Volltext Seite (XML)
Beilage M Nr. 184 des Dresdner Jnurmls Mittwoch, 11. August 1909. Hinterm Dachfenster. Ein Grobstadtidyll von Max Wundtke. 8 (Fortsetzung zu Nr. 181.) Sie war noch keine zwanzig Schritte gegangen, als sie hinter sich atemloses Schnaufen vernahm. Im nächsten Augenblicke sprang ein schwarzhaariger zottiger Köter mit eigentümlicher Lebhaftigkeit derart an ihr empor, daß sie förmlich gestellt war und nicht weiter gehen konnte. „Aber Pollchen!" rief Fräulein Volland über rascht aus; wie kommst du denn hierher? Ist Frauchen auch da? Oder bist du wieder mal ausgerissen? Du — du!" scherzte sie drohend mit dem Finger. Apollo hatte für alle die Fragen nur ein gedrückt klingendes, mehr winselndes Wauwau. Dabei war er so hastig und nervös in seiner Zudringlichkeit, daß Fräulein Bolland aufmerksam wurde und dem schwarzen Gesellen folgte, der in gewaltigen Sätzen zurückeilte, in kurzen Zwischenräumen stehen bleibend, ob Hedwig auch wirklich nachkäme. Plötzlich blieb sie wie erstarrt stehen. Auf einer Bank vor ihr lag, halb zur Seite gefallen, ohnmächtig Frau Lina. Der schlaff herabhängenden Rechten war ein zer knittertes Stück Papier entsunken. Im ersten Augenblick stand Hedwig wie gelähmt, dann bemühte sie sich um die Bewußtlose und hatte auch bald die Befriedigung, sie ins Leben zurückkehren zu sehen. Betroffen schaute Frau Lina sich um. Ein Frost schauer schüttelte sie. Hedwig legte den heruntergeglittenen Kragen wieder um die Schulter der alten Dame. Diese drückte dem Mädchen die Hand. „Wie gut Sie sind! Ich danke Ihnen. Ich weiß gar nicht, wie mir das passieren konnte. Das hätte was Schönes werden können. Der Himmel hat Sie wohl hierher geführt?" „Vermutlich durch Pollchen", erwiderte das Mäd chen schwach lächelnd und streichelte den Kopf des zottigen Musengottes. „Wenn Sie sich krank fühlen, Frau Lina, dann hätten Sie einen so weiten Spaziergang doch wohl nicht ohne Begleitung unternehmen sollen", sagte Hedwig vorwurfsvoll. „Ich habe ja niemand. Es bekümmert sich ja niemand um mich alte Frau. Es will niemand etwas von mir wissen", kam es ein wenig hart und abstoßend von ihren Lippen. „Sie haben doch mich, Frau Lina. Und die Menschen sind doch auch nicht alle so schlecht." "„Die Menschen!" lachte die Hundemamsell bitter auf; dann sprang sie plötzlich von dem Thema ab. „Aber Sie haben recht, Kleine, ich hätte nicht aus gehen sollen; ich fühle mich schon den ganzen Tag nicht wohl. Und dann noch den Arger dazu . . ." „Sie haben Ärger gehabt? — Aber kommen Sie! Wir gehen hier quer den Fußweg entlang nach der Chaussee und finden dort wohl eine Droschke, die Sie nach Hause fährt; Sie sehen sehr blaß aus und zittern wie Efpeylaqb." Frau Lina antwortete auf das letzte nicht. Sie erhob sich und versuchte zu gehen. „Ich werde Sie führen. Nehmen Sie meinen Arm, ja?" „Ich danke Ihnen, Kleine! Jawohl, Arger", fuhr sie stehend fort und suchte in ihren Taschen nach etwas. „Wenn die Menschen mich doch in Ruhe lassen wollten; ich frage ja nichts nach ihnen. Jetzt begann ihr Blick am Boden zu suchen und blieb auf dem vorhin ihrer Hand entsunkenen Blatt Papier haften. Hedwig hob es auf und warf einen flüchtigen Blick darauf. Es war ein Briefumschlag, kreuz und quer dicht beschrieben und mit vielen Stempeln versehen wie einer, der eine lange Reise von Station zu Station und von Postamt zu Postamt durchmachen mußte, ehe er an seine Bestimmung gelangte. Plötzlich verfärbten sich Hedwigs Züge. Die Augen öffneten sich weit und nahmen einen erschrockenen Ausdruck an. Was — wie —? Das war ja Erich Stielers Hand schrift —? Sie hätte sich die rechte Hand darum ab hacken lassen — das war der Brief, den Erich vor vier Wochen seiner Tante in Halle geschrieben hatte. Es gab keinen Zweifel — Frau Lina war — o, jetzt wurde ihr mit einem Male alles klar! Sie gab den Brief an die alte Dame zurück und preßte beide Hände gegen die Schläfen, die zu zer springen drohten, so hämmerte es drinnen. Es schien, als begänne alles vor ihr zu kreisen. „Fehlt Ihnen was, Kleine?" fragte Frau Lina, die fie jetzt aufmerksam betrachtete. „O, es ist nichts! Gar nichts! Ein wenig Schwindel; aber es ist schon wieder besser!" Und sie versuchte zu lächeln. Ftau Lina schüttelte den Kopf. „Sie arbeiten zu viel, Kleine, das bringt Sie um. Sie sollten zu mir ziehen und bei mir bleiben. Oder war es die Aufregung?" „Die Aufregung!" murmelte sie apathisch vor sich hin. „Arme Kleine", sagte die Hundemamsell: „Sie sind am Ende kränker als ich. Kommen Sie!" Frau Lina wurde ernstlich krank. Ihre Kräfte nahmen von Tag zu Tag ab. Es ging zu Ende «mit zu Kunst und Wissenschaft. des bis den * Große Aquarell-Ausstellung Dresden 1969. Um den Wünschen der weitesten Kreise entgegenzukommen, hat sich die Ausstellungsleitung entschlossen, vom 15. August ab den Eintrittspreis an Sonntagen und Mitt wochs auf 50 Pf. zu ermäßigen. Es sei hier besonders auf düse Vergünstigung hingewiesen. Hedwig zuckte zusammen und schlug die Augen Boden. Vor der Liebe! (Fortsetzung folgt.) ihr und sie machte sich auch gar kein Hehl daraus. Aber war die alte Frau schon in gesunden Tagen schwer zugänglich und wunderlich, so wurde sie es jetzt auf dem Krankenlager noch viel mehr. Im Anfang sträubte sie sich entschieden dagegen, fremde Menschen um sich zu haben. „Pfleger: nennen sie's", behauptete die verbissene alte Dame; „aber sie haben sich's alle in den Kopf gesetzt, mich vollends zu Tode zu ärgern". Dann hatte die Aufwärterin die Pflege übernommen und da diese Frau schließlich davon lief — sie konnte es, wie sie sagte, mit der Alien nicht aushalten — entschloß sich die Kranke nach vielen dringenden Bitten und Vorstellungen Hedwigs, eