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den Flügel — ich habe die traurige Vorahnung, daß ich im Leben keinen ande ren Tröster haben werde als die Musik . . . Seit einiger Zeit bin ich in so merk würdiger Stimmung, ich falle von einem Extrem ins andere. Ein Brief von Ihnen, sogar eine Zeile, ein Wort von Ihnen macht mich jubeln, ein anderes bringt mich fast zum Weinen, so weh tut es mir... Was wird das Ende davon sein, und wann ... Es ist ein ständiger seelischer Rausch. Zum Ar beiten (zum Komponieren) brauche ich gerade das . . ." Mit dem aufsteigenden Grundmotiv a-fs-a-cis und einer ausdrucksstarken Wei terführung seines Stimmungsgehaltes eröffnet die Solovioline den langsamen ersten Satz (Andante sostenuto), der gleichsam das „Ideale Bildnis" (aus den „Zwei Porträts" op. 5) vorwegnimmt und stark an die chromatisch gewürzte, gefühlsgesättigte Tonwelt von Wagners „Tristan und Isolde" gemahnt. In kunst voller kontrapunktischer Führung treten die übrigen Streicher, dann die Bläser hinzu und weben einen feinnervig differenzierten Klangteppich. Im Kontrast zum Einleitungssatz ist der Schlußsatz des nur zweisätzigen Konzertes angelegt (Allegro giocoso): Heiter und kraftvoll prononciert gibt hier das Soloinstrument die Devise. Im Verlauf des vielgliedrigen Satzes bekommt es übrigens reichlich Gelegenheit, virtuos zu brillieren. Eingeschaltete nachdenkliche Episoden rufen die Tonwelt des „Leitmotivs" aus dem ersten Satz, das auch gegen Ende des Satzes im Horn notengetreu wieder erscheint, in die Erinnerung. Kraftvoll wirkt der Abschluß des Werkes. Franz Schubert hat das Lied auf eine neue Stufe gehoben, ihm eine Breite der Thematik, eine Tiefe der Empfindung und eine Vollendung der Gestaltung ge geben, die vor ihm nicht bestand. Seine etwa 660 Lieder mit Klavierbegleitung stellen das unvergängliche Kernstück seines Schaffens dar, gekennzeichnet durch eine immer wieder zu rühmende Einheit von Wort und Ton, von Gedicht und Vertonung. Besonders mit seinen Liedzyklen hat er das Kunstlied zu einer Form intimen und zugleichen volkstümlichen Musizierens geführt, die durch ihn klas sisch wurde. In unserem Schubert-Zyklus durfte wenigstens ein kleiner Ausschnitt aus seinem mannigfaltigen Liedschaffen nicht fehlen. Er erklingt mit originaler Klavierbegleitung (ungewöhnlich zwar in einem Sinfoniekonzert des 20. Jahr hunderts, doch vielfach üblich noch in den Orchesterkonzerten des vergangenen Jahrhunderts), denn das Klavier wurde zu einem „Universalinstrument", das, nach Alfred Einstein, „an Farbe, Ausdrucksfähigkeit, reinster und edelster Sinn lichkeit kaum durch einen Meister mehr gewonnen hat als durch Schubert". Das 1910 in Paris durch das Djagilew-Ballett uraufgeführte Ballett „Der Feuer vogel“ gehört zu den beliebtesten Schöpfungen Igor Strawinskys, des am 6. April 1971 im Alter von 89 Jahren in New York verstorbenen Meisters. Die aus diesem Werk zusammengestellte Konzertsuite hat sich wegen ihres bestrickenden Klang zaubers und ihrer lyrischen Verhaltenheit, die mit barbarischer Wildheit wech selt, einen Stammplatz im Repertoire vieler Orchester der Welt errungen. Von der Suite gibt es drei Fassungen: die von 1910 für sehr großes Orchester, die heute erklingende von 1919 für mittleres Orchester, ganz dem Zuge der Spar samkeit nach dem ersten Weltkrieg und der Entwicklung Strawinskys folgend, und die von 1945 für normales Orchester mit einigen Instrumentationsretuschen. Die Fabel des Balletts folgt einem russischen Märchen vom Prinzen Iwan, der im Zaubergarten des Menschenfressers Kaschtschei dem Feuervogel begegnet, ihn einfängt und gegen Überlassung einer Feder wieder freiläßt. Gefangene Prinzessinnen tanzen im mondbeschienenen Park, Prinz Iwan verliebt sich in eine von ihnen, der er trotz aller Warnungen ins Schloß folgen will. Der Zauberer Kaschtschei tritt ihm entgegen, um ihn in Stein zu verwandeln. Der durch die Feder herbeigerufene Feuervogel verrät dem Prinzen das Lebensgeheimnis des Zauberers. Der Prinz tötet ihn und befreit dadurch alle Gefangenen und Ver zauberten. Die geliebte Prinzessin ist eine Zarentochter, mit der er sich verlobt. Die Suite gibt die wichtigsten Episoden des Balletts wieder. Die Introduktion (Einleitung) läßt den Zaubergarten aufblühen. Eine Figur wächst aus dunkler Tiefe (Violoncello, Kontrabässe) zu einer lyrischen Melodie der Oboe. Die Far bigkeit, durch eine zauberhafte Instrumentation hervorgerufen, versetzt den Hörer sofort in eine märchenhafte Stimmung. Ein bunter Vogel, der Feuervogel, schwirrt plötzlich in diesem Zaubergarten umher. Das Schwirren, durch spielerische Figuren zweier Flöten und einer Klarinette, durch Tremoli und das Pizzicato der Streicher, durch Glissandi des Klaviers und der Harfe unterstrichen, ist musika lisch äußerst suggestiv gestaltet. In einem Pas de deux (Tanz zu zweien) wird die Begegnung des Prinzen mit dem Feuervogel geschildert. Dann tanzen die verzauberten Prinzessinnen (Scherzo). Ein Rondo erzählt von der aufkeimenden Liebe des Prinzen zu der schönsten Prinzessin. Hier hat Strawinsky eine Oboen melodie von anmutiger Süße geschaffen. Ihr steht eine Violinmelodie von ähn licher Lieblichkeit und lyrischer Verhaltenheit zur Seite. Aber der Zauberer Kaschtschei bannt zunächst alle in seine höllischen Fänge; der barbarisch-wilde Tanz, in dem, nach einem Wort Debussys, die „rhythmische Gewaltherrschaft" der Musik beginnt, hat etwas Brutales an sich, durch Schlagzeugoassaqen und synkopische Melodiefetzen gekennzeichnet. Hier sind die Ansätze, die soäter im „Sacre du Printemps" zur Vorherrschaft gelangen, die den Rhythmus in den Vordergrund rücken. Strawinsky läßt auf dieses entfesselte Stück ein Wiegenlied des Feuervogels folgen, das nicht nur durch den gewaltigen Kontrast, sondern auch durch den bestrickenden Liebreiz der Melodie (Fagott) einen tiefen Eindruck hervorruft. Eine Hymne krönt die Ballettsuite, in der er allen moskowitischen Prunk und Reichtum aufleuchten läßt, so wie ihn auch viele der alten Märchen Rußlands enthalten. Die Hornmeldie steigt über die Violinen und Flöten immer höher empor, wird immer reicher harmonisiert und immer verführerischer im Klang ausgestattet. Sie wird metrisch vom Drei-Halbe-Takt zum Sieben-Viertel- Takt umgewandelt, und vor der endgültigen Steigerung werden durch Klavier-