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einem (1908 unter dem Titel „Die chinesische Flöte" erschienenen) Sammelband altchinesischer Lyrik in deutschen Übertragungen Hans Bethges entnommen. Vier der daraus ausgewählten Dichtungen stammen von dem hochberühmten chine sischen Dichter Li-Tai-Po, die übrigen von drei bei uns weniger bekannten Lyrikern; Mahler nahm jedoch an vielen Stellen kleine Änderungen und Hinzu fügungen vor, die z. T. für den Grundcharakter durchaus wesentlich sind (so wurden beispielsweise die Schlußworte von ihm selbst verfaßt). Gustav Mahler schrieb das „Lied von der Erde“, nachdem er erfahren hatte, daß eine schwere Herzkrankheit sein Leben bedrohte; er schrieb das Werk in einer Stimmung, die ihm das Leben mit erhöhtem Glanz verklärt erscheinen und ihn gleichzeitig in der Wehmut des Wissens um ein baldiges Scheidenmüssen Töne menschlich ergreifender Traurigkeit finden ließ. „Ein großes Lebewohlsagen, einen Abschied von Jugend, Schönheit und Freundschaft“ nannte er dieses Werk. Gewiß sprechen aus diesem Lebewohlsagen auch Müdigkeit und Resignation, Bitterkeit und Weltschmerz — das ist unüberhörbar, aber doch nur zu begreif lich, wenn man bedenkt, von welcher Welt, von welcher Zeit Mahler hier rück schauend Abschied nahm, welche Enttäuschungen und Schmerzen er durchlebt hatte. Und immer wieder klingt auch hier durch dunkle Schwermut, Trauer und Verzweiflung hindurch, wie stark sich der Komponist trotz allem zum Leben be kannte, wie sehr er die Erde, die Natur, alle Freuden des menschlichen Daseins liebte, wie unsagbar schwer ihm der Abschied fiel. — Stilistisch ist das „Lied von der Erde“ gekennzeichnet durch eine maßvolle Zurückhaltung in der Ver wendung der musikalischen Mittel. Der Orchestersatz erreicht stellenweise eine geradezu kammermusikalische, den Klangcharakter der einzelnen Instrumente betonende Durchsichtigkeit. Die nur durch eine selbständige Orchesterüberlei tung zwischen dem fünften und dem sechsten Gesang unterbrochene Folge der sechs abwechselnd einer Tenor- und einer Altstimme anvertrauten Orchesterlieder, die z. T. strophisch gestaltet, z. T. frei durchkomponiert sind, zeigt eine Anord nung im Sinne sinfonischer Entwicklung. Große gestalterische Kraft, Konzentration und Prägnanz des Ausdrucks läßt gleich das zwingende, gedrängte erste Stück des Zyklus, das dreistrophige „Trinklied vom Jammer der Erde“ erkennen, das durch ein stimmungsmäßiges Schwanken zwischen tiefster Melancholie, kraftvoll-wildem Aufbegehren und verzweifeltem Übermut mit grotesk-phantastischen, glühend ekstatischen Zügen charakterisiert ist. „Etwas schleichend, ermüdet" steht über dem sehr verinnerlichten, in Rondo form gearbeiteten zweiten Satz, „Der Einsame im Herbst" betitelt, über ge dämpften, gleichmäßigen Streicherklängen ertönt zuerst elegischer Oboengesang, dann die Klage der Altstimme; die gleitende Melodik weist eine leicht penta tonische Färbung auf. Bildhafte Anmut, Beschwingtheit und Leichtigkeit zeichnen den folgenden Gesang („Von der Jugend") aus, ein reizendes, gläsern-trans parentes Genrestück von subtiler Farbgebung, apartem Reiz. Ein leicht exotisie- render Klangstil wird auch im vierten Satz, „Von der Schönheit" genannt, be merkbar, wobei hier in der Instrumentation zwei Harfen und eine Mandoline hervortreten. Dieses stärkere rhythmische Impulse aufweisende, sprühende Le bensfreude ausströmende Stück klingt nach einer großen Steigerung im mittleren Teil ganz zart und sensibel aus. An die Atmosphäre des Anfangs erinnert der fünfte, wild und keck einsetzende Teil, „Der Trunkene im Frühling“. Auch hier wieder Wechsel der Stimmungen, Wechsel zwischen Trotz und Gleichgültigkeit, auflachendem Übermut und lyrisch-weltschmerzlichen Wendungen. Erschütternde Traurigkeit, tiefste Melancholie prägen nach all den bunten, verschiedenfarbigen Bildern des Lebens, die in den vorangegangenen Stücken gezeichnet wurden, in stärkster Stimmungsgewalt den Charakter des Schlußsatzes. Bereits dem äußeren Umfang nach übertrifft dieser als Hauptstück des Ganzen aufzufassende „Ab schied" bei weitem alle übrigen Teile, bildet in seiner poetischen Kraft, seiner großlinigen Architektur aber auch den wirklichen musikalischen Höhepunkt. „Gänzlich ersterbend", in dreifachem Pianissimo — vom Moll des Anfangs nach Dur aufgehellt — wird das Werk beschlossen. Dr. habil. Dieter Härtwig Gustav Mahler: Das Lied von der Erde Aus dem Chinesischen übertragen von Hans B e t h g e Das Trinklied vom Jammer der Erde Schon winkt der Wein im gold'nen Pokale. Doch trinkt noch nicht, erst sing' ich euch ein Das Lied vom Kummer (Lied! Soll auflachend in die Seele euch klingen. Wenn der Kummer naht, Liegen wüst die Gärten der Seele, Welkt hin und stirbt die Freude, der Gesang. Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Herr dieses Hauses! Dein Keller birgt die Fülle des goldenen Weins! Hier, diese Laute nenn' ich mein! Die Laute schlagen und die Gläser leeren, Das sind die Dinge, die zusammen passen. Ein voller Becher Weins zur rechten Zeit Ist mehr wert, als alle Reiche dieser Erde! Dunkel ist das Leben, ist der Tod. Das Firmament blaut ewig, und die Erde Wird lange fest steh'n und aufblühn im Lenz. Du aber, Mensch, wie lange lebst denn du? Nicht hundert Jahre darfst du dich ergötzen An all dem morschen Tande dieser Erde! Seht dort hinab ! Im Mondschein auf den Gräbern Hockt eine wild-gespenstische Gestalt — Ein Aff' ist's! Hört ihr, wie sein Heulen Hinausgellt in den süßen Duft des Lebens! Jetzt nehmt den Wein! Jetzt ist es Zeit, Genossen! Leert eure gold'nen Becher zu Grund! Dunkel ist das Leben, ist der Tod! Der Einsame im Herbst Herbstnebel wallen bläulich überm See; Vom Reif bezogen stehen alle Gräser; Man meint, ein Künstler habe Staub von Jade über die feinen Blüten ausgestreut. Der süße Duft der Blumen ist verflogen; Ein kalter Wind beugt ihre Stengel nieder. Bald werden die verwelkten, gold'nen Blätter Der Lotosblüten auf dem Wasser zieh'n. Mein Herz ist müde. Meine kleine Lampe Erlosch mit Knistern, es gemahnt mich an den Ich komm' zu dir, traute Ruhestätte! (Schlaf. Ja, gib mir Ruh', ich hab' Erquickung not! Ich weine viel in meinen Einsamkeiten. Der Herbst in meinem Herzen währt zu lange Sonne der Liebe, willst du nie mehr scheinen, Um meine bittern Tränen mild aufzutrocknen? Von der Jugend Mitten in dem kleinen Teiche Steht ein Pavillon aus grünem Und aus weißem Porzellan. Wie der Rücken eines Tigers Wölbt die Brücke sich aus Jade Zu dem Pavillon hinüber — In dem Häuschen sitzen Freunde, Schön gekleidet, trinken, plaudern, Manche schreiben Verse nieder. Ihre seidnen Ärmel gleiten Rückwärts, ihre seidnen Mützen Hocken lustig tief im Nacken. Auf des kleinen Teiches stiller Wasserfläche zeigt sich alles Wunderlich im Spiegelbilde. Alles auf dem Kopfe stehend In dem Pavillon aus grünem Und aus weißem Porzellan; Wie ein Halbmond steht die Brücke, Umgekehrt der Bogen. Freunde, Schön gekleidet, trinken, plaudern. Von der Schönheit Junge Mädchen pflücken Blumen, Pflücken Lotosblumen an dem Uferrande. Zwischen Büschen und Blättern sitzen sie, Sammeln Blüten in den Schoß und rufen Sich einander Neckereien zu. Gold'ne Sonne webt um die Gestalten, Spiegelt sie im blanken Wasser wider. Sonne spiegelt ihre schlanken Glieder, Ihre süßen Augen wider, Und der Zephir hebt mit Schmeichelkosen Das Gewebe ihrer Ärmel auf, Führt den Zauber Ihrer Wohlgerüche durch die Luft. O sieh, was tummeln sich für schöne Knaben Dort an dem Uferrand auf mut'gen Rossen, Weithin glänzend wie die Sonnenstrahlen; Schon zwischen dem Geäst der grünen Weiden Trabt das jungfrische Volk einher! Das Roß des einen wiehert fröhlich auf Und scheut und saust dahin. Über Blumen, Gräser wanken hin die Hufe, Sie zerstampfen jäh im Sturm die hingesunk'nen (Blüten.