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„Die Sonne von Beeren" Der Tag der Vergeltung, der 2Z. August 181Z E« regnet — regnet oh»' Unterlaß. in späterer Dichter hat mit diesen Versen versucht, die Stimmung, die in der dritten Augustwochc de» Jahres Dreizehn in Berlin herrschte, wiederzugeden. Zwar hatte man den Kronprinzen von Schweden, den ehemaligen französischen Marschall Bernadotte, Für sten von Pontecorvo, jetzt Oberbefehlshaber der Nordarmcc, mit Jubel begrüßt, als er vor einem Monat in Berlin eingezogcn war. Aber die Nachrichten, die von Tag zu Tag immer bestimmter lauteten, besagten wirklich nichts Gutes. Mit der Hauptmaste seiner Armee sollte der Kaiser in Person im Anmarsch sein, um die preußische Residenz für ihre bisher gezeigte patriotische Gesinnung zu züchtigen. Nicht der Kaiser, wohl aber der Marschall Oudinot, Herzog von Reggio, ein wackerer Haudegen, der im November des vergangenen Jahres an der Beresina die Neste der Großen Armee gerettet und dabei seine zwanzigste Verwundung erhalten hatte, stand an der Spitze der Vrnrec: 60 Lerlin. Außer seinem eigenen Korps, dem XII., gehörte noch zu dieser das IV. des Grafen Bertrand, eines besonderen Vertrauten des Kaisers, und da» VII. Korps des Generals Rcynicr. Der Berliner Armee war ferner nock das III. Rc- serve-KavallerickorpS des General» Arrighi, des Herzoge von Padua, «»gegliedert, das, »ach dem Urteil eines Mitkämpfers, zwar vortrefflich beritten war und auch das Aussehen einer erlesenen Strcilmasic hatte. Aber cs bestand lediglich aus jungen Konskribierten ohne jede KriegScrfahrung, so daß im Vorpostcndienst das Fußvolk genötigt war, sich schützend vor diese glänzende Rcitcrtruppc zu stellen. Im Einvernehmen mit der Berliner Armee Oudinot» sollte außerdem Marschall Davonst, der Herzog von Auerstedt, von Hamburg, der General Girard mit seinen Truppen als Zwischcnkorps von Magdeburg gegen die preu ßische Hauptstadt Vorgehen, an deren Besetzung Napoleon wegen de» moralischen Eindrucks auf die Verbündeten sich sehr viel versprach. Zum Schutze Berlin» und des übrige» Norddeutschlande war die Nordarmce unter dem Kronprinzen von Schweden gebildet worden. Sie setzte sich aus dem schwedischen Korps de» Grafen Stcdingk, dem russischen des Freiherr» v. Wintzingerode, und dem III. und IV. preußischen Korps, die unter dem Bcfekl der Generale v. Bülow und Graf Taucntzien standen, zusammen. Dem Kronprinzen von Schweden war es in erster Linie, um seine durch Adoption er langte Anwartschaft auf den Königsthron des nordische» Reiches nicht zu gefährden, darum zu tun, seine Truppen möglichst zu schonen und sic nicht allzu schweren Verlusten auszu setzen. Denn der deutsche Krieg erfreute sich in Schweden keineswegs allzu großer Volks tümlichkeit. Außerdem würde sein Ansehen als ehemaliger, ruhmgckrönter, französischer Marschall nicht nur in seinem neuen Heimatlande, sondern auch bei den verbündeten Mon archen einen empfindlichen Schlag erlitten haben, wenn er sich einer Niederlage auösctztc. E» regnet und regnet, die Wolken zieh'». Dämmergrau... und die Angst in Berlin! „Nischt mehr zu wollen! Junge, loof! Morgen sind se in Tempelhof!" „Plünderung morgen, Brand und Schafott!" „Einzige Hoffnung der Bernadott'!" Eine solche Kriegführung lag aber durchaus nicht im Sinne des kommandierenden Generals des III. preußischen Armeekorps, des Generals v. Bülow. Er gehörte zu den tüchtigsten Generalen der preußischen Armee und hatte natürlich bei seinem scharfen Ver stände die Beweggründe des schwedischen Kronprinzen bald durchschaut. Bülow war das, was man zu unserer Zeit einen „schwierigen Untergebenen" nannte. Hinzu kam noch, daß Bülow, wenn er sich in gereizter Stimmung befand, maßlos heftig werden konnte, er warf dann mit Gegenständen, die er gerade zur Hand hatte, ganz gleich, ob er bei solcher Gelegen heit einen Stiefelknecht oder ein Tintenfaß erwischte. Gegen seine Untergebenen war er aber die Güte selbst, ihr Wohl war seine ständige Sorge, und er war stets darauf bedacht, ihnen unnötige Strapazen und Entbehrungen fernzuhalten. Nun läuft die Meldung ein, daß die Berliner Armee im Anmarsch ist. Der Kronprinz läßt sein« Generale kommen und eröffnet ihnen, daß er angesichts der Unerprobthcit der preußischen Landwehren und der übrigen ncugebildcten Truppen beschlossen habe, ein gün stigeres Schlachtfeld jenseits Berlins zu wählen, zwei Brücken seien da, um sich nach Nor den zurückzuziehen, uni dann in aller Ruhe in einer neuen Stellung den Feind zu erwarten. Da fährt Bülow auf, die preußischen Truppen, die der schwedische Kronprinz komman dierte, wären die besten Europas, das hätten sie in den bisherigen Kämpfen bewiesen, und für die Schweden würde er, der Kronprinz, wohl selbst cinstehcn. In gesteigerte Erregung hatte sich der General hincingcrcdet, zum Schluß fragte er nun den ehemaligen französischen Marschall mit schneidender Schärfe: „Und wie ist das, Königliche Hoheit, Sie wollen Berlin, die Hauptstadt Preußens, ohne Schlacht prciegcbcn?" Doch im Ton und mit der Gebärde des großen Strategen erwiderte der Armeebefehlshaber: „Lk bien, was ist Berlin? Berlin ist eine Stadt." Da» war der Funke in das Pulverfaß, und es fehlte nicht viel, daß Bülow die Hand an den Degen gelegt hätte: „Eine Stadt, Königliche Hoheit? die Hauptstadt Preußens! Und ich versichere Ew. Königliche Hoheit, daß meine Truppen und ich von jenen Brücken keinen Gebrauch machen werden, sondern daß wir vor Berlin mit den Waffen in der Hand fallen wollen." Der schwedische Kronprinz wurde verlegen und wollte cinlcnkcn, aber Bülow verließ mit kurzem Gruß das Zimmer. Als er nachher zu Pferde stieg, meinte er zu seinem Adjutanten: „Den habe ich weg, der ist nicht der Mann, den wir brauchen, der soll mir mit seinen Moabiter Brücken vom Halse bleiben. Mick bekommt er nickt hinüber. Unsere Knocken sollen vor Berlin bleichen, nicht rückwärts!"