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ZUR EINFÜHRUNG Robert Schumanns 4. Sinfonie in d-Moll o p. 1 2 0 ist sein sinfonisches Haupt werk. Sie entstand in seiner glücklichsten Zeit, im „Sinfoniejahr“ 1841, kurz nach der „Frühlings sinfonie“. Ungeachtet ihres großen Reichtums an lyrischen Gedanken fand sie bei der Urauf führung am 6. Dezember 1841 im Leipziger Ge wandhaus unter dem Konzertmeister David nicht den verdienten Erfolg. Doch der Komponist war von dem Werte seiner Schöpfung durchaus über zeugt, schrieb er doch 1842: „. . . ich weiß, die Stücke stehen gegen die erste (Sinfonie) keines wegs zurück und werden sich früher oder später in ihrer Weise auch glänzend machen." Zehn Jahre später nahm er die Partitur noch einmal vor. Kurz vor der Uraufführung der zweiten Fas sung am 3. März 1853 in Düsseldorf schrieb Schumann dem holländischen Dirigenten: „Ich habe die Sinfonie übrigens ganz neu instrumen tiert, und freilich besser und wirkungsvoller, als sie früher war." Das Werk wird im chronologi schen Verzeichnis als 4. Sinfonie gezählt. Die Grundstimmung ist ernster, gedankenschwerer als die der „Frühlingssinfonie“, doch gewährt das fast Beethovensche Pathos einiger Abschnit te auch idyllisch-humorigen Partien Raum. In haltlich spiegelt sie Schumanns Kampf gegen alles Philisterhaft-Hohle in der Kunst wie im Le ben seiner Zeit wider. Dem Untertitel „Introduk tion, Allegro, Romanze, Scherzo und Finale in einem Satz" entsprechend sind die vier Teile des Werkes ohne Pausen miteinander verbunden — typischer Ausdruck der Neigung der Romantiker zur Verwischung und Auflösung der klassischen Sonatenform. Die einzelnen Sätze sind nicht nur äußerlich, sondern auch ideell-thematisch eng miteinander verknüpft, wodurch das Ganze den Charakter einer sinfonischen Fantasie erhält und eine Vorstufe zur sinfonischen Dichtung, wie sie später üblich werden sollte, bildet. Dunkle, ernste Kampfstimmung waltet in der langsamen Einleitung des ersten Satzes. Eine auf- und absteigende Achtelfigur wird aus drucksmäßig ausgeschöpft. Stürmisch, in erreg ten Sechzehnteln setzt das Hauptthema des lebhaften Hauptteiles ein. Es bestimmt mit sei nem drängenden Charakter eigentlich das gan ze musikalische Geschehen des Satzes, erst in der Durchführung gesellen sich ihm neue Ge danken hinzu, in den Posaunen, in den Holz bläsern (ein Marschmotiv), in den ersten Violinen (eine zarte Melodie, welche die Bedeu tung des zweiten Themas erhält). Wie die Ge danken wechseln die Stimmungen. Doch der Schwung des Ganzen führt zu einem jubelnd hymnischen Ausklang. Nach einem unerwarte ten, schroffen d-Mloll-Akkord wird man von ei nem volksliedhaften Thema der Solo-Oboe und des Solo-Violoncellos in die schwermütige Welt des zweiten Satzes, einer Romanze in a-Moll, eingeführt. Dieser klagenden Weise folgt unmit telbar in den Streichern die Achtelfigur der lang samen Einleitung, aus der vom Komponisten der etwas tröstlichere Mittelteil der Romanze ent wickelt wird. Der klanglich fein ausgewogene Satz schließt wieder in der Anfangsstimmung. Energisch-freudig hebt das Scherzo an, ja sogar der Humor stellt sich ein. Aber die straffe Hal tung entspannt sich im Trio mehr und mehr und geht fast ins Träumerische über. Beim zweiten Erscheinen des Trios löst sich das Thema föj^k lieh auf, wodurch ein Übergang