Volltext Seite (XML)
STAATENBILDUNG UM DIE OSTSEE Seit dem 8. Jahrhundert hatten die Bewohner Dänemarks und Skandina viens, die Normannen, als Seefahrer und -räuber die Küsten Europas heim gesucht und die fränkischen Reiche in größte Bedrängnis gebracht. Sie gründeten auch Staaten in der Fremde, so in der nach ihnen genannten Normandie in Frankreich, in Neapel und Sizilien im Kampfe mit den Ara- bern, in England, in Rußland. In ihrer Heimat kam es spät zu größeren Staatenbildungen. Der ganze Norden war nach seiner Bekehrung zum Christentum kirchlich von Hamburg abhängig; die Gründung eigener Erz bistümer durch den Papst entfremdete ihn dem deutschen Einfluß. Däne mark erstarkte zuerst und begann zu Beginn des 13. Jahrhunderts nach der Herrschaft über die ganze Ostsee zu streben. Nach der Eroberung von Rügen und Estland richtete sich der dänische Ausdehnungsdrang gegen Norddeutschland, fand aber hier energischen Widerstand bei den jungen kolonialen Fürstentümern Holsteins und Mecklenburgs, die den dänischen König in seine Sehranken zurückwiesen. Einen neuen Versuch im nächsten Jahrhundert vereitelte die Hanse durch einen siegreichen Seekrieg. Schwe den war ständig von Bürgerkrieg heimgesucht; erst spät konnten Norden und Süden vereinigt werden. Seine Kreuzzüge waren gegen Finnland ge richtet. Hier stieß cs auch als erster Ostscestaat mit den Russen zusammen. Der russische Staat war einst von den normannischen Warägern begründet worden, die aber bald von den beherrschten Slawen aufgesogen wurden. Die Einheit des Staates bestand nicht lange. Der Schwerpunkt verschob sich von Kiew nach Nordosten in die Moskauer Gegend. Nachdem eine Mongolenherrschaft von über zwei Jahrhunderten die ruhige Entwicklung unterbrochen hatte, vereinigten die Großfürsten von Moskau die Einzel staaten, darunter den Freistaat Nowgorod. Iwan III. nannte sieh nach der Heirat mit der Nichte des letzten byzantinischen Kaisers „Zar“,d. h. Kaiser. Als das schwedisch-norwegische und das dänische Königshaus fast gleich zeitig ausstarben, vereinigte Königin Margarethe von Dänemark die drei nordischen Reiche. Aber die dänische Vorherrschaft in dieser Union konnten die Schweden auf die Dauer nicht ertragen. Sie machten sich schließlich 1521-23 unter Gustav Wasa frei. Dieser führte die Reformation ein und befreite den Handel von der Bevormundung der Hanse und der eingesessenen Deutschen. Schweden und Dänemark trennte hinfort ein Nationalhaß, der sieh immer wieder im Kriege entlud. In den großen euro päischen Verwicklungen der nächsten Jahrhunderte konnte man fast stets die beiden Staaten in verschiedenen Lagern linden. Zur Feindschaft mit Dänemark kam für Schweden bald die mit Polen. Dieser Staat war seit seiner Vereinigung mit Litauen 1386 unter dem Hause der Jagelloncn ein mächtiges Reich, das auch große Teile von Rußland, so die Ukraine, um faßte. Nach dem Aussterben des Herrscherhauses wurde Polen Wahlkönig reich, und damit sank seine Macht schnell. Eine kurze Zeit der Vereinigung mit Schweden unter einem gemeinsamen König hatte nur eine gründliche Verfeindung der beiden Staaten zur Folge. Der Zankapfel wurde Livland. Der Zerfall des Deutschen Ordens lockte alle Nachbarn ins Land. Die eigenen Kräfte dieses Teils des Ordensstaates waren gering. Die Abgelegen heit, das Fehlen der Landverbindung zum Reich verhinderten, daß auch Bauern einwanderten. Die Deutschen saßen als Oberschicht neben Letten und Esten, als adlige Gutsherrn auf dem Lande, als Kaufleute, Handwerker und Gelehrte in den Städten. Diese „Balten“ hielten sich in allen Stürmen, die noch über das Land hinbrausten, bis heute. Rußland, Schweden, Dänemark und Polen stießen im Streit um Livland aufeinander. Der russische Zar Iwan der Schreckliche suchte für sein Reich einen Ausgang zum Meer. Bisher ging der Handel der Engländer, der ersten Ausländer, die in Moskau Handel treiben durften, über Archangel am Weißen Meer. Doch wurden die Russen schließlich zurückgeschlagen, und Schweden behielt Estland, Polen Livland. Kurland wurde wie Preußen polnisches Lehnsherzogtum. Aber der Kampf zwischen den Siegern um die Beute ging weiter, bis ihn Gustav Adolf für Schweden entschied. Polen blieb von der Ostsee so gut wie abgeschlossen; denn im Lehnsherzogtum Preußen hatte es kaum etwas zu sagen, seit hier die Kurfürsten von Bran denburg regierten; und Danzig war fast eine freie Stadt, die ihre eigene, neutrale Politik trieb und zudem den polnischen Staat jederzeit ihre Kraft fühlen lassen konnte. Der König mußte das Geld für seine Kriege bei der Stadt leihen; der ganze Handel Polens ging über Danzig. So konnte sieh hier das Deutschtum erhalten und ungestört weiter entwickeln.