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ZUR EINFÜHRUNG Kurt Schwaen stammt aus Kattowitz. Er studierte Klavier- und Orgelspiel, Musikwissenschaft und Germanistik an den Universitäten in Breslau und Berlin. 1939 bis 1943 war er Mitarbeiter von Mary Wigman sowie anderer Tanzschulen. Der eigentliche Beginn seiner kompositorischen Tätigkeit fiel in die Zeit nach 1945. Seit 1953 ist er freischaffender Komponist in Berlin, nachdem er seit 1947 als Leiter der Berliner Volksmusikschule und seit 1949 als Musikreferent der Deut schen Volksbühne gewirkt hatte. Kurt Schwaens kompositorisches Schaffen, für das er den Preis für künstlerisches Volksschaffen und den Nationalpreis erhielt, umfaßt Vokal-, Instrumental- und Bühnenwerke. Seinen Sinn für einprägsame Melodik und sparsamsten Einsatz der Mittel erweist vor allem sein aus enger Verbindung mit der Volksmusik hervorge gangenes Lied- und Chorwerk mit spezifischen Beiträgen zur Kinderchorliteratur, für die sich der Kinderchor der Dresdner Philharmonie verschiedentlich mit Erfolg einsetzte. Kurt Schwaen äußerte zu der unser Konzert eröffnenden Kantate, deren Text er nach einem chinesischen Märchen selbst verfaßte: „Nach den Kinderkantaten .König Midas' und .Eine Weltreise im Zimmer' wollte ich, befriedigt von den Ergeb nissen, auf diesem Gebiet weiter tätig sein. Es hatte sich herausgestellt, daß alle diese Kantaten auch szenisch aufgeführt werden konnten, was ihren Nutzen für die Ausführenden nur vermehren würde. So schrieb ich 1962, beides im Auge behaltend, das Lehrstück , Der Dieb und der König'. Es ist für das Lehrstück typisch, daß das Mitmachen beinahe wichtiger ist als das Anhören. Die Schulpraxis verlangte den geringsten Apparat: einen einstimmigen Chor, wenige Kindersolisten, zur Begleitung ein Klavier. Jetzt wurde auf Wunsch eine Kammermusikgruppe (Oboe, Klarinette, Fagott, Streichquintett, Cembalo) hin zugefügt. Da die Fabel und ihre Durchführung auf szenische Äußerlichkeiten verzichtet, bleibt die oratorische Aufführung immer auch berechtigt." Georg Philipp Telemanns Kantate »Der Schulmeister", eine auch zeitgeschichtlich aufschlußreiche, possierliche Satire auf die Alltagsnöte eines Schulmeisters des 18. Jahrhunderts, ist nicht im Original, sondern in einer Bearbeitung des in Kopenhagen wirkenden Organisten und Komponisten Christoph Ernst Friedrich Weyse (t 1842) überliefert. Daß Telemann, der von seinen Zeit genossen auch als „Dichter" gerühmt wurde, selbst den Text verfaßt hat, wie Weyses Partitur angibt, erscheint wahrscheinlich; denn bei den Worten des Schul meisters „dergleichen weder Telemann noch Hasse selbst zuwege bringen kann" handelt es sich offenbar um eine witzige Selbstzitierung und Apostrophierung Johann Adolf Hasses, der übrigens den gleichen Text vertont hat. Weyse hat das Original für Streichorchester, zwei Oboen, zwei Fagotte und zwei Hörner instru mentiert. Bei der Rekonstruktion der mutmaßlichen Urfassung wurde die Besetzung mit zwei Violinen und Continuo gewählt, die die weltliche Kantate des 18. Jahr hunderts bevorzugt. „Wie in seinen komischen Singspielen (Pimpinone, Der geduldige Sokrates u. a.) erweist sich Telemann, dessen »schertzhafte Ausschweifungen, originalen Ton und komische Launen* schon seine zeitgenössischen Kritiker rühmten, auch in dieser, von echtem Lustspielgeist beschwingten Kantate als überlegener Humorist und witziger Satiriker. Der langjährige Kantor des Hamburger Gymnasiums und Johanneums, der die Mühsale eines vielgeplagten Singepräzeptors am eigenen Leibe zur Genüge erfahren hat, schildert mit sprühender Laune und köstlicher Selbstironie eine Gesangstunde, die ein hypochondrisch brummender, doch gemüt voller und von seiner Kunst begeisterter Schulmeister, ein ebenbürtiger Vorläufer von Lortzings untersterblichem Baculus, mit seinen begriffsstutzigen, ungezogenen Jungen abhält. Sein Pomposo-Auftritt im alten gravitätischen Ouvertürenrhythmus, sein grimmiger Ausfall gegen die welsche Solmisation, das zweimalige