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und an wunderbaren Schönheiten überreicher Dialog zwischen Soloinstrument und Orchester. Da der Klavierpart das virtuose Element während des Satzab laufes im Dienste der Ausdruckssteigerung bereits in sehr bedeutendem Maße einbezieht, hat Beethoven in diesem Konzert auf die übliche große Solo kadenz vor Schluß des ersten Aktes verzichtet. Dennoch wird dem Soloklavier in der abschließenden glanzvollen Coda in organischer Verbindung mit dem Or chesterpart noch einmal Gelegenheit zu virtuosem Brillieren gegeben. Der zarte zweite Satz (Adagio un poco mosso) bildet in seiner besinnlichen Innigkeit einen starken Kontrast zu dem vorangegangenen. Sein feierliches, er greifendes Liedthema,, zunächst in edler Harmonisierung von den Streichern musiziert, wird vom Soloinstrument im Verlaufe des ziemlich kurzen Satzes in Figurationen aus perlenden Trioienketten, Terzen- und Sextenpassagen sanft umspielt. Aus dieser träumerischen Stimmung erfolgt unmittelbar der Übergang in das Finalrondo, wobei am Ende des Adagios durch das Soloklavier bereits ganz leise das Anfangsmotiv des Rondothemas vorausgenommen wird, mit dem dann im Allegrotempo der geistvolle, sprühende Schlußsatz beginnt. Eine äußerst feine thematische Arbeit voll der verschiedensten Ausdeutungen und Kombi nationen kennzeichnet dieses schwungvolle Finale, dessen musikalische Substanz neben einigen Seitenthemen im wesentlichen das tänzerische, durch eigenartige Verschmelzung zwei- und dreigeteilter Rhythmen gleichsam widerspenstig wir kende Anfangsthema, ein daran anschließendes Motiv mit punktiertem Rhyth mus sowie ein lyrisches, gesangvolles Thema bilden. Nach einem Duo zwischen dem scheinbar immer mehr ermattenden und fast verlöschenden Klavier und der ständig leise das punktierte Motiv wiederholenden Pauke schließt das Kon zert nach einem plötzlichen Aufschwung des Soloinstrumentes endlich, doch wie der in jubelndem Tutti. Der geniale russische Komponist Modest Mussorgski hinterließ uns auf dem Gebiete der sinfonischen Musik nur sehr wenige und kleinere Werke, die bis auf die bekannte „Nacht auf dem Kahlen Berge" neben seinen Opern und Liedern auch an Bedeutung zurücktreten. Die „Bilder einer Ausstellung“, eine seiner hervorragendsten Kompositionen überhaupt, sind von ihm nicht für Orchester, sondern als Klaviersuite komponiert worden. Das Werk entstand im Jahre 1874, angeregt durch eine Moskauer Ausstellung mit Aquarellen und Zeichnungen des russischen Malers und Architekten Viktor Hartmann, der kurz zuvor (1873) verstorben war und zu Mussorgskis besten Freunden gezählt hatte, und schildert die Eindrücke, die der Komponist bei der Betrachtung einiger dieser Bilder empfing. Die so entstandene — übrigens dem bedeutenden russi schen Kunstkritiker Wladimir W. Stassow gewidmete — Komposition, ein äußerst plastisches, nuancenreiches und nach Charakter und Stil ganz und gar russisches Werk, enthält die musikalische Darstellung von zehn Bildern Hart manns und gliedert sich demgemäß in zehn Teile. Die einzelnen Sätze wer den durch thematisch immer ähnliche sogenannte „Promenaden" verbunden, die gleichsam dos Promenieren von Bild zu Bild wiedergeben. Die in ihrer klanglichen Differenzierung fast orchestral konzipierte Klavierkom position reizte verständlicherweise andere Komponisten zur Instrumentation. Die Orchesterfassung Maurice Ravels aus dem Jahre 1922, die am 3. Mai 1923 in Paris unter Sergej Kussewizki uraufgeführt wurde, errang die größte Popularität, schöpft sie doch orchestral alle Möglichkeiten der musikalischen Charakteristik und der Klangfarbe aus, die dem Original M u s s o r g s k i s immanent sind. Im folgenden sei das Programm, der Inhalt der einzelnen „Bilder einer Aus stellung" kurz erläutert. Nach der als Einleitung erklingenden „Promenade" folgt ols erstes Bild „Gnomus“. Die Vorlage dazu war ein Entwurf Hartmanns für einen holzgeschnitzten Nußknacker in der Form eines grotesken, buckligen, krummbeinigen Zwerges, dessen plumpe, ungelenke Bewegungen in Mus sorgskis Komposition durch große Intervallsprünge, hinkende Rhythmen, unerwartete Stockungen charakterisiert werden. Eine lyrisch-elegische Ständchenmelodie fand der Komponist für das zweite Bild, „Das alte Schloß” betitelt. Hartmann hatte den Vorwurf seines Bildes, das eine italienische Landschaft mit einer Burg und einem Troubadour im Vorder grund zeigt, auf einer Studienreise in Italien gesehen. Die Gärten der „Tuilerien" in Poris sind der Schauplatz einer eleganten musi kalischen Genreszene, die spielende und streitende Kinder schildert. „Bydlo" nennt sich das nächste Bild. Ein rumpelnder polnischer Ochsenkarren mit riesengroßen Rädern, der diesen Namen trägt, kommt des Weges und entfernt sich wieder. Das „Ballett der Küchlein in ihren Eierschalen" geht auf Kostümentwürfe Hart manns für eine Ballettaufführung zurück. Mussorgskis Komposition ist in leichtem Scherzocharakter gehalten; die Küchlein hacken an ihren Schalen, tanzen graziös und piepsen in Vorschlägen und Trillern. Die scharfe, treffende Charakterisierung zweier polnischer Juden, eines reichen und eines armen, gibt der Komponist in „Samuel Goldenberg und Schmuyle“ in einem musikalischen Dialog. Hartmann zeichnete die beiden im Ghetto von Sandomir. Marktgeschwätz und Streiten kreischender, keifender Weiber schildert der sie bente Teil der Suite, „Der Martkplatz von Limoges", in einem besonders an schaulichen Klangbild nach einem Aquarell Hartmanns. Eine düstere Episode bringen die „Katakomben". Durch die Vorlage, ein Selbst porträt Hartmanns in den Pariser Katakomben, wird in einer gespensti schen Vision die Erinnerung an den toten Freund heraufbeschworen. Den zwei-