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DAS ALTE DEUTSCHE REICH Die deutschen Stämme waren unter Karl dem Großen zum erstenmal in einem Reiche vereinigt, das von einer starken Zentralgewalt zusammen gehalten wurde. Das ganze Reich war in Grafschaften als Verwaltungs bezirke eingeteilt. Nach der Reichsteilung von 843 und infolge der Regie rung schwacher Könige kamen im Osten, in Deutschland, wieder die Ein zelgewalten hoch. In Sachsen, Franken, Schwaben, Bayern und Lothringen entwickelten sich Stammesherzogtiimer. Daneben entstanden durch könig liche Belehnung mit Land kleinere Besitzungen, für die seit dem 11. Jahr hundert Erblichkeit üblich wurde. Den Königen gelang es lange, die Her zöge niederzuhalten. Noch Friedrich I. konnte den übermächtigen Heinrich den Löwen von Bayern und Sachsen stürzen. Aber bereits Friedrich II. verzichtete auf wichtige königliche Rechte zugunsten der Fürsten, d. h. der Besitzer der alten Herzogtümer und der Inhaber der größten Lehen. Auch die Erzbischöfe, Bischöfe und manche Äbte erhielten große Vorteile. Wäh rend der Zwischenherrschaft, die auf das Ende der Hohenstaufen folgte, konnten die Fürsten ihre Landeshoheit weiter ausbauen. Das Reiehsgut verschwand fast völlig, allein noch die Reichsstädte erinnerten daran. Die Könige hatten sich bisher auf ein Stammesherzogtum, aus dem sie kamen, und eben auf das Reichsgut gestützt. Jetzt mußten sie sich eine Hausmacht zu schaffen suchen, um den mächtigen Fürsten überhaupt die Waage halten zu können. Rudolf von Habsburg begann mit dieser Politik, und alle seine Nachfolger, welcher Familie sie auch angehörten, folgten ihm darin. Natürlich verloren die Könige dadurch das Interesse für die allgemeinen Reichsangelegenheiten; sie kümmerten sich fast nur noch um ihren Haus besitz. Schon die letzten Karolinger waren durch Wahl Könige geworden. Hinfort blieb die Vereinigung von Wahlrecht und Erbrecht, fast immer konnte der Sohn dem Vater folgen. Seit Rudolf von Habsburg bemühten sich die Fürsten, einen nicht zu Mächtigen aus ihrer Mitte zu wählen. So wechselte die Krone zwischen verschiedenen Familien. Ursprünglich war das ganze Volk wahlberechtigt, seine Zustimmung wurde jedenfalls nach- gesucht. Seit dem 12. Jahrhundert wählten nur noch die geistlichen und weltlichen Fürsten, unter denen dann wieder einige besonders bedeutende hervortraten. Seit 1257 waren es sieben, drei geistliche und vier weltliche Kurfürsten. Kaiser Karl IV. erließ 1356 die „Goldene Bulle“, ein Reichs- grundgesetz, in dem die Kurfürsten durch große Rechte aus der Masse der Fürsten herausgehoben wurden. Zur Beratung über wichtige Reichs angelegenheiten berief der König Reichstage. Auf diesen erschienen neben den Reichsfürsten, geistlichen wie weltlichen, nach und nach Vertreter der Grafen und Reichsritter, der Reichsstädte und Reichsabteien. Immer viel fältiger wurde die Zusammensetzung des Reichs. Am größten wurde die Zersplitterung im Südwesten, denn das Herzogtum Schwaben war nach dem Ende der Hohenstaufen zerfallen. Auch das meiste Reiehsgut hatte am Oberrhein und in Schwaben gelegen. Aber trotz der Zersplitterung lag doch der politische und kulturelle Schwerpunkt am Rhein und Main. Der Südwesten wurde geradezu als „das Reich“ bezeichnet. Im Osten, auf Kolonialboden, waren die Bedingungen für die Entstehung größerer, ein heitlicher Staaten günstiger. Östlich der Elbe konnten weder geistliche Gebiete, noch Städte die Reichsfreiheit erlangen, mit Ausnahme der großen Hansestädte. Von einschneidender Bedeutung für das weitere Schicksal des Deutschen Reichs oder, wie der offizielle Name lautete, des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation, war die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Auf der einen Seite versuchte Kaiser Maximilian I. noch einmal die Belebung des schwerfälligen Körpers: er schuf die Kreiseinteilung und ein Reichs- karamergericht, er verkündete wieder einmal einen allgemeinen Land frieden. Sein Nachfolger Karl V. wiederum versuchte mit Gewalt die Fürsten macht zu schwächen. Beide Versuche scheiterten. Die Fürsten bildeten ge rade in dieser Zeit ihre Macht im Innern ihres Landes weiter aus. Das Ein dringen des römischen Rechts machte ein studiertes Beamtentum nötig. Durch die Verbreitung der Feuerwaffen sank der Wert der Ritterheere. Die Fürsten begannen sich stehende Truppen zu halten und deckten ihren Be darf darüber hinaus mit Söldnern, den Landsknechten. Die Reformation spaltete das Reich in zwei Parteien. Die protestantischen Fürsten wurden Herren über die Kirche in ihrem Gebiet. Im 17. Jahrhundert erreichte diese Entwicklung zur unumschränkten Fürstcngewalt, zum Absolutismus, einen gewissen Abschluß. Inzwischen hatte sieh aber auch die Stellung der Für sten im Reich verändert: durch den Westfälischen Frieden 1648 erhielten alle die hunderte von Reichsgliedern bis hinab zu den kleinsten Rittern und Städtchen im Verhältnis zum Kaiser die volle Landeshoheit, vor allem das Recht, unter einander und mit ausländischen Staaten Bündnisse zu schließen. Fortan führte das Reich nur noch ein Schattendasein, bis es in den Stürmen der napoleonisehen Kriege 1806 erlosch.