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Sonntag, den 10. Januar 1982, 19.30 Uhr im Festsaal des Kulturpalastes Dresden Konzert der Dresdner Philharmonie Dirigent: Johannes Winkler Solist: Anton Kuerti, Kanada, Klavier PROGRAMM Johann Sebastian Bach 1685-1750 14 Kanons über die ersten acht Fundamentalnoteri aus den „Goldberg-Variationen" BWV 1087 Für Kammerorchester eingerichtet von Friedrich Goldmann 1. Canon simplex; 2. all’ roverscio; 3. Beede vorigen Canones zugleich, motu recto e contrario; 4. motu contrario e recto; (nach Goldmann: alle 4 Kanons zusammen); 5. Canon duplex ä 4; 6. Canon simplex über besagtes Fundament ä 3; 7. Idem ä 3; 8. Ca non simplex ä 3, il scggetto in Alto; 9. Canon in unisono post semifusam ä 3; 10. Alio modo, per syncopationes et per ligaturas ä 2 Evolutio; 11. Ca non duplex übers Fundament ä 5; 12. Canon duplex über besagte Fundamental-Noten ä 5; 13. Canon triplex ä 6; 14. Canon d 4 per Augmentationem et Diminutionem Erstaufführung Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Konzert für Klavier und Orchester A-Dur KV 488 Allegro Andante Presto PAUSE Anion Bruckner 1824-1896 Sinfonie Nr. 1 c-Moll Allegro Adagio Scherzo (Schnell) Finale (Bewegt, feurig) Anton Kuerti wurde in Wien geboren, wuchs aber in den USA auf, wo er auch seine pianistische Ausbildung am Curtis Institute of Music als Schüler Rudolf Serkins erhielt. Seine internationale Karriere begann, als er nach zahlreichen Auszeichnungen 1957 den begehrten Leventritt-Preis errang. Ausgedehnte Kon zertreisen führten ihn durch den amerikanischen Kontinent, und auch seine ersten Konzerte in Europa, anläßlich des Dubrovnik-Festivals und in Spoleto (Italien), verliefen so erfolgreich, daß sich sogleich Verpflichtungen in andere europäische Länder (Österreich, VR Polen, BRD, Großbritannien, Belgien, Portugal u. a.) er gaben. Er musizierte mit zahlreichen bedeutenden Klangkörpern unter so be rühmten Dirigenten wie Adrian Boult, Josef Krips, Zubin Mehta, Eugene Ormandy, Seiji Ozawa, Witold Rowicki, George Szell. Wenn er keine Konzertreisen unter nimmt, hält er sich an der musikalischen Fakultät der Universität von Toronto auf, die ihn zum „Pianist in Residence” ernannte. Anton Kuertis Schallplatten erlebten hohe Auflagenzahlen. In der DDR konzertierte Anton Kuerti seit 1970 wiederholt mit großem Erfolg, bei der Dresdner Philharmonie war er 1973 und 1980 zu Gast. ZUR EINFÜHRUNG Am 4. April 1978 erlebte in einem Gemeinschaftskonzert des Rundfunks und der Akademie der Künste der DDR zum Gedächtnis an den Dirigenten Hellmut Koch, der 70 Jahre alt geworden wäre, durch das Kammerorchester Berlin unter Leitung Friedrich Goldmanns jenes Werk seine Urauffühung, das unser heutiges Konzert eröffnet: Johann Sebastian Bach: 14 Kanons über die ersten acht Fundamental nofen der Aria aus den „Goldberg"-Variaiionen" BWV 1087, für Kammerorchestei eingerichtet von Friedrich Goldmann (1977). Das in Rätselnotation überlieferte und in seiner klanglichen Realisierung von Bach nicht näher fixierte Werk wurde erst 1974 von dem amerikanischen Bach-Forscher Christoph Wolff entdeckt und von diesem in einem Vorabdruck der Neuen Bach-Ausgabe faksimiliert sowie mit Auflösungen herausgegeben. Friedrich Goldmann, der 