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3. PHILHARMONISCHES KONZERT Festsaal des Kulturpalastes Dresden Sonnabend, den 1. November 1980, 20.00 Uhr Sonntag, den 2. November 1980, 20.00 Uhr oresoner ohilHsrnooioio Dirigent: Herbert Kegel Solistin: Viktoria Jagling, Sowjetunion, Violoncello Wolfgang Amadeus Mozart 1756-1791 Divertimento für Streicher D-Dur KV 136 Allegro Andante Presto Joseph Haydn 1732-1809 Konzert für Violoncello und Orchester D-Dur Allegro moderato Adagio Allegro PAUSE Dmitri Schostakowitsch 1906-1975 Sinfonie Nr. 15 A-Dur op. 141 Allegretto Adagio Allegretto Adagio Das Konzert am 1. November 1980 wird von Radio DDR II, Sender Dresden, mitgeschnitten und am 16. Dezember 1980 im Rahmen des „Dresdner Abends" gesendet. VIKTORIA JAGLING erhielt seit 1953, seit ihrem sie benten Lebensjahr, musikalische Unterweisung. Sie be suchte die Moskauer Gnessin-Schule und studierte 1964 bis 1969 am Moskauer Konservatorium in der Klasse von Mstislaw Rostropowitsch sowie Komposition bei Dmitri Kabalewski und Tichon Chrennikow. Danach trat sie eine Aspirantur an und unternahm die ersten Auslandstourneen nach Ungarn und Italien. Ihre in ternationale Karriere begann 1969, als sie beim Cas- sadö-Wettbewerb in Florenz den 1. Preis und einen Sonderpreis für den besten Violoncello-Vortrag durch eine Frau errang. 1970 gewann sie den 2. Preis des IV. Tschaikowski-Wettbewerbes in Moskau. Viktoria Jagling ist verschiedentlich auch erfolgreich mit eige nen Kompositionen (vorzugsweise für ihr Instrument) hervorgetreten. ZUR EINFÜHRUNG Zwischen 1770 und 1774 schuf Wolfgang Amadeus Mozart zahlreiche Quartett- Kompositionen. Zu den frühesten Werken dieses Genres zählen auch die drei Divertimenti für Streichquartett KV 136, 137 und 138, die in den ersten Monaten des Jahres 1772 für festliche Gelegenheiten in Salzburg geschrieben wurden. Der Mozart-Biograph Alfred Einstein vermutet, daß sie auch als Vorrat für die letzte italienische Reise bestimmt waren, wo Mozart, mit der Arbeit an „Lucio Silla" beschäftigt, nicht durch Sinfo niekompositionen unterbrochen werden wollte. Nicht immer fand der 16jährige Mozart bereits vollste Anerkennung als Komponist. So überlie fert uns ein Zeitgenosse: seine frühen Orche sterstücke seien „ein Beweis mehr, daß früh zeitige Früchte mehr ungewöhnlich als vortreff lich sind". Die Bezeichnung Divertimento, wo runter eine suitenähnliche Kompositionsform leichter, unterhaltsamer Art zu verstehen ist, dürfte bei der obengenannten Werkgruppe kaum von Mozart selbst stammen, da in diesen Werken die obligatorischen Menuetts fehlen. Durchgehend dreiteilig ist die formale Anlage der drei Divertimenti, die wie italienische Strei chersinfonien für den Konzertgebrauch anmu ten. Der ausgesprochen sinfonische Gehalt der Quartette fordert geradezu eine orchestrale Be setzung, wie sie in unserer Aufführung verwirk licht wird. Das den heutigen Abend eröffnende D i v e r - t i me n to D - D u r K V 1 36 ist eine fesselnde, reizvolle Spielmusik, stilistisch deutlich beein flußt von Johann Christian Bach und von Joseph Haydn. Leichtigkeit in der Erfindung, bestricken de melodische Süße, verspielter Übermut, aber auch schwärmerische Melancholie sind Vorzüge der liebenswürdigen Komposition. Der 1. Satz, ein „singendes" Allegro, beeindruckt besonders durch virtuos-konzertanten Einsatz der Violinen, während sich der langsame Satz, ein Andante, anmutig-zärtlich, typisch italienisch gibt. Mit leichter Hand ist das Schlußpresto entworfen, dessen kurzer Durchführungsteil kontrapunk- tisch beginnt. Joseph Haydns Cellokonzert D - D u r gehört zu den beliebtesten Konzertwerken für dieses nicht eben reichlich mit virtuoser Lite ratur versehene Instrument. 1783 komponiert, erfreut sich das Werk, dessen Autograph lange Zeit als verschollen galt (was immer wieder zu Vermutungen Anlaß gab, daß das Konzert gar nicht von Haydn selbst stamme), seit jeher der Gunst der Spieler und Hörer durch seine eingän gige, kantable, empfindungsreiche Melodik, seine Klangschönheit und seine klare dreisät- zige Form. Der Cellopart ist ungemein dankbar für den Solisten. Er bietet reichlich Gelegenheit zu virtuoser und tonlicher Entfaltung. Am in haltsreichsten sind die beiden schnellen Eck sätze, die das etwas verhaltene Adagio umsäu men. Schwärmerischer Ausdruck kennzeichnet den ersten Satz. Das Schlußrondo wird von ka priziöser Munterheit beherrscht, obwohl auch hier der schwärmerische Ton beziehungsweise leide| schaftlich drängende Moll-Episoden als Ko" traste begegnen. Mit der 15. Sinfonie A-Dur op. 141, die im Sommer 1971 vollendet und im Januar 1972 in Moskau uraufgeführt wurde, kehrte Dmitri Schostakowitsch nach acht zehn Jahren wieder zur reinen Instrumentalsin fonie zurück. Sie darf, wie die vorangegangenen Kompositionen, als ein Meisterwerk angesehen werden, wirkt jedoch in klanglicher Hinsicht noch subtiler und gereifter, von tieferem philosophi schem Ernst bestimmt. Sie ist zwar ein tragisches Werk, aber zugleich eines, aus dem immer wie der der Gedanke der Hoffnung und Zuversicht kräftig hervorbricht. Es wäre naheliegend, diese letzte Sinfonie des Komponisten eine optimisti sche Tragödie zu nennen. Zweimal wird der An lauf genommen, in zwei gleichlautenden, doch sonst sehr voneinander abweichenden Satzpaa ren (Allegretto/Adagio, Allegretto/Adagio) das Bejahende wie Tragische und dessen kämpferi sche Überwindung zu gestalten. Züge einer neu artigen und eigenwilligen Dramaturgie sind m kennbar. In den Ideengehalt eingeschmolz^_ werden zwei Zitate aus fremder Hand: die Marschepisode aus Rossinis Ouvertüre zu „Wil helm Teil", das Schicksalsmotiv aus Wagners „Walküre". Sie stehen jedoch nicht für sich al lein, sondern verdichten, „konkretisieren" eine bestimmte Ausdruckshaltung, können aber auch als Bekenntnis Schostakowitschs zu diesen bei den Meistern und ihren Werken aufgefaßt wer den. Zumindest bei Rossini läßt sich das sagen, auf den der Komponist schon im Finale der 6. Sinfonie zurückgegriffen hat. Trotzdem folgte Schostakowitsch auch in seiner letzten Sinfonie dem Personalstil konsequent, mit überlegener Reife und tief empfundener Musikalität.