klägliche Steckenbleiben in seiner wichtigtuerischen ,Aria', wobei er die .Flegel' durch hefti ges Anfahren von seinem eigenen Mißgeschick abzulenken versucht, die köstliche Szene, in der er mit seinen .Bengels' einen zopfigen lateinischen Cantus, ,was Künstliches, nach Fugenart', einzuüben versucht, wie dabei ihr verfrühter Einsatz greuliche Quinten ergibt und die störrischen Quälgeister dann überhaupt nicht ein setzen, das fröhliche Gelingen beim dritten Versuch, des Scholarchen gutmütig- polternde Kritik und seiner Weisheit letzter Schluß, das ,Lob auf die Musik' und ihre .rechten Meister' mit dem naturalistischen Eselsgeschrei, — das alles ist mit treffsicherer psychologischer Charakterisierungskunst und mit bewußt primitiven Mitteln gestaltet von einem Meister des Buffostils, der immer wieder durch neue komische Einfälle überrascht. So, wenn er, um nur eins noch zu erwähnen, im 3stim- migen Cantus bei den Worten Euripides und Aristoteles jeweils in einer Stimme eine Ligatur anbringt, so daß im chorischen Zusammenklang ein drolliger Stotter effekt erzielt wird" (F. Stein). Gottfried August H o m i I i u s (1714—1785) war Schüler Johann Seba stian Bachs und wirkte seit 1742 als Organist an der Dresdner Frauenkirche. 1755 erfolgten seine Wahl und Berufung zum Dresdner Kreuzkantor, Collega V an der Dresdner Kreuzschule und Director musices an den drei Dresdner Hauptkirchen. Seine Bedeutung manifestiert sich auf den Gebieten des Orgelspiels, der Päd agogik und der Komposition. Hiller, Gerber, Reichardt und Türk zählten ihn zu den besten Organisten seiner Zeit. Etwa 100 erhaltene Präludien und Choralvor spiele künden von seinen Qualitäten als Komponist für dieses Instrument. Einen hervorragenden Ruf genoß Homilius als Chorerzieher. Er brachte den Kreuzchor auf eine bis dahin noch nicht erreichte Leistungshöhe und komponierte für ihn die meisten seiner Vokalwerke (Oratorien, Passionsmusiken, etwa 200 Kirchenkan taten, etwa 65 Motetten, Magnificat u. a.). Außer einigen theoretischen Schrif ten wird das musikpädagogische Wirken von Homilius durch bedeutende Schü ler unterstrichen (J. A. Hiller, D. G. Türk, J. F. Reichardt, J. G. Naumann). Als Komponist wurzelt Homilius einerseits noch in der Bach-Händel-Zeit, weist aber andererseits mit wachsender kompositorischer Reife schon frühklassische Züge auf. Er versah vor allem seine Vokalwerke mit jener Verflechtung von kunst voller Polyphonie, liedhafter Volkstümlichkeit und empfindsamen Geschmack, die ihm bei den Zeitgenossen Achtung und Erfolg einbrachten und den Lexiko graphen E. L. Gerber 1790 zu dem Urteil bewogen: „Er war ohne Widerrede unser größter Kirchenkomponist." Das Concerto per i I Cembalo concer tato, 2 V i o I i n i , Viola F-Dur wurde vor 1761 vermutlich für das Dresdner Collegium musi- cum komponiert und erklingt heute erstmals wieder seit mehr als 200 Jahren. Es besteht aus zwei schnellen Ecksätzen und einem langsamen Mittelsatz. So mit geht es formal auf den Solokonzerttyp Vivaldis zurück. Homilius huldigt in seinem Werk in starkem Maße frühklassischen Tendenzen. So enthält der erste Satz einen dreiteiligen Aufbau mit einer Durchführung, deren themati sches Material durch motivische Ableitung aus dem Anfangsritornell gewonnen wird. Der zweite Satz weist eine dreiteilige Liedform auf, und dem dritten liegt eine Rondoform zugrunde. Der Cembalopart läuft ohne Unterbrechung vom Anfang bis zum Ende der einzelnen Sätze durch und entspricht hierin der von J. S. Bach begründeten Praxis (Konzert für zwei Klaviere und Orchester BWV 1061). Die Begleitinstrumente dienen in den ersten beiden Sätzen lediglich der tuttimäßigen Verstärkung und generalbaßmäßigen Ergänzung. Nur im Schlußrondo übernehmen auch Violinen und Bratschen selbständige Aufgaben. Stilistisch enthält das Cembalokonzert Merkmale des „empfindsamen Geschmacks“ (lombardische Rhythmen, Vorhaltsbildungen, galante Triller). Darüber hinaus sind klavieristisch-spieltechnische Einflüsse Domenico Scarlattis und Georg Fried-