1941 geborene, profilierte DDR-Komponist, Schüler Rudolf Wagner-Regenys, hat die Bachschen Kanons im Auftrag des Rundfunks der DDR instrumentiert, für Kammerorchester „eingerich tet". „Er grenzte sich ausdrücklich von allem, was nach Adaption aussehen könnte, ab und tastete die Struktur nicht an”, stellte Hermann Börner fest: „Lediglich in drei Punkten könnte man von gewissen Freiheiten sprechen, die aber wohlmotiviert sind: Goldmann entwickelte im Ablauf eine Art Dramaturgie, so daß sich der neunte und besonders der elfte Kanon als Höhepunkt herauskristallisieren. Außer dem wiederholte er die vier ersten Canons simplices nach ihrer Einzelvorstellung alle nach einmal zusammenfassend auf einer neuen Klangebene. Das steht zwar nicht ausdrücklich bei Bach, geht aber aus der Struktur hervor. Und beim letzten Kanon bringt er einige Takte in eigener Auflösung, da die strenge (nach Bach) zu absurden Ergebnissen führen würde (das ist übrigens auch die einzige Stelle, an der Goldmann von den Wolffschen Auflösungen abweicht). Jeder Instrumentator Bachscher Werke, der nicht historisierend eine Klangstil- Kopie erstrebt, muß sich Vergleiche mit ähnlichen Arbeiten Arnold Schönbergs, Anton Weberns, Hermann Scherchens, Igor Strawinskys oder Paul Dessaus gefal len lassen. Goldmann, der jene Instrumentationen genau kennt, hat sie nicht kopiert, er bietet eine eigene Lösung an. Ihm ging es nicht um eine pointi11istisch- zergliedernde, analysierende Instrumentation (wie etwa Webern), auch nicht um ein klangsinnliches, an der Technik der Orgelregister orientiertes Verfahren (wie etwa Dessau), sondern er zielte auf die Verdeutlichung der Stimmverläufe durch Klangfarben und Dynamik, wollte die Struktur hörbar machen. Auf gar keinen Fall war eine zeitgenössische Fassung in dem Sinne angestrebt, mit den heute zur Verfügung stehenden Mitteln eine neue Komposition zu entwickeln. Aber jedem Kanon hat Goldmann einen eigenen, unverwechselbaren Charakter gege ben, so daß man von einer interpretierenden Instrumentation sprechen könnte. Zunächst werden die vier Canones simplices von den beiden Hörnern (mit unter schiedlicher Lautstärke und Dynamik) vorgestellt. Um die prinzipielle Möglichkeit von Klangvarianten überhaupt zu demonstrieren, erklingen sie danach alle zu sammen auf einer ganz anderen, neuen Ebene. Der fünfte Kanon ist kammermusi kalisch gehalten, im sechsten bahnt sich dann schon eine Steigerung an, vom fünften bis neunten gibt es gleichsam einen übergeordneten Entwicklungsgang. Der neunte bringt den ersten orchestralen Höhepunkt (dieser Kanon im Sech- zehntelnotenabstand führte ganz von selbst zur Verdichtung des klanglichen Geschehens). Der zehnte ist als Kontrast dazu angelegt und könnte als eine Art Intermezzo bezeichnet werden, das Mixturwirkungen erstrebt. Der elfte (ein fünf stimmiger Doppelkanon, auffallend durch seine Kompliziertheit und Chromatik) nimmt dann eine zentrale Stellung im Zyklus ein; er ist durch verschiedene Klang gruppen instrumentiert. Die folgenden Stücke sind sowohl kammermusikalisch als auch orchestral gehalten. Am Schluß erscheinen noch einmal die acht Fundamen- talncten im Fagott, der Posaune, dem Cembalo und den Streichbässen und schlagen den Bogen zum Anfang zurück."