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Sergej Prokofjews Arbeit am 3. Klavierkonzert C-Dur op. 26 erstreckte sich über mehrere Jahre. Erste Pläne des Komponisten reichten bis ins Jahr 1911 zurück, 1913 wie auch 1916 und 1917 folgten weitere Versuche, doch erst 1921 wurde die Komposition unter Ein beziehung zweier Themen eines „liquidierten" Streichquartetts in das Finale abgeschlossen und erlebte ihre Uraufführung am 16. Dezember 1921 in Chicago mit Prokofjew als Solisten. In der Sowjetunion gelangte das Konzert im Herbst 1923 zur Erstaufführung. Der sowjetische Musikwissenschaftler Boris Assafjew äußerte, daß das Werk „ungewöhnlich klar und weitgespannt klingt, russisch, wenn es auch nicht direkt nationale Themen enthält, keine beabsichtigten Stilisie rungen ... In diesem Konzert hat die außerordentlich reiche Begabung Prokof jews jene Stufe der Entwicklung und der Ausdrucksfülle erreicht, auf der sich das nicht erkaltende Feuer jugendlichen Temperaments, verwegener Anruf und heraus fordernder Ton kecken Anstürmens vereinigt mit beginnender männlicher Reife und Weisheit.“ Nach Angaben des Komponisten ergibt sich folgende Einführung in das geistvoll funkelnde, heitere, von kraftvoller, lebensbejahender Vitalität erfüllte Werk: „Der erste Satz beginnt mit einer kurzen Einleitung (Andante), in der ein lyrisch melancholisches Thema von der Soloklarinette gespielt und von den Violinen einige Takte weitergeführt wird. Doch bald wechselt das Zeitmaß zum Allegro. Sechzehntel-Passagen der Violinen führen zur Aufstellung des kraftvoll-brillanten Hauptthemas im Klavier, das dann zwischen Orchester und Solisten weiterge sponnen wird. Eine unbegleitete Akkordfolge des Klaviers leitet das ausdrucks volle zweite Thema ein (Oboe mit Pizzikatobegleitung), das später vom Klavier übernommen und verarbeitet wird. Am Höhepunkt des Satzes ändert sich das Zeitmaß (Andante), und das Thema der Einleitung erklingt fortissimo im vollen Orchester. Auch das Klavier tritt hinzu. Die Wiederaufnahme des Allegro-Tempos bringt Haupt- und Seitenthema in brillanter Ausarbeitung. Ein mitreißendes Crescendo bringt den Satz zum Abschluß. Den zweiten Satz bildet ein Thema mit fünf Variationen. Zuerst erscheint das tänzerisch-marschartige Thema im Orchester (Andantino). Die erste Variation löst sich in einer Trillerkette des Klaviers auf, die beiden nächsten Variationen werden von brillantem Passagenwerk des Solisten und themdtischen, zum Teil karikierenden Einwürfen des Orchesters bestimmt Die nächste Variation ist ver halten und poetisch, die Schlußvariation kraftvoll und energisch. Nochmals erklingt das Thema im Orchester, von glitzernden Akkordketten des Klaviers verziert. Das Finale (Allegro ma non troppo) beginnt mit einem staccato-Thema der Fagotte und pizzicato-Streicher, das vom ungestümen Einsatz des Klaviers unter brochen wird. Ein spannungsreiches und harmonisch kühnes Konzertieren hebt an. Schließlich bemächtigt sich der Solist des Hauptthemas und steigert es zu einem Höhepunkt, dem nach Rückgang von Tempo und Lautstärke ein neuer Holzbläser gedanke folgt. Auch das Klavier bringt ein neues Thema, das in seiner beißenden Ironie dem Charakter der Komposition entspricht. Nach einer Verarbeitung des neuen Mateials beschließt eine brillante Coda das Werk." Maurice Ravel über sein populärstes Werk, den Bolero, schrieb Ravel: „1928 habe ich auf Wunsch von Frau Ida Rubinstein einen .Bolero' für Orchester komponiert. Es ist ein Tanz in sehr gemäßigter Bewegung und stets gleichförmig, sowohl in der Melodie und der Harmonie wie in seinem Rhythmus, den die Trommel unauf hörlich markiert, das einzige Element der Abwechslung bringt hier das orchestrale Crescendo." Das Werk, das man einmal treffend ein „erstaunliches Karussell der Klänge“ genannt hat, wurde zum erstenmal am 20. November 1928 zusammen mit „La valse“ als Ballett in der Choreographie Ida Rubinsteins an der Pariser Oper aufgeführt. An diesem Tage trat es seinen wahrhaft triumphalen Weg durch die Konzertsäle der Welt an, seinen Schöpfer schlagartig berühmt machend, der es auch selbst gern dirigierte, eigenartig trocken, gleichförmig, beinahe lannsam im Tempo. Die Interpretation des „Bolero" hat die Musikwissenschaft vor ein interessantes Problem gestellt. Nennt ihn Roland-Manuel eine „Spielerei seines Schöpfers“, so wirft der Musikwissenschaftler Jules van Ackere den Begriff „Mysti fikation" in die Debatte, erwähnt aber zugleich selbst die Möglichkeit, daß es sich auch um eine einfache Schaustellung einer faszinierenden Kenntnis des Orchesters handeln könnte. Suares vermeinte sogar, im „Bolero" das klingende Bild des unheilbaren Leidens zu sehen, das Ravels Verstand an seinem Lebens abend zerquälte, eine Art tragischen Totentanzes, das Bekenntnis eines Alp druckes. Diese Deutungsversuche streben bewußt über die Angabe des Kompo nisten hinaus, der seinen „Bolero“ lediglich als Instrumentationsstudie auffaßte. Obwohl diese Bescheidenheit sehr für den Autor spricht, hat er doch mit dem Werk sehr viel mehr gegeben, ein faszinierendes, aufwühlendes Stück Musik, genial in seiner leidenschaftlich-vibrierenden Steigerung der Dynamik vom pp zum ff, in den raffinierten Instrumentationskünsten. Der Reiz des „Bolero" liegt in der unaufhörlichen, hartnäckigen Wiederholung seines stereotypen zweiteiligen spanischen Tanzthemas (etwa im Sinne einer padilla) und des zugrunde liegen den Bolero-Rhythmus über siebzehn Minuten lang bei gleichbleibender Tonart in den Bässen, mit nur geringfügigen Änderungen, ohne Durchführungen, wobei bei jeder Wiederkehr der Motive diesem rasanten Orchestercrescendo eine neue Farbe hinzugefügt wird. Erst kurz vor dem abrupten Schluß wird auch eine andere Tonart erreicht. Gewöhnlich ist die Klangfarbe ein Mittel, die Melodie plastischer zu gestalten — im „Bolero“ steht sie so im Vordergrund, daß ihr sogar das Thema untergeordnet ist.