die Drohungen haben bei uns nicht besonderen Eindruck gemacht; wir im Wetn- lande legen kein besonderes Gewicht aus Tischgespräche. (Heiter keit.) Eine Einverleibung in Preußen wäre nicht so schlimm, denn schlechter kann es nicht für uns werden. (Heiterkeit.) Der Kaiser ist schlecht informiert worden, und zwar von unserer eigenen Re gierung. Wir bitten den Reichskanzler, den Kaiser eines Besseren zu belehren. (Beifall.) Abg. vr. Lensch (soz ): Der Abg. Scheidemann hat sich nur gegen das rückständige Preußen gewandt, gegen das nicht ge nügend scharfe Worte gefunden werden können. Der Reichskanzler ist lediglich Vertrauensmann des persönlichen Regiments, als solcher hat er keinen Anspruch darauf, sich als Mundstück nationaler Empfindungen hinzustellen. Die Sozialdemokratie hat schon Gute- geleistet, als Exzellenz Bethmann Hollweg noch in den Windel«
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