zur langsai^V Einleitung des Schlußsatzes geschaffen wird. Hier erklingt zunächst das Kopfmotiv des Haupt themas aus dem ersten Satz, das den Hörer in die düstere Anfangsstimmung zurückversetzt. Je doch schlagartig bricht strahlender D-Dur-Jubel mit dem Allegroteil herein. Das vor Kraft, Opti mismus und Lebenslust überschäumende Haupt thema, dessen siegesgewisse Impulse vom Sei tenthema weitergetragen werden, vermag sich gegen düstere Gedanken durchzusetzen. In der Durchführung kommt es zu einem Fugato über das Hauptthema, grell-dramatische Einwürfe erzeugen vorübergehende Ungewißheit. Doch der glückliche Ausgang ist eigentlich schon ent schieden. Im hinreißenden Presto bricht heller, eindeutiger Jubel aus, herrscht ungebrochene Freude über den endlich errungenen Sieg über die Philister. Wolfg a ng Amadeus Moza rt hinterließ sein Requiem als gewaltigen Torso. Andere haben es nach seinem Tode, zunächst im Dunkel der Anonymität, vollendet. Die Geschichte der Werkentstehung wurde nach Mozarts Tod phan tastisch ausgeschmückt, um einen höchst pr^^ ischen Sachverhalt zu verschleiern: Franz MB von Walsegg Stuppach, ein reicher Musiklieb haber, kompositorisch sehr ehrgeizig, aber ohne Talent, pflegte sich bei namhaften Komponisten Werke zu bestellen, die er abschrieb und für seine eigenen ausgab. Mozart hatte er durch einen Boten den Auftrag für ein Requiem gege ben. Depressive Todesahnungen, hervorgerufen durch Überarbeitung und seinen äußerst be denklichen Gesundheitszustand, hatten ihn mehrfach äußern lassen, daß er es für sich zu schreiben meinte: „Immer sehe ich den Tod vor mir, er bittet, er drängt mich, ungeduldig fordert er die Arbeit von mir. Ich setzte sie fort, weil mich das Komponieren weniger ermüdet als Ruhe. Sonst habe ich ja vor nichts mehr zu zit- ern. Ich fühle es, mein Zustand sagt es mir: Die Stunde schlägt! Ich werde sterben müssen. Ich bin zu Ende, ehe ich mich meines Talents er- erfreuen durfte.“ Mozart konnte das Opus nicht vollenden, er starb über der Komposition an seiner Toten messe. Im Sommer 1791 hatte er das Werk be gonnen. Arbeiten an der „Zauberflöte" und am „Titus" bedingten Unterbrechungen. So hinter ließ Mozart bei seinem Tode nur Introitus, Kyrie, Sequenz und Offertorium. Teile hinterließ Mo zart in vollständiger Partitur, andere nur in in strumentatorischem Gerüst und einige lediglich g^jkizzen. Die wirtschaftliche Notlage trieb Mo>- |rts Frau dazu, das unvollendet gebliebene Werk von fremden Händen ergänzen zu lassen, damit sie es dem Besteller aushändigen konnte, um so die zweite, dringend benötigte Honorar hälfte zu erhalten. Ein Kompositionsschüler Jo hann Georg Albrechtsbergers, Joseph Eybler (1765—1846), wurde zunächst dafür gewonnen, der instrumentatorische Ergänzungen vornahm, sich aber überfordert fühlte, als er Eigenes ge ben sollte. Daraufhin übernahm Mozarts Schüler Franz Xaver Süßmayer (1766—1803) die Vervoll ständigung des Werkes. Er instrumentierte den Fragment gebliebenen größten Teil der Sequenz sowie das Offertorium und kompo nierte selbst Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Süßmayer war von Mozart selbst ge nau in die Entstehung des Werkes eingeweiht worden. Mozarts Totenmesse hat sich in seiner Bearbeitung bis zum heutigen Tag eine beherr schende Stellung in der Requiemliteratur erhal- /ten. Die