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Erregtheit, die leidenschaftlichen Ausbrüche des Werkes sind nicht allein aus der schottischen Natur geflossen, sie spiegeln auch jene tiefen Konflikte wider, von denen schon die Rede war. Aus einer Situation der Enttäuschung und aufkommenden Resignation heraus wuchs das Werk über eine programmatische Landschaftsschilderung hinaus und wurde zur künstlerischen Selbstbefreiung des Meisters. Die Gegensätze prallen hart aufeinander, und mit fast Beethovenscher Titanik wird um die Lösungen gerungen. Unterscheidet sich das Werk schon in der Formgestaltung von seinen Vorgängern, so weist es seine weitere Merkwürdigkeit auf: Mendelssohn gibt den Sätzen zwar die üblichen italienschen Tempobezeichnungen, bemerkt aber darüber hinaus, daß der Inhalt der einzelnen Sätze auf dem Programm angegeben werden könne wie folgt, wobei die inhaltlich bezogenen Begriffe von den Tempobezeichnungen abweichen: I. Einleitung — unruhig, aufgeregt, bewegt II. sehr lebhaft und lustig III. langsam singend IV. schnell, kriegerisch, kämpferisch — sieghafter Schluß Mendelssohns problemreichstes Werk darf wohl zugleich als der Höhepunkt seines sinfonischen Schaffens gelten." (K.-H. Köhler). Die erfolgreiche Uraufführung der Sinfonie erfolgte unter der Leitung des Komponisten am 3. März 1842 im Leipziger Gewandhaus. Die vier in der Sonatenform geschriebenen Sätze des Werkes gehen unmittelbar ineinander über, sie sind auch thematisch miteinander verbunden. Mit einer elegisch-melancholischen, gedämpften langsamen Einleitung (Andante con moto) beginnt der erste Satz. Die zwei Hauptgedanken des anschließenden Allegro con poco agitato — der erste hat eine volksliedhafte Gestalt — sind mit einander verwandt. Die thematische Arbeit wirkt wie aus einem Guß. Die Coda „schildert“ mit weichen Vorhalten, liegenden Stimmen und einem unruhigen chro matischen Gewoge schottische Nebelstimmung. Der Schluß mündet stimmungsvoll wieder in das schöne Einleitungsthema. Nach dem lyrisch-balladesken Naturgemälde des ersten Satzes begegnet uns im Scherzo (Vivace non troppo) das musizierende schottische Volk. Es erklingt eine altschottische, burschikose, frische Dudelsackmelodie, die pentatonisch (d. h. in einem östufigen halbtonlosen Tonsystem) angelegt ist, wie es eine Eigenart der schottischen Volksmusik ist. Auch das Seitenthema ist der Folklore des schotti schen Volkes abgelauscht. Mendelssohns Lehrer Karl Friedrich Zelter hatte ihm den Rat mit auf den Weg gegeben, „Lieder und Tänze an Ort und Stelle genauer aufzuzeichnen, als man sie durch reisende Liebhaber und ununterrichtete Nach schreiber bis jetzt kennt". Wehmütig-gesangvoll ist der langsame dritte Saiz (Adagio) gehalten. Besonders das klangvolle Hauptthema der ersten Geigen berührt die Bezirke schwärmerischer Innigkeit, während das ernste, fast düstere (an einem Trauermarsch gemahnende) zweite Thema (in den Bläsern) schwere, ja heftige Akzente setzt. Scharfe, kraftvolle Rhythmen kennzeichnen das sich von Moll nach Dur bewegende zweiteilige Finale (Allegro gueriero, vivacissima — Allegro maestoso assai), in dem schließlich die bisher vorherrschenden dunklen Empfindungen einem sieg haften, triumphalen und vorwärtsstürmenden Jubelgesang weichen. Im zweiten Teil (6/8-Takt) des Finales bestätigt sich in einem „schottisch" inspirierten Thema nochmals das schottische Kolorit des Werkes, das zu den schönsten sinfonischen Leistungen des 19. Jahrhunderts gehört. Dr. Dieter Härtwig Nächstes Konzert: Mittwoch, den 11. November 1981, 19.30 Uhr Benny-Bare-Schau Preis des Programmheftes 0,25 M