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„Lessingfabeln für Tenor, gemischten Chor und großes Orchester habe ich Fabeln ausgewählt, die ein „Exempel der praktischen Sittenlehre“ am Beispiel der Musik darstellen. Nach dem Herausgeber Hans-Günter Thalheim der bei Reclam 1976 erschienenen Lessingfabeln sind sie nicht nur als „Unterweisung für ein bestimm tes praktisches Verhalten, sondern auch als Erkenntnisse über die gegebene Wirk lichkeit "zu verstehen. Die musikalische Umsetzung der ausgesuchten Fabeln wurde für mich zu einem Plädoyer für die Kunst, speziell für die Musik. In der ersten Fabel „Der Bär und der Elefant" charakterisiert der Bär für mich einen gegen den Willen des Beteiligten durch falschen Ehrgeiz anderer gezüch teten musikalischen „Leistungssport“ ohne befriedigendes Ergebnis. Zur Darstel lung wurde vor allem zerklüftete Rhythmik genutzt. Dagegen wahrt der Elefant seine eigene Persönlichkeit und wirkt dadurch überzeugender. Hier wurde eine relativ ausgeglichene Melodik im Solotenor verwandt; im Orchester ist versteckt ein Zitat aus Strawinskys „Zirkuspolka für einen jungen Elefanten" eingearbeitet worden. Die Fabel endet mit dem bereits am Beginn ergangenen Aufruf zu ver nünftigem Handeln. Fabel 2 „Die Grille und die Nachtigall“ wurde mir zu einer Mahnung zur rechten Beurteilung und Wertsetzung künstlerischer Leistung. Dem angewandten Bereich der Musik — dargestellt durch Marsch- und Walzerformeln und eine Assoziation zum „Holzschuhtanz" (alles aus dem gleichen melodischen Material resultierend) und nacheinander verworfen — wird der Ausdruckswert der Musik durch eine espressive Melodik der Holzbläser gegenübergestellt, die zugunsten der noch stärkeren Melodik der Solo-Violine am Schluß allmählich verstummt. Fabel 3 „Die Schwalbe" — ohne Beteiligung des Chores — bezieht ihre formelle Anregung in gewisser Weise aus dem Schlußsatz der „Abschiedssinfonie" Haydns. Die aus einer 12tönigen Reihe entwickelte Melodik, die am Beginn in einer espressiven, durch Akkorde von Harfe, Celesta, Klavier und Vipraphon gestützten Zwölfstimmigkeit vorgestellt wird und die das kompositorische Grundmaterial für alle Fabeln bildet, wird allmählich immer mehr reduziert. Die verschiedenen Stim men enden zu unterschiedlichen Zeiten mit Repetitionen eines Tones. Damit be gräbt die Melodik ihre Ausdrucksfähigkeit, es triumphiert die Härte von Pauken und Schlagwerk. In Fabel 4 „Der Schäfer und die Nachtigall" versucht sich immer wieder eine — vielfach an die Worte „Singe doch" gekoppelte — Melodik großer Intervalle gegen die hartnäckige Störfunktion des gedämpften Blechs (mit Repetitionen und klei nen Intervallen) sowie des Schlagwerks durchzusetzen: Scheinbar vergeblich! Bis am Ende — zunächst gleichsam unhörbar — eine große melodische Linie der Streicher und später der Bläser doch die Oberhand gewinnt, mit einem leise ver klingenden Schluß gewissermaßen zum Nachdenken auffordernd. Der Bär und der Elefant „Die unverständigen Menschen!" sagte der Bär zum Elefanten. „Was fordern sie nicht alles von uns besseren Tieren! Ich muß nach der Musik tanzen, ich, der ernst hafte Bär! Und sie wissen doch nur allzuwohl, daß sich solche Possen zu meinem ehrwürdigen Wesen nicht schicken; denn warum lachten sie sonst, wenn ich tanze?" „Ich tanze auch nach der Musik“, versetzte der gelehrige Elefant, „und glaube, ebenso ernsthaft und ehrwürdig zu sein als du. Gleichwohl haben die Zuschauer nie über mich gelacht; freudige Bewunderung bloß war auf ihren Gesichtern zu lesen. Glaube mir also, Bär, die Menschen lachen nicht darüber, daß du tanzest, son dern darüber, daß du dich so albern dazu anschickst.“ Die Grille und die Nachtigall „Ich versichere dich," sagte die Grille zu der Nachtigall,“ daß es meinem Gesang gar nicht an Bewunderern fehlt." — „Nenne sie mir doch", sprach die Nachtigall. — „Die arbeitssamen Schnitter", versetzte die Grille, „hören mich mit vielem Ver gnügen, und daß dieses die nützlichsten Leute in der menschlichen Republik sind, das wirst du doch nicht leugnen wollen?" „Das will ich nicht leugnen“, sagte die Nachtigall, „aber deswegen darfst du auf ihren Beifall nicht stolz sein. Ehrlichen Leuten, die alle ihre Gedanken bei der Arbeit haben, müssen ja wohl die feinem Empfindungen fehlen. Bilde dir also ja nichts eher auf dein Lied ein, also bis ihm der sorglose Schäfer, der selbst auf seiner Flöte sehr lieblich spielet, mit stillem Entzücken lauschet." Die Schwalbe In den ersten Zeiten war die Schwalbe ein ebenso tonreicher melodischer Vogel als die Nachtigall. Sie ward es aber bald müde, in den einsamen Büschen zu wohnen und da von niemand als dem fleißigen Landsmann und der unschuldigen Schäferin gehört und bewundert zu werden. Sie verließ ihre demütigere Freundin und zog in die Stadt. — Was geschah? Weil man in der Stadt nicht Zeit hatte, ihr göttliches Lied zu hören, so verlernte sie es nach und nach und lernte dafür — bauen. Der Schäfer und die Nachtigall „Singe doch, liebe Nachtigall!" rief ein Schäfer der schweigenden Sängerin an einem lieblichen Frühlingsabend zu. „Ach“, sagte die Nachtigall, »die Frösche machen sich so laut, daß ich alle Lust zum Singen verliere. Hörst du sie nicht?" „Ich höre sie freilich“, versetzte der Schäfer. „Aber nur dein Schweigen ist schuld, daß ich sie höre."