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ZUR EINFÜHRUNG Der Österreicher Anton von Webern, als Komponist der wohl konsequen teste Schüler Arnold Schönbergs, in den Jahren 1921 bis 1934 angesehener Diri gent der Wiener Arbeiter-Sinfoniekonzerte, seit 1923 auch des Wiener Arbeiter- Singvereins, 1945 von einem amerikanischen Besatzungssoldaten erschossen, erlebt seit den 50er Jahren eine erstaunliche Renaissance in westeuropäischen Ländern, während er zu Lebzeiten mit seiner esoterischen Kunst in zunehmende Isolation geriet. Ein großer Teil seines nur 31 Werknummern zählenden gedruck ten Schaffens galt der Vokalmusik, aber auch seine Orchester- und Kammermusik ist von Gewicht. Die Sechs Stücke für Orchester o p. 6, in erster Fassung 1909 ent standen, entstammen der frühen Schaffensperiode des Komponisten. „Arnold Schönberg, meinem Lehrer und Freunde, in höchster Liebe" gewidmet, steht über der Partitur, die von Schönbergs „Fünf Orchesterstücken op. 16“ mit den Ver suchen zur sogenannten Klangfarbenmelodie angeregt und am 31. März 1913 im Großen Musikvereinssaal in Wien unter Schönbergs Leitung uraufgeführt wurde. Die in den vorausgegangenen „Fünf Sätzen für Streichquartett op. 5" von We bern erreichte musikalische Aussage auf engstem Raum mit ihren extremen Klanglagen und der subtilen „Haarnadeldynamik" übertrug der Komponist in den Orchesterstücken op. 6, die heute in der revidierten, besetzungsmäßig redu zierten Fassung von 1928 erklingen, auf die Mittel des großen Orchesters, wo durch er die Klangfarbenpalette seiner Tonsprache bereicherte. Das nahtlose In einandergreifen musikalischer Linien, die im Sinne der „Klangfarbenmelodie" auf verschiedene Instrumente aufgeteilt werden (wie zum Beispiel die am Be ginn des ersten Stückes stehende Melodie auf Flöte, Trompete und Horn aufge spalten ist), und charakteristischer „Akkordfärbungen" (Beginn des vierten Stük- kes) läßt die Komposition, die im Harmonischen noch impressionistische Einflüsse verrät, für die Ausführenden sehr heikel werden. Für den Hörer stellen die Or chesterstücke wie übrigens alle Schöpfungen Weberns insofern Probleme dar, als ihre aphoristische Kürze (Gesamtdauer des Zyklus: ca. 10 Minuten, das längste Stück ist das vierte mit reichlich 3 Minuten Dauer) eine Orientierung erschwert. Kaum hat der Hörer begonnen, sich in einigen motivischen und formalen Be ziehungen zurechtzufinden, ist das Stück schon zu Ende. Aber gerade diese mo tivische Konzentration, stärkste geistige und technische Verdichtung, diese Ten denz zur expressionistischen Miniatur, zum epigrammatischen Klanggebilde ist wohl das charakteristischste Merkmal der Webernschen Kunst. über die Orchestersätze führte der Komponist in expressionistisch gefärbten Pro grammnotizen des Jahres 1933 aus: „Sie stellen kurze Liedformen dar, meist im dreiteiligen Sinne. Ein thematischer Zusammenhang besteht nicht, auch nicht in nerhalb der einzelnen Stücke. Diesen nicht zu geben, war sogar bewußt ange strebt: in dem Bemühen nach immerfort verändertem Ausdrucke. Um den Cha rakter der Stücke — sie sind rein lyrischer Natur — kurz zu beschreiben: das erste (Langsam) drückt die Erwartung eines Unheils aus, das zweite (Beweqt) die Gewißheit von dessen Erfüllung; das dritte (Mäßig) die zarteste Gegensätzlich keit; es ist gewissermaßen die Einleitung zum vierten, einem Trauermarsche (Sehr mäßig); fünf (Sehr langsam) und sechs (Langsam) sind ein Epilog: Erinne rung und Ergebung". Das Unheil, von dem der Komponist spricht, war die nahende Katastrophe des ersten Weltkrieges. Im eindrucksvollsten Stück des Zyklus, im vierten, kommt das deutlich zum Ausdruck. Es hat den Charakter einer Marcia funebre. über einem als Basso ostinato dienenden Geräuschuntergrund erheben sich Klänge von äußerst drohender, beklemmender Wirkung. Wolfgang Amadeus Mozarts Konzertrondo für Klavier undOrchesterD-Dur K V 3 8 2 stammt aus dem Jahre 1782. Der Kom ponist schrieb dieses Werk, das er selbst sehr hoch einschätzte, um damit den letzten Satz seines elf Jahre zuvor in Salzburg entstandenen D-Dur-Klavierkon zerts KV 175 zu ersetzen, an dessen Stelle die für das Wiener Publikum be stimmte neue Komposition als Finale treten sollte. Nachdem Mozart das Rondo am 11. März 1783 in einer Akademie gespielt hatte, berichtete er am folgenden Tage: „Man hörte aber nicht auf zu klatschen und ich mußte das Rondeau repe tieren; — es war ein ordentlicher Platzregen", und in einem Brief vom 23. März schrieb er seinem Vater: „Zugleich überschicke ich ihnen auch das letzte (Rondo) — welches ich zu dem Concert ex D gemacht habe, und welches hier so großen lärm macht. — Dabey bitte ich sie aber es wie ein kleinod zu verwahren — und es keinem Menschen — ... zu spießen zu geben. — ich habe es besonders für mich gemacht — und kein Mensch als meine liebe Schwester darf es mir nach- spiellen." Das kostbare kleine Werk, das sehr gut auch selbständig aufgeführt werden kann, da es seinem Stil nach ohnehin nicht ganz in den Rahmen des soviel früher komponierten D-Dur-Konzerts paßt, ist auf einem nach Rondoart häufig wiederkehrenden, von wechselnden Episoden unterbrochenen anmutig-graziösen Thema aufgebaut. Eine Besonderheit bildet die motivisch völlig selbständige Ka denz, die nicht an das Rondothema anknüpft, sondern gewissermaßen noch einen kleinen motivischen Gegensatz bringt, ehe das Hauptthema vor dem Ab schluß ein letztes Mal erklingt. Claude Debussys Fantasie (F a n t a i s i e) für Klavier und Orchester, 1889/90 entstanden, ist ein Jugendwerk des (damals 27jährigen) Komponisten, dessen Aufführung er Zeit seines Lebens untersagte, obwohl er die Arbeit, wichtiges Glied eines kompositorischen Entwicklungsprozesses, der zu den großen Leistungen von „Jeux" und „La Mer“ führte, durchaus schätzte, wie er mehrfach bekundet hat. Das charmante Werk, das in seiner klassizistischen Form bis heute seine Frische und Eleganz bewahrt hat, wurde schließlich erst nach dem Tode Debussys veröffentlicht und am 20. November 1919 in London mit Alfred Cortot und der Royal Philharmonie Society uraufgeführt. Die Komposition, die in der Behandlung des Klavierparts, in der Aufstellung von Themen und ihrer Verarbeitung noch Einflüsse von Cesar Franck, Gabriel Faure und Chopin verrät, zeigt gleichwohl ihren Autor schon auf dem Weg zu sich selbst. In den späteren Kompositionen Debussys ist die Entwicklung der Themen und Gestalten aus kleinen motivischen Zellen zu beobachten, in denen alles Kommende bereits enthalten ist. Die Fantasie ist zwar nach dem klassi schen dreisätzigen Konzertschema angelegt (Introduktion und ausgebildeter So natenhauptsatz mit zwei Themen an erster Stelle, dann dreiteiliger langsamer Satz, der in das Finale überleitet), doch nimmt sie in struktureller Hinsicht be reits Künftiges vorweg, indem die wichtigsten melodischen Gestalten aller drei Sätze auf das Thema der Holzbläser zu Beginn der Introduktion (Andante ma non troppo) zurückgehen. Das ist schon die Idee jener „Zelle", die gewisser maßen alle melodischen Eigenschaften des Stückes in sich vereinigt. Das Klavier tritt nicht konzertierend in Wettstreit mit dem Orchester, sondern es wird — aller dings virtuos und verschiedentlich führend - eingesetzt, um in Gemeinschaft mit den anderen Instrumenten, unter denen zwei Harfen auffallen, ein Höchstmaß an Farbnuancen zu erbringen. Der erste Satz (Allegro giusto) ist ein bedeutendes, fein ziseliertes Stimmungs bild. Das bereits in der Einleitung (Andante ma non troppo) aufklingende