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DRESDNER PHILHARMONIE ZUR EINFÜHRUNG Sonnabend, den 10. Juni 1978, 20.00 Uhr Sonntag, den 11. Juni 1978, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes Dresden 10. PHILHARMONISCHES KONZERT • Dirigent: Herbert Kegel Solist: Ruggiero Ricci, USA, Violine Fritz Geißler geb. 1921 Sinfonie Nr. 5 Adagio — Sehr schnell und virtuos — Ritornell 1 (Adagio) - Ironisch — Ritornell 2 (Adagio) — Sehr lebhaft Jean Sibelius 1865-1957 Konzert für Violine und Orchester d-Moll op. 47 Allegro moderato Adagio molto Allegro ma non tanto PAUSE Leos Janäcek 1854-1928 Sinfonietta Allegretto — Allegro — Maestoso Andante — Allegretto — Meno mosso — Maestoso — Tempo I — Allegretto Moderato — Con moto - Prestissimo — Moderato Allegretto — Presto Andante con moto — Meno mosso — Maestoso — Tempo I — Allegretto — Allegro — Maestoso Zum 50. Todestag des Komponisten am 12. August 1978 Ruggiero Ricci ist italienischer Abstammung und wurde 1920 in San Francisco geboren. Schon als Knabe zeigte er eine hervorragende Begabung für das Geigenspiel. Neunjährig spielte er bereits mehrere öffentliche Konzerte in seiner Geburtsstadt und in New York, u. a. interpretierte er das Mendelssohn-Konzert. Die Krönung seiner Wunderkind-Laufbahn brachte eine aufsehenerregende Europa-Tournee, die er im Alter von zwölf Jahren unter nahm. Seine Lehrer waren Persinger, Piastro und Kulenkampff. Der zweite Weltkrieg unter brach zunächst seinen künstlerischen Aufstieg. Doch nach Kriegsende nahm er sofort seine Konzerttätigkeit wieder auf und bereiste alle Kontinente, konzertierte mit fast allen füh renden Orchestern. Ricci spielt eine seltene und kostbare Guarnerius-del-gesu-Violine aus dem Jahre 1734. Er gehört zu den besten Geigern der Welt. Seit 1958 ist er ständiger Gast der Dresdner Philharmonie. Fritz Geißler zählt zu den profiliertesten und schöpferisch aktivsten Kom ponistenpersönlichkeiten der DDR. Umfangreich und vielseitig ist sein bisheri ges Schaffen, das u. a. Opern, Ballette, Oratorien, Kantaten, Kammermusik und vor allem neun gewichtige Sinfonien umfaßt (seine 10. Sinfonie schreibt Fritz Geißler gegenwärtig im Auftrag der Dresdner Philharmonie). Mit großem künstlerischen Verantwortungsbewußtsein hat sich der Komponist besonders auf die inhaltlich-gestalterische Erfüllung der großen und traditionsreichen sinfoni schen Form konzentriert. Auf diesem Gebiet gelangen ihm denn auch höchst eigenständige und neuartige Lösungen, leidenschaftliche Bekenntnisse zu den brennenden Fragen unserer Zeit, die durch den expressiven Ernst ihrer Aussage fesseln. Fritz Geißler wurde 1921 in Wurzen geboren und studierte an den Musikhoch schulen Leipzig (u. a. bei Max Dehnert und Wilhelm Weismann) und Berlin- Charlottenburg. Heute wirkt er selbst als Professor für Komposition an der Leipziger Musikhochschule; er lebt im Bezirk Gera. Seine 5. Sinfonie ent stand 1968/69 zum 20. Jahrestag der DDR als Auftragswerk der Dresdner Phil harmonie, die das Werk, für das der Komponist 1970 den Nationalpreis er hielt, am 6. Februar 1970 unter Kurt Masur erfolgreich uraufführte (1972 spielte es Herbert Kegel mit dem Leipziger Rundfunk-Sinfonieorchester für ETERNA ein). „Ich habe diese Sinfonie Dresden gewidmet als Huldigung an eine Stadt, in der Musik eine so reiche Tradition hat und musisches Klima Tradition ist“, sagte Fritz Geißler über seine 5. Sinfonie. „Ein besonderes Programm habe ich nicht in Töne übersetzt, Dresden und seine Geschichte also nicht .widergespie gelt'. Doch war es für mich eine verlockende Aufgabe, für ein Publikum schrei ben zu können, das durch unsere großen Meister verwöhnt, aber auch erzo gen, in Sachen Kunst verständig ist." Der Komponist gelangte in seiner „Fünften", die sich mittlerweile als Mark stein in der Geschichte der DDR-Sinfonik erwiesen hat, zu einer eigenwilligen, unkonventionellen Lösung, ohne dabei die „Ideen-Tradition" der klassischen Sinfonik aufzugeben. Ungewöhnlich ist zunächst schon das äußere Bild der für Interpreten und Hörer gleichermaßen anspruchsvollen Partitur: das Werk hat lediglich zwei Sätze, wobei der erste, ein ernstes, fast zu tragischer Aussage vordringendes Adagio, „attacca" — ohne Pause — in den zweiten Satz über geht. Dieser nun ist dreigliedrig (schnell — mäßig bewegt — schnell) ange legt, wobei die einzelnen Satzteile jeweils durch ein Adagio-Ritornell (Zwischen spiel) miteinander verbunden sind, das auf das thematische Material des er sten Satzes zurückgreift. Das inhaltliche Geschehen des zweiten Satzes kontra stiert zur ernsten Problemstellung des ersten. Es wird vorwiegend von energi schen, vorwärtsstürmenden Impulsen bestimmt, lediglich in den Ritornellen durch die ernste Grundstimmung des Einleitungssatzes unterbrochen. Der Mit telteil des zweiten Satzes läßt eine ironische Haltung erkennen. Der Schlußteil schließlich bringt - klassischer sinfonischer Dialektik folgend — eine Überwin dung dargestellter Konflikte. In echt sinfonischer Auseinandersetzung wird zu kraftvoller, lebensbejahender Aussage vorgestoßen. Kompositionstechnisch bediente sich Geißler bei der Entwicklung des themati schen Materials, das sich zu Beginn des ersten Satzes keimhaft entfaltet, einer frei gehandhabten Dodekaphonie (Zwölftontechnik); ein wesentlicher Grundzug seiner Arbeit ist dabei eine die gesamte Sinfonie durchdringende thematische Substanz, die, obwohl sie sich ständig wandelt, dennoch dem Ganzen Ge schlossenheit und Dichte verleiht. Gelegentlich werden auch aleatorische Eie-