Volltext Seite (XML)
DIE EINIGUNG DEUTSCHLANDS In Preußen berief Wilhelm I., der 1858 Regent und 1861 König geworden war, im September 1862 Otto von Bismarck als Ministerpräsidenten. Bis marck wagte es endlich, Österreich gegenüber eine selbständigere Haltung einzunehmen. Jetzt lehnte König Wilhelm sogar die Teilnahme an einem deutschen Fürstenkongreß ab, der die Reform des Deutschen Bundes be raten sollte. Gleich darauf veranlaßte ein dänischer Versuch, Schleswig von Holstein zu trennen und in Dänemark aufgehen zu lassen, das militärische Eingreifen der beiden deutschen Großmächte, die den bestehendenZustand garantiert hatten. Eifersüchtig blieb Österreich dem Rivalen Preußen zur Seite und erreichte auch, nachdem Dänemark 1864 nach tapferem Wider stand der großen Übermacht erlegen war, daß Schleswig und Holstein an Österreich und Preußen gemeinsam abgetreten wurden; die Verwaltung war zunächst geteilt. Doch in dieser Regelung lag der Keim zu neuen Zer würfnissen. Österreich suchte sich mit den deutschen Mittelstaaten zu ver ständigen, um eine Machterweiterung Preußens zu hindern. Bismarck und mit ihm große Teile des deutschen Volkes sahen eine gewaltsame Entschei dung des deutschen Dualismus als unvermeidlich an. Die Schaffung eines starken Bundesstaates mit zwei Großmächten als Mitgliedern war unmög lich, um so mehr als Österreich nur zum kleinsten Teil deutsche Bevölke rung und dafür meist nicht deutsche Interessen hatte. Preußen erzwang 1866 die Entscheidung durch einen Antrag auf Reform der deutschen Bundesverfassung. Österreich antwortete mit der Übergabe der schleswig- holsteinischen Frage an den Bundestag. Preußen besetzte Holstein; der Deutsche Bund machte mobil, worauf Preußen seinen Austritt erklärte. Auf seiner Seite standen nur die kleineren norddeutschen Staaten und Italien. Aber bereits nach einem Monat mußte Österreich, bei Königgrätz geschlagen, Waffenstillstand schließen. Bismarck setzte gegen König und Generale den Verzicht auf Gebietsabtretungen durch, um aus Österreich nicht für immer einen Todfeind zu machen. Ebenso schnell wie Österreich waren die deutschen Mittclstaaten niedergezwungen. Zur Verbindung der beiden bisher völlig getrennten Teile Preußens wurden Hannover, Kur hessen, Nassau und Frankfurt, außerdem Schleswig-Holstein preußisch. Nord- und Mitteldeutschland schloß sich zum Norddeutschen Bund zu sammen. Die Bundesleitung hatte Preußen. Ein Reichstag aus allge meinen und direkten Wahlen trat in Berlin zusammen. Ein Bundesrat bildete die Vertretung der Regierungen. Bismarck wurde Bundeskanzler. Mit den vier süddeutschen Staaten schloß Preußen Bündnisse. Diese Maß nahme erschien besonders dringend angesichts der Versuche Kaiser Na poleons HL, die deutsche Einigung zu verhindern. Dieser hatte gehofft, einem geschlagenen Preußen in höchster Not beizuspringen und auf diese Weise Gebietsentschädigungen erpressen zu können. Statt dessen unterlag Öster reich. Napoleon machte kein Hehl daraus, daß er für die Erteilung seiner Erlaubnis zur deutschen Einigung die Pfalz und Rheinhessen beanspruchte. In den folgenden Jahren versuchte er die süddeutschen Staaten und Öster reich zu gewinnen. Aber vor allem brauchte er, um sein durch das mexika nische Abenteuer gesunkenes Ansehen zu heben, eine Gebietsvergrößerung für Frankreich. Ein Versuch, vom König der Niederlande Luxemburg zu erwerben, scheiterte. Die Großmächte sprachen die Neutralisierung dieses Landes aus. So blieb nur die Hoffnung, die deutsche Einigung zu ver eiteln, die mit den französischen Interessen unvereinbar war. Ein Vorwand war bald gefunden. Spanien übertrug die Krone einem Prinzen von Hohen- zoilern. In Frankreich wurde diese Kandidatur als preußische Intrige dar gestellt, und als der Prinz durch Verzicht jeden Anlaß zum Eingreifen zerstörte, forderte Frankreich von König Wilhelm als dem Chef des Hauses das Versprechen, er werde die Bewerbung nie wieder erlauben. In der Ver öffentlichung der selbstverständlich ablehnenden Antwort des Königs durch Bismarck sah Frankreich die Herausforderung und erklärte den Krieg. Wider sein Erwarten gingen aber die süddeutschen Staaten vertrags gemäß mit Preußen zusammen. Frankreich erwies sich als militärisch schlecht vorbereitet und erlitt Niederlage auf Niederlage. Den preußischen Feldzugsplan hatte, wie 1864 und 1866, der Chef des Generalstabs Moltke entworfen. Nach der Gefangennahme Napoleons in Sedan entfachte die Republik den Volkskrieg; aber auch die Volksheere unterlagen. Vor dem belagerten Paris wurde das Werk Bismarcks durch die Kaiserproklamation zu Versailles am 18. Januar gekrönt. Die Errichtung des Deutschen Reichs erschien nach dem gemeinsamen Kriege dem deutschen Volke selbstver ständlich. Aber auf ganz andere Weise, als es die Männer von 1848 geträumt hatten, verwirklichte Bismarck die Einigung. Nicht das Volk, sondern die Fürsten schlossen sieh zusammen. Infolgedessen war der bun desstaatliche Charakter des neuen Deutschen Reichs sehr stark ausgeprägt