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DIE EINIGUNG ITALIENS Italien war seit der Gründung des Langobardenreichs im G. Jahrhundert nicht mehr unter einer Herrschaft vereinigt gewesen. Weder Karl dem Großen, noch den Kaisern aus dem sächsischen Hause gelang es, Unter italien und Sizilien zu erobern. Den staufischen Kaisern wieder standen die weltliche Macht des Papstes und die mächtigen Städte im Norden hindernd im Wege. Nach dem Zusammenbruch der Kaisermacht mit dem Tode Friedrichs II. zerfiel Italien ebenso wie Deutschland in unzählige kleine Herrschaften. Aber man war wenigstens im allgemeinen unter sich und von den fremden Staaten ungestört. Mit dem Beginn der Neuzeit aber wurde Italien ein begehrter Gegenstand der europäischen Politik und Schauplatz der großen französisch-spanischen Auseinandersetzung. Seitdem waren ständig große Teile des Landes in fremdem, meist spanischem oder öster reichischem Besitz. Die einzelnen Fürstentümer waren Tauschobjekte unter den Mächten und wechselten daher oft den Besitzer. Nachdem die ruhm vollen Familien der Medici in Toskana 1737 und Este in Modena 1803 aus- gestorben waren, blieb nur noch ein Fürstenhaus italienischer Abstammung übrig, das savoyische, das außer seinem Stammland noch Piemont und Sardinien besaß. Zwar räumten die französischen Revolutionsheere stark unter den kleinen Dynastien auf, aber nur einige größere Republiken traten an deren Stelle. Auch Kaiser Napoleon I. vereinigte nicht alle Teile zu einem italienischen Nationalstaat, obwohl er sich König von Italien und seinen Sohn König von Rom nannte. Neapel z. B. gab er seinem Schwager Joachim Murat. Der Wiener Kongreß führte in seinem Bestreben, das Alte wieder herzustellen, auch die früheren Fürsten nach Italien zurück. Habs burger ließen sich in Toskana und Modena, Bourbonen in Neapel-Sizilien und Parma nieder. Venetien und Lombardei wurden unmittelbar Österreich einverleibt. Der Kirchenstaat bekam wieder den alten Umfang. Da war es Sardinien, welches zu seinem alten Festlandbesitz auch Genua erhalten hatte, das den Gedanken der Einigung Italiens unter einer natio nalen Regierung aufgriff. Schon 1821 versuchte Prinz Karl Albert nach einer liberalen Revolution in Piemont, den Anschluß der anderen Staaten an das Königreich Sardinien zu erreichen. Aber österreichische Truppen stellten die alte Ordnung in Oberitalien wieder her. Im Jahre 1848 erfaßte die revolutionäre'Bewegung ganz Italien. Karl Albert, der inzwischen selbst König von Sardinien geworden war, versuchte wieder, die Österreicher zu i vertreiben und zunächst Oberitalien anzugliedern. Aber seine Truppen unterlagen dem Feldherrntalent des österreichischen Feldmarschalls Ra detzky, und er sah sich zur Abdankung gezwungen. Nachdem Napoleon HL durch den Sieg über Rußland im Krimkrieg sich die erste Stimme unter den europäischen Mächten gesichert hatte, hielt der sardinische Minister Cavour die Gelegenheit für günstig, auf die alten Einigungspläne zurück- zukommen. Er wußte die Bundesgenossensehaft des französischen Kaisers, der sich als Beschützer aller unterdrückten Nationalitäten aufspielte, gegen Österreich zu gewinnen. Ein gemeinsamer Angriff auf diesen Todfeind 1859 brachte einen glänzenden Sieg. Österreich mußte die Lombardei an Na poleon abtreten, der sie an Sardinien weitergab. Während des Krieges hatten sich die Untertanen der Nachbarstaaten gegen ihre Fürsten erhoben, die trotz der Friedensbestimmungen nicht wieder eingesetzt wurden. Durch Volksabstimmung schlossen sich Parma, Modena, Toskana und ein großer Teil des Kirchenstaats dem Königreich Sardinien an. Als Preis mußte dieses allerdings den französischen Verbündeten das Stammland des Königs, Savoyen und Nizza, abtreten. Zur weiteren Einigung gab der Freischaren führer Garibaldi den Anstoß, der Sizilien und Neapel zum Abfall brachte, worauf die sardinischen Truppen das Land und weitere Teile des Kirchen staats besetzten. Jetzt war fast ganz Italien zu einem Staat vereinigt. Vik- tor Emanuel II. von Sardinien konnte sich König von Italien nennen. Ca vour erlebte noch diesen Tag, nicht aber die Vollendung seines Werkes: er starb noch 18G1. Einen weiteren Schritt kam man vorwärts, indem man sich mit dem neuen Gegner Österreichs, Preußen, verbündete. Die preußi schen Armeen waren zwar fern, und allein erlitten die Italiener schwere Niederlagen. Aber die Siege des Verbündeten in Böhmen verschafften ihnen doch einen Erfolg: Österreich suchte französische Friedensvermittlung und überließ als Preis Venetien an Napoleon HL, der es Italien weiterschenkte. Jetzt fehlte diesem nur noch Rom. Napoleon war auf die Stützung durch die Kirche angewiesen. So durfte er es nicht mit dem Papste verderben. Fran zösische Truppen hatten daher die Italiener an der Besetzung Roms ge hindert. Den Sturz Napoleons nützte Italien sofort aus und machte der weltlichen Macht des Papstes noch 1870 ein Ende. Der König von Italien konnte in die historische Hauptstadt des Landes einziehen. Die durch die Proteste des Papstes entstandene „Römische Frage“ blieb bis 1929 ungelöst.