ergänzende Arbeit Süßmayers wurde „zum tauglichen Vermittler der ungeheuren Ein druckskraft von Mozarts großartigem Fragment auf die ganze musikalische Welt“ (Abert). Jo hannes Brahms schätzte Süßmayers Arbeit wohl gerecht ein, wenn er über ihn schrieb: „Er hat ML Anlage Mozarts sorgsam kopiert und sie mit so viel Fleiß wie Pietät ergänzt." Mit seinem Requiem hat Mozart neben der „Zauberflöte" und den letzten großen Instru mentalwerken auch auf dem Gebiet der geist lichen Musik seinem Lebenswerk den krönenden Schlußstein eingefügt. Seit der c-Moll-Messe, also in den letzten zehn Jahren seines Lebens, hatte Mozart, abgesehen von einer Ausnahme, keine Kirchenmusik mehr geschrieben. Die gro ße zeitliche Spanne zwischen diesen beiden Werken einer Gattung offenbart die Weiterent wicklung seines Schaffens. In der c-Moll-Messe vermischt sich der strenge Kirchenstil Bachs und Händels noch mit Stilelementen italienischen Einschlags. Das Requiem in seiner Reife der Innerlichkeit hat diese Einflüsse zu neuem We sen umgeschmolzen. Das Band zwischen beiden Werken und die Brücke auch zur „Zauberflöte" ist die „Maurerische Trauermusik", geschrieben 1785 auf den Tod zweier Logenbrüder. Auch in diesem Werk ist Trauer und Ernst mit Gefaßtheit und Trost verbunden. Mozart schöpft in seinem Requiem aus der kirchenmusikalischen Tradition, der Kunst Bachs und Händels. Er verschmolz die se Grundlage mit seinem persönlichen Musik empfinden und Ausdrucksstreben und nicht zu letzt mit dem dramatischen Atem der Opern bühne im Dienste eines vertieften Aussagewil lens, so daß in mancher Beziehung eine Ver wandschaft mit der "Zauberflöte" zu erkennen ist. Diese Verwandtschaft zeigt sich nicht zuletzt in der Ähnlichkeit der verwendeten komposito rischen äußeren Mittel. Die Verbindung von Bassetthörnern, Fagotten und Posaunen, Trom peten und Pauken, die schon in der „Zauber flöte" die Träger der erhabenen Welt eines Sarastro gewesen waren, kehrt auch im Requiem wieder; nur sind durch das Fehlen der übrigen Holzbläser und der Hörner die Farben dunkler geworden. Trotz Wahrung aller liturgischen Forderungen erhebt sich das Werk weit über jede dogmati sche Begrenzung zum ureigenen Bekenntnis Mo zarts. Mozart empfand den Tod im Sinne des Freimaurertums als „Freund“ und nicht als ein „Bild des Schreckens": „Da der Tod, genau zu nehmen, der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren besten Freund des Menschen so bekannt gemacht, daß sein Bild nicht alleine nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes . . ." Er stellt in diesem Werk altes Müsikgut in den Dienst eines neuen Ausdrucksgehaltes. Seine Musik bindet sich nicht an Dogmen und Muster. Sie umschließt Verinnerlichung wie Dramatik, reflektiert das Ich wie die Welt. Es scheint, als sei der liturgische Vorwurf nur Anlaß zu allgemei nen Meditationen über Tod und Leben. Jeden falls ist unverkennbar, daß der Text subjektiv und realistisch zugleich ausgedeutet wird. Bereits der Introitus zeigt Mozarts freimaureri sche Stellung zum Tod. Die milde Resignation des Beginns geht bei den Worten „exaudi ora- tionem meam" in eine aufstrebende gezackte Begleitfigur des Orchesters über — mehr Aufleh nung als Bitte symbolisierend. Als Kyrie entwik- kelt sich dann eine Fuge über zwei Themen, ei nes an Händel erinnernd. In der Sequenz folgt