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ZUR EINFÜHRUNG Der 1936 in Chemnitz geborene, von Paul Kurzbach in Karl-Marx-Stadt geför derte, in Leipzig bei Ottmar Gerster ausgebildete Rainer Kunad wurde durch seine musiktheatralischen Werke bekannt, die Opern „Bill Brook" und „Old Fritz", „Maitre Pathelin", „Sabellicus", „Litauische Claviere", „Vincent" und die Ballette „Wir aber nennen Liebe lebendigen Frieden" und „Münchhausen". Da neben entstanden Konzerte für Klavier, für Tasteninstrumente, für Orgel, Orche sterstücke wie „Antiphonie", „Quadrophonie" und „Szenes concertantes“, Werke, die sich zyklisch ordneten. Auch die Bobrowski-Motette fügt sich in eine Werkfolge ein, eine vokalsinfoni sche, an deren Beginn die Kantate „Metai" (Die Jahreszeiten, n. Donelaita^ steht, der die Klopstock-Ode für Bariton und Orchester folgt und die gekr^V wird vom Oratorium „Stimmen der Völker in Liedern" (n. Herder). Seit 1980 wird bis 1983 jährlich eines dieser Werke im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele uraufgeführt. Prominente Berufs- und Laienkünstler und -ensembles Dresdens übernehmen die Interpretation. „Metai" hob Peter Schreier und der Philharmo nische Kinderchor aus der Taufe. Die Motette gestaltet der Kreuzchor, die Ode Theo Adam und das Herder-Oratorium der Beethoven-Chor. Die 1979 neben der Ode niedergeschriebene Motette nach einem Volkslied, dem Buch Jonas 1, 1—3 in der Übersetzung der Züricher Bibel und einem Gedicht Bobrowskis aus der Sammlung „Im Windgesträuch" verbindet — wie der Kompo nist bekennt — „das modern reflektierende Gedicht mit dem lapidaren alttesta mentarischen Text, der das Geschehen verdeutlicht, und mit einem einfachen Liedtext (von Bobrowski selbst sehr geschätzt), der den Rahmen bildet, und sei nerseits auch von einer großen Spannung spricht: Der singende Mund und das trauernde Herz. Die Flucht Jonas vor dem an ihn ergangenen Gebot ist eine sehr moderne Geschichte, sie bedrückt mich weniger, als sie mich beschwingt . . .". Rainer Kunad packt den Text also in seinem schöpferischen Widerspruch. Das Ausweichen vor der Verantwortung, vor einem begriffenen Auftrag wird zur zwin genden Aufforderung, ihn allen Schwierigkeiten zum Trotz zu erfüllen. Neue Hoff nung gewinnt, wer durch Bedrängnis wächst. Und so wurden dem Dresdner Kom ponisten die Verse zum Erlebnis, das er, in Töne gesetzt, vermitteln wollte: browskis Gedicht versetzte mich in atemlose Spannung. Was dort ausgesagt vWR mußte ich in meine Sprache der Musik übersetzen, so greifbar wie möglich. Da bei halfen mir die starken bildhaften Akzentuierungen: Klar das Gebot: Steh. Sprich. Dann melden sich die verschiedenen Stimmen, göttliche, teuflische, menschliche, sie sprechen von der Furcht, dem Gebot zu entsprechen. Und schließ lich steht die Warnung vor dem Schicksal Ninives . . .". Das Ende Ninives, jener Hauptstadt des neuassyrischen Reiches, die 612 v. u. Z. von den Babyloniern zerstört wurde, steht als Sinnbild für das drohende Schick sal der Welt. „Mein Mund, der singt, mein Herz vor Trauern weint", der Volkslied text, der sich gegen Ende des Einleitungsteils in einer dreistimmigen Villanella, einer Art Madrigal des 16. Jahrhunderts, als „Fernchor" in die aufgerissene, fra gende Klangwelt hoffnungsspendend eingefügt, wird zum Ausgangspunkt zur Tat drängender Provokation, des Aufschreis, der menschliche Kraft sammelt zur Überwindung von Widersprüchen, der Zuversicht überträgt. Dies Motiv verbindet den Zyklus Metai, Motette, Ode — macht ihn zum Ausdruck verschiedener mensch licher Bewährungssituationen. Der Forderung „Geh nach Ninive . . . Predige wider sie" sucht Jonas wider besse rem Wissen zu entgehen. „Steh. Sprich" hält das Bobrowski-Gedicht den Zwei felnden auf, zwingt zu jenem Bedenken, das die Verantwortung ihm abverlangt. In großartigen Klangvisionen läßt Rainer Kunad in Chor, Orgel und Schlagwerk ^jst szenisch packend die „Stimmen" deutlich werden, die Stimmen der Vernunft, ^Vr Versuchung, der Schicksalsbedrohung, der bedrängten Menschenliebe. Und am Ende heißt es: „Wir reden und reden. Jona komm. Sag Ninive. Sag Morgen Morgen Morgen". Das Morgen gilt es zu retten, die Zukunft vorzubereiten, eine menschliche, eine der Humanität, des Friedens, der Freundlichkeit . . . Ein durch chromatisch treibende Stimmführung fordernder Choral bringt diese uralte Sehnsucht zum Ausdruck, leidenschaftlich strebend, sich lösend in einem D-Dur-Drei klang. Die Motive des Anfangs, der Volksliedtext erinnern am Ende an das Beginnen, an den Weg, der Bekenntnis zur Verantwortung fordert: „Sag Ninive. Sag Mor gen Morgen Morgen . . .". Der 1907 in Koloszvar (Ungarn) geborene Sandor Veress war Schüler Bela Bar- töks und Zoltan Kodalys in Budapest, selbst ab 1943 Kompositionsprofessor an der dortigen Musikakademie und ab 1949 Lehrer am Konservatorium Bern (Schweiz). Neben Folklore seiner Heimat, dem ungarischen Chorstil Kodalys, etwa des Psalmus Hugaricus von 1923, wirkte vor allem der französische Neoklassizis mus eines Milhaud oder Poulenc auf den Komponisten ein. Er gilt als Begründer eines Neoklassizismus in Ungarn. Durchsichtigkeit, Klarheit des Satzes, Einbezie hen von kontrapunktischer Linienführung und Fugensätzen der Musik Johann ^bastian Bachs, verknüpft mit den quintenreichen Akkordrückungen Kodalys ^□gen so seine Orchesterwerke von der 1. Sinfonie (1936) an, dem Divertimento (1936), der Partita (1937), dem Violinkonzert (1939). Der „Psalmus Augustinus" (1943—44), mitten in den schweren Tagen des 2. Welt krieges in Budapest, Gennaio niedergeschrieben, gehört zu den Hauptwerken des Meisters. Es ist als „Gesang des heiligen Augustinus gegen die Partei des Donatus" ein Aufschrei der von Krieg, Rassenhaß, Zerstörung, Vernichtung be drohten Menschheit, ein Versuch, mit einem Kunstwerk die gequälten Menschen aufzurütteln: „Alle, die ihr den Frieden liebt, erkennt doch die Wahrheit . . .". Wie ein „Kyrie" im Geiste der Bachschen h-Moll-Messe beginnt das Werk (An dante con moto) im vollen Satz des Chores und des orchestralen Bläserensembles