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DRESDNER PHILHARMONIE Sonnabend, den 27. Mai 1978, 20.00 Uhr Sonntag, den 28. Mai 1978, 20.00 Uhr Festsaal des Kulturpalastes 9. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Herbert Kegel Solisten: Magdalena Falewicz, VR Polen, Sopran Annelies Burmeister, Berlin, Alt Eberhard Büchner, Berlin, Tenor Ulrik Cold, Dänemark, Baß Werner Haseleu, Dresden, Sprecher Chöre: Rundfunkchor Leipzig Einstudierung: Gerhard Richter Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung: Herwig Saffert Arnold Schönberg 1874-1951 „Ein überlebender von Warschau“ für Sprecher, Männerchor und Orchester op. 46 Erstaufführung Ludwig van Beethoven 1770-1827 Sinfonie Nr. 9 mit Schlußchor über Schillers Ode „An die Freude“ für Orchester, Solostimmen und Chor d-Moll op. 125 Allegro ma non troppo, un poco maestoso Molto vivace Adagio 1 molto e cantabile Finale (Presto — Prestissimo) Das Konzert am 28. Mai 1978 wird von Radio DDR, Sender Dresden, aufge zeichnet und in der Sendereihe „Dresdner Abend" gesendet. ZUR EINFÜHRUNG Arnold Schönberg wurde im Jahr 1874 in Wien geboren. Er erwarb sich bei seinem Schwager Alexander von Zemlinsky, vor allem aber durch gründ liches Selbststudium ein hervorragendes Wissen um den musikalischen Satz. Ab 1902 übte er eine eigene Lehrtätigkeit aus. Zu seinen berühmtesten Schülern gehörten in der Folgezeit Alban Berg, Anton von Webern, Hanns Eisler, Hans Erich Apostel, Hanns Jelinek, Ernst Krenek und Egon Wellesz. 1910 wurde er Lehrer an der Wiener Musikakademie, 1923 Leiter der Meisterklasse für Kom position an der Akademie der Künste in Berlin. Vor dem Faschismus emigrierte er 1933 in die USA, wo er als Professor für Komposition an der Kalifornischen Universität in Los Angeles tätig war. Seit 1944 lebte er hier von einer geringen Rente und verstarb im Jahre 1951. Arnold Schönberg gehört zu den bedeutendsten Vertretern der bürgerlichen sogenannten „Neuen Musik“ unseres Jahrhunderts. Sein Name ist aufs engste mit der Herausbildung der zwölftönigen Setzweise in der musikalischen Kompo sition verbunden („Der Methode, mit zwölf Tönen zu komponieren, gingen viele Vorversuche voraus . . . Einheit und Ordnung waren es, die mich unbewußt diesen Weg geführt hatten"). Schönbergs dritter Schaffensabschnitt (etwa seit 1920) brachte die Aufstellung der Lehre von den zwölf aufeinander bezogenen Halbtönen der Oktave, mit der der Komponist verantwortungsbewußt der Auf hebung der tonalen Bindungen in der bürgerlichen Musik seiner Zeit entge genzutreten versuchte. Eine Synthese aus konstruktiver Logik und stärkster Ex pression, geniale Begabung, ein mathematisch-fundiertes System mit künstle rischer Intensität und musikalischem Ausdruck zu erfüllen — das ist es, was Schönbergs musikgeschichtliche Leistungen kennzeichnet, über deren Größe und Grenzen Hanns Eisler treffliche Beobachtungen und Analysen angestellt hat, die dem „Phänomen" Schönberg im Anerkennenden wie im Kritischen sehr ge recht werden. Obwohl Schönberg selbst sagte: „Musik, die nicht aus dem In nern ihres Schöpfers kommt, kann nie gute Musik sein", immer nach besten Kräften danach handelte und in den Spätwerken der Emigrationszeit mehrfach zu tonalen Zentren zurückkehrte, spielen seine Werke im praktischen Musikle ben unserer Zeit immer noch nicht wenig mehr als eine periphere Rolle. „,lch bin ein Konservativer, den man gezwungen hat, ein Radikaler zu werden'. Diese Worte Schönbergs können durchaus als Hinweis auf eine Reihe von dia lektischen Gegensätzen gelten, die das Wesen von Persönlichkeit und Schaffen Schönbergs bestimmen", stellte zu Recht Eberhard Kneipel fest und äußerte weiterhin in diesem Zusammenhang: „Diese Worte betreffen einmal die Ambi valenz gegenüber der Tradition: Kompositionstechnisch erfolgt ein Bruch mit der Vergangenheit, der sich freilich gerade historisch ableiten und legitimie ren möchte, ausdrucksmäßig fällt inmitten aller Neuerungen die gelegentliche nostalgische Rückschau zu einer verflossenen Schönheit auf. Zum anderen bleibt auch der Widerspruch zwischen der ästhetischen Radikalität Schönbergs, mit der er dem spätromantischen Schwulst die sensitive eigene musikalische Wahrheit gegenüberstellte, und seinem weltanschaulichen Konservatismus nicht verborgen. Noch 1948 schrieb er: .Wir, die wir in der Musik leben, haben in der Politik keinen Platz und müssen sie als etwas Wesensfremdes ansehen. Wir sind a-politisch und können höchstens trachten, stillschweigend im Hin tergrund zu bleiben.' Indem Schönberg bloß .Revolution' am Material der Mu sik betrieb und so neue Klangwelten schuf, die Notwendigkeit einer veränder ten Funktion der Kunst in der realen Welt jedoch weder akzeptierte noch be dachte, begab er sich bewußt auf eine esoterische Position. Das Melodram Ein überlebender von Warschau für Sprecher, Männerchor und Orchester op. 46 ist jedoch eines der wenigen Werke Schön-