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DIE BEFREIUNG DER NIEDERLANDE Kaiser Karl V. hatte aus seinem burgundischen Erbe und anderen, be nachbarten Gebieten die 17 Provinzen der Niederlande geschaffen. Er löste sie, sein Lieblingsland, fast ganz aus dem Reichsverband und verlieh ihnen große Rechte. König Philipp II. von Spanien trat die Erbschaft seines Vaters Karl nicht nur als Regent an: er übernahm auch dessen Rolle als Vorkämpfer der katholischen Kirche. Da er keine Rücksichten auf deutsche Fürsten und kaiserliche Interessen zu nehmen brauchte, da die türkischen Angriffe auf Ungarn ihn nicht berührten, konnte er seine ganze Macht gegen die Protestanten einsetzen. Er wollte der Ausbreitung der neuen Lehre in seinen Niederlanden nicht ruhig zusehen. So holte auch hier die Gegenreformation zum Schlage aus. Die Niederlande ertrugen die Herr schaft der Spanier nur widerwillig, der finstere Fanatismus dieser Glau bensstreiter paßte nicht in das blühende, fröhliche Land. Man zitterte vor der Einführung des Inquisitionsgeriehtes, dem Beginn der Glaubensver folgung. Der Adel beider Konfessionen fürchtete für seine Rechte. Kleinere Unruhen forderten die königliche Machtentfaltung gegenüber den selbst bewußten Ständen heraus. Herzog Alba erschien als Statthalter und ging gegen den stolzen Adel vor. Die Grafen Egmont und Hoorn wurden hin- gerichtet, Prinz Wilhelm von Oranien entkam. Die Gegensätze und ihren ersten blutigen Zusammenprall hat Goethe im „Egmont“ dichterisch ge staltet. Die Antwort der Niederländer auf Albas Schreckensherrschaft war ein allgemeiner Aufstand. Der Kampf um den Glauben war hier zugleich eine nationale Erhebung. Es gelang denn auch den Spaniern, durch poli tische Zugeständnisse den stark katholischen Süden zurückzugewinnen, während der rein protestantische Norden, der Herd des Widerstandes, seine Freiheit wahrte und sich als Republik der Vereinigten Niederlande von Spanien lossagte. Aus Deutschland und England kam Hilfe. Die spanische Flotte, die gewaltige „Armada“, wurde auf einem Rachezuge gegen Eng land von Stürmen und englischen Angriffen vernichtet. Auch König Hein rich IV. von Frankreich wandte sich nach der Beilegung der Religions- kämpfe in seinem Lande gegen den spanischen Koloß, der Europa zu er drücken drohte. Philipp II. hatte die Kräfte seines Reichs überspannt: der Niedergang begann. Zur See hatten die Niederländer den Kampf begonnen, zur See erstritten sie ihre größten Erfolge. Da Portugal in dieser Zeit mit Spanien vereinigt war, bemächtigten sie sich des portugiesischen Kolonialreichs in Asien und Südafrika. In Süd- und Nordamerika wurden neue Niederlassungen gegründet, Australien entdeckt und 1642 umsegelt. Nur an Besiedlung größerer Gebiete war wegen Menschenmangels nicht zu denken. Der spanisch gebliebene Welthandelsplatz Antwerpen wurde, da die Nieder länder seinen Wasserweg, die Scheldemündung sperrten, von Amster dam überflügelt. In Antwerpen war 1541 die erste Weltbörse entstan den; jetzt wanderte der Geldverkehr nach Amsterdam ab, wo die erste Girobank gegründet wurde. Rie Niederlande traten das Erbe Spaniens und Portugals an. Neben dem Überseehandel beherrschten sie auch den ganzen Ostseehandel, so daß man sagte, der Schlüssel zum Sund liege im Hafen von Amsterdam. Das europäische Wirtschaftsleben war ohne sie nicht mehr denkbar; es hieß, Norwegen sei ihr Wald, das Rheinland und Südfrankreich ihr Weinberg, Deutschland ihre Schafherde, Afrika und Ostindien ihre Ge- würzkammer. Die niederländischen Städte blühten rasch auf. Die meisten lagen in den Provinzen Holland und Seeland, die dadurch das Übergewicht im Runde besaßen. Die andern Staaten wurden oft gar nicht nach ihrer Meinung gefragt. In ihnen waren Dauern oder die Ritterschaft ausschlag gebend; diese konnten gegen die Macht der Städte natürlich nicht auf kommen. Von Zentralisation war keine Rede. Es gab nur Anfänge allge meiner Finanzen. Jede Provinz hatte eigene Steuern, eigene Regimenter und Schiffe. So brüchig erschien das neue Staatsgebilde, daß man spottend von der „Republik der uneinigen Niederlande“ sprach. Die Erbstatthalter und die holländischen Patrizier strebten beide nach ihrer Art zum Einheits staat und befehdeten sich heftig. Trotzdem erreichte die politische Macht der Niederlande um die Mitte des 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt. Dann begann der Abstieg. Der kulturelle Hochstand hielt aber noch lange an. Neben der Wirtschaftsblüte war ein Aufschwung von Kunst und Wissen schaft einhergegangen. Die Universität Leiden wurde die berühmteste Hochschule der protestantischen Welt. Die niederländische Malerei stellte die italienische in den Schatten. Auch sonst waren die Niederlande vor bildlich. Schiffahrt und Technik, Wasserbau und Landwirtschaft waren die Gebiete, auf denen man bei ihnen am eifrigsten in die Schule ging.