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gleichsam sinfonischen Charakterkomödie hin aus. Aus der Vielzahl der Episoden, die den herr lichen Roman des Cervantes so prall füllen, wählte Strauss zehn aus, denen er jeweils eine Variation widmete. Die Introduktion zeigt — nach Straussens eigenen Worten — „Don Quixote, mit der Lektüre von Ritterromanen beschäftigt. Er verliert den Verstand und be schließt, als irrender Ritter durch die Welt zu ziehen." Skurril klingt schon hier in der Ein leitung das Quixote-Thema an, dazu kommt eine sehnsüchtige Oboenmelodie, dem idea listischen Streben des Ritters und seinem Seh- ien nach der schönen Dulcinea Ausdruck ver- eihend, schließlich ertönt noch ein kriegeri scher Fanfarenstoß der gedämpften Trompe ten. Die eigentliche Themenaufstellung erfolgt aber erst späteren bizarrem Melos, auch rhyth misch kompliziert gezeichnet, tritt das „ritter liche Thema" daher im solistischen Violoncel lo, dem als Begleiter das Sancho-Pansa-The- ma beigegeben ist, humorvoll, bauernschlau, ein wenig plustrig in Baßklarinette und Tenor tuba, von der redseligen Solobratsche fortge führt. Diese beiden Gesellen, diese beiden Themen begeben sich nun in den Strudel der an „kriegerischen" Erlebnissen, an musikali schen Variationen reichen Ereignisse. Variation I: Don Quixote und Sancho Pansa reiten in die Welt. Sie haben den Kampf mit den Windmühlen zu bestehen. Variation II: Eine blökende — von Strauss na turalistisch wiedergegebene — Hammelherde stellt sich in den Weg. Sie wird besiegt. Variation III: „Gespräche, Fragen, Forderun gen und Sprichwörter Sancho Pansas. Beleh rungen und Verheißungen Don Quixotes." Die beiden Soloinstrumente werden ausführ lich gegenübergestellt. Farbig wird die Verhei ßung vom phantastischen Königreich in gro ßer ausdrucksvoller Steigerung ausgemalt. Variation IV: Don Quixote bekämpft eine Pro zession von Pilgern (Choral in Fagotten, ge dämpfte Trompeten und Posaunen) und wird fast totgeschlagen. Am Ende erwacht er wie der. Variation V: Don Quixote denkt an seine ge liebte Dulcinea — großer kadenzartiger Mono log des Solovioloncellos. Variation VI: Sancho Pansa führt eine derbe Bäuerin seinem Herrn als die geliebte Dulci nea vor, was diesen entrüstet. Variation VII: „Luftfahrt" des Ritters und sei nes Knappen. Hier zieht Strauss alle Register seines Könnens, setzt in artistischer Weise Windmaschine und alle Finessen des Orche sters zu Beschreibung der Luftfahrt ein. Variation VIII: Don Quixote und Sancho müs sen auf ihrer Kahnfahrt — wiegende Wellen bewegung der tiefen Streicher und Holzblä ser — einen Kampf mit einer Wassermühle aus fechten und kentern dabei, doch werden sie gerettet. Variation IX: Don Quixote stürmt gegen zwei Mönche an — eng verschachtelte Fagottfigu ren —, die vor ihm flüchten. Variation X: Der Ritter von der traurigen Ge stalt unterliegt in einem Kampf einem verklei deten Freund, der ihm das Versprechen ab nimmt, von weiteren Abenteuern abzusehen. Finale: Don Quixote sieht seinen Irrtum, sei nen anachronistischen Idealismus ein, er findet zu Ausgeglichenheit und Ruhe. Strauss ver wandelt das erst so bizarre Thema seines Hel den in eine Weise von wunderbarer Wärme und Abgeklärtheit. In seiner friedvollen Ge löstheit erinnert dieser Schluß an den Abge sang des Sir Morosus aus der „Schweigsamen Frau", einer Strauss’schen Opernfigur, der die Skurrilität eines Don Quixote ja auch geistig verwandt ist. Am 5. April 1803, drei Jahre nach der 1. Sinfo nie, erlebte die 2. Sinfonie D-Dur op. 36 von Ludwig van Beethoven in Wien ihre Uraufführung. Sie erklang in einem eigenen Konzert des Komponisten im Theater an der Wien, dessen riesiges Programm wei terhin Aufführungen der 1. Sinfonie, des 3. Klavierkonzertes und des Oratoriums „Chri stus am Ölberg" brachte. Beethovens Zeitge nossen standen dem neuen Werk zunächst ziemlich ratlos gegenüber, stellten beispiels weise „übertriebenes Streben nach dem Neuen und Auffallenden" fest. In Berlin schrieb die Kritik von den „dreiviertel Stunden lang aus geführten Schwierigkeiten". Noch zwei Jahre später äußerte man: „Wir finden das Ganze zu lang und einiges überkünstlich . . . und das Finale halten wir ... für allzu bizarr, wild und grell." Der Musikschriftsteller