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DRESDNER PHILHARMONIE Mittwoch, den 13. Dezember 1978, 20.00 Uhr Donnerstag, den 14. Dezember 1978, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 4. PHILHARMONISCHES KONZERT» Dirigent: Herbert Kegel Solist: Igor Politkowski, Sowjetunion, Violine Christoph Willibald Gluck 1714-1787 Peter Tschaikowski 1840-1893 Ouvertüre zu „Iphigenie in Aulis" (mit dem Mozartschen Schluß) Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 Allegro moderato Canzonetta (Andante) Finale (Allegro vivacissimo) PAUSE Ludwig van Beethoven 1770-1827 Sinfonie Nr. 8 F-Dur op. 93 Allegro vivace e con brio Allegretto scherzando Tempo di menuetto Allegro vivace Igor Politkowski, Verdienter Künstler der Georgischen SSR, Solist der Moskauer Philharmonie, stammt aus Moskau, wo er unter Leitung seines Vaters, eines bekannten Solisten des Bolschoi- Theaters, frühzeitig musikalisch unterwiesen wurde. Als öjähriger begann er an der Ippolitow- Iwanow-Musikschule mit dem Geigenspiel, war dann Schüler von Prof. Jankelewitsch an der Musikschule des Moskauer Konservatoriums und vervollkommnete schließlich bei David Oistrach am Konservatorium selbst seine Ausbildung. 1955 wurde er Sieger des „Königin-Elisabeth-Wett- bewerbes” in Brüssel, 1957 bzw. 1963 zählte er zu den Preisträgern des „Marguerite-Long- Jacques-Thibaud-Wettbewerbes" in Paris und des Paganini-Wettbewerbes in Genua. Seither führten ihn erfolgreiche Konzertreisen durch viele europäische Länder, nach Kuba und in den Fernen Osten. Neben seiner Konzerttätigkeit widmete sich der Künstler, der zur Elite der jünge ren sowjetischen Geiger gehört, auch pädagogischen Aufgaben, zunächst am Konservatorium in Tbilissi, jetzt am Konservatorium in Moskau. Bei der Dresdner Philharmonie war der prominente Künstler bereits 1976 zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG Peter Tschaikowski, der große russische Meister, schrieb wie Beethoven und Brahms lediglich ein Violinkonzert, das allerdings wie deren Werke gleichfalls zu den Glanzstücken der internationalen Konzertliteratur gehört. Das in Ausdruck und Stil charakteristische, eigenwüchsige Werk, in D-Dur stehend, wurde als op. 35 Anfang März 1878 in Clärens am Genfer See begonnen und be reits Anfang April vollendet. Tschaikowski widmete das ausgesprochene Virtuosen stück ursprünglich dem Geiger Leopold von Auer, der es aber zunächst als un spielbar zurückwies und sich erst viel später für das Werk einsetzte. Die Urauf führung wagte schließlich Adolf Brodski am 4. Dezember 1879 in Wien unter der Leitung Hans Richters. Unfaßbar will es uns heute erscheinen, daß das Werk vom Publikum ausgezischt wurde! Die Presse war geteilter Meinung. Der gefürchtete Wiener Kritiker Dr. Eduard Hanslick, Brahms-Verehrer und Wagner-Feind, be ging mit seiner Rezension des Tschaikowski-Konzertes wohl einen seiner kapital sten Irrtümer. Er schrieb u. a.: „Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen, gebleut. Ob es überhaupt möglich ist, diese haarsträu benden Schwierigkeiten rein herauszubringen, weiß ich nicht, wohl aber, daß Herr Brodski, indem er es versuchte, uns nicht weniger gemartert hat als sich selbst. . . Tschaikowskis Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken(!) hört." Haarsträubend, schauerlich mutet uns heute dieses Fehlurteil Hanslicks an, das der Komponist übrigens jederzeit auswendig aufsagen konnte, so sehr hatte er sich darüber geärgert, während das Konzert inzwischen längst zu den wenigen ganz großen Meisterwerken der konzertanten Violinliteratur zählt. Das Werk wird durch eine kraftvolle Männlichkeit im Ausdruck, durch eine straffe Rhythmik gekennzeichnet und ist betont musikantisch ohne Hintergründigkeit, Pathos oder Schwermut. Die Quellen, aus denen Tschaikowski hier u. a. schöpfte, sind das Volkslied und der Volkstanz seiner Heimat. Betont durchsichtig ist die Instrumen tation, die beispielsweise auf Posaunen verzichtet. Aus der Orchestereinleitung wächst das großartige, tänzerische Hauptthema des stimmungsmäßig einheitlichen ersten Satzes (Allegro moderato) heraus, das dem ersten Teil des Konzertes, teils im strahlenden Orchesterklang, teils in Um spielungen der Solovioline, seine faszinierende Wirkung verleiht, während das zweite, lyrische Thema demgegenüber etwas in den Hintergrund tritt. Auf dem Höhepunkt des Satzes steht eine virtuose Kadenz des Soloinstrumentes, dem das ganze Konzert überhaupt höchst dankbare Aufgaben bietet. Der zweite Satz (Andante) trägt die Überschrift: Canzonetta. Kein Wunder, daß das Hauptthema innigen Liedcharakter besitzt und die Stimmung dieses Satzes weitgehend trägt, ohne dem geschmeidigen Seitenthema größeren Raum zu geben.