J. F. Rochlitz al lerdings prophezeite schon: dieses Werk eines „Feuergeistes" werde noch leben, „wenn tau send gefeierte Modesachen längst zu Grabe getragen sind." In Beethovens 2. Sinfonie kündigt sich — nach K. Schönewolf — „der Ideenmusiker an, der in der Leidenschaftlichkeit und Konsequenz der dialektisch-sinfonischen Aussage über das von Haydn und Mozart Erreichte bedeutend fort schreitet. . . Auf dem Wege zur heroischen 3. Sinfonie, die eine neue Periode im Schaffen Beethovens und überhaupt eine neue Epoche der sinfonischen Musik einleitet, nimmt die 2. Sinfonie eine Mittelstellung ein. Inhaltlich und stilistisch steht sie noch der .Ersten' näher. Strahlend lebensfreudig im Grundcharakter wie diese, offenbart sie doch vertiefte Züge des Kämpfeis und Ideenmusikers Beethoven. Sie ist ein hervorragend selbständiges Kunst werk mit durchaus eigenen, seinerzeit neuar tig wirkenden Klangbildern, überdies bietet die 2. Sinfonie ein bewunderungswürdiges Zeugnis für die Größe des Menschen Beetho ven. Gepeinigt von der Furcht vor dem ent setzlich drehenden Verlust seines Gehörs, na he der Verzweiflung, die in dem berühmt ge wordenen Brief an seine Brüder (dem .Heili genstädter Testament') ihren erschütternden Niederschlag erhielt, vollendete der Meister während jener qualvollen Sommermonate 1802 in dem Dorfe Heiligenstädt bei Wien diese herrliche, lebensbejahende Sinfonie. Beetho ven wußte sehr wohl zu unterscheiden zwischen persönlichem Leid und seiner gesellschaftli chen Aufgabe als Künstler, der sich mit den Botschaften seiner großen Instrumental- und Vokalwerke an die Allgemeinheit der Men schen wendete. Hat doch der Überwinder des körperlichen Unglücks, der diese lebensvolle Musik geschaffen hat, während der Arbeit an der 2. Sinfonie und an vielen anderen unver gänglichen Werken seinem Jugendfreunde Wegeier das berühmt gewordene Bekenntnis anvertraut: .Ich will dem Schicksal in den Ra chen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht. Oh, es ist so schön, das Leben tausendmal leben!'" Eine gewichtige langsame Einleitung (Adagio molto) ist dem ersten Satz (Allegro con brio) vorangestellt. Die anfängliche innige Stim mung muß bald ernsten, düsteren Klängen weichen. Nach einem dramatischen Höhe ¬ punkt, bei dem ein markantes d-Moll-Motiv eingeführt wird, das wie eine Vorahnung des Hauptgedankens im ersten Satz der „Neun ten" anmutet, wird die Bedrohung überwun den, und ein lichtvolles erwartungsfreudiges Klingen hebt an. überraschend, nach schnei digem Anlauf der Violinen, ertönt das froh gemute Hauptthema der Bratschen und Celli zu begleitender Achtelbewegung der Violinen. Marschähnlich triumphierend ist das signal artige zweite Thema. Das eigentliche Entwick lungsthema des Satzes ist jedoch das erste, dessen Kopfmotiv in der kunstvollen breiten Durchführung eine entscheidende Rolle spielt. Triumphierend schließt der Satz. Ein liebenswertes, romanzenhaftes Stück das A-Dur-Larghetto in Sonatenform. Die er sten Violinen stimmen das sanfte, liedhafte er ste Thema an. Eine zweite, schwärmerische E- Dur-Melcdie führt scheinbar Auseinanderset zungen herbei, die jedoch bald ins Heitere, ja Tänzerische gewendet werden. Es ist begreif lich, daß dieser Satz zu Beethovens volkstüm lichsten Schöpfungen gehört. Im dritten Satz (Allegro), den Beethoven erst mals in einer Sinfonie mit Scherzo überschrie ben hat, herrscht ein übermütiger, polternder Humor. Plötzliches Nacheinander von forte und piano ruft echoartige Wirkungen hervor. In ei nem gleichsam bizarren Fangballpiel werfen sich Bläser und Streicher die Motive des Hauptthemas zu. Nach marschhafter Entwick lung des lustigen Spiels bringt das Trio eine gemächliche Tanzmelodie. Trio und Scherzo werden wiederholt. Etwas vom Geist des Scherzos weist auch das sprühende, ausgelassene Finale (Allegro mol to) auf. Das sieghafte, kraftvolle Hauptthema beherrscht den ganzen Satz, dessen festliche Heiterkeit nicht durch besinnliche Stimmungen beeinträchtigt werden kann. Auch den fröh lichen Abschluß des Satzes bestimmt Hauptthema. Dr. Dieter Härt^^ Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Spielzeit 1980 81 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 87-80 EVP: 0,25 M 5. PHILHARMONISCHES KONZERT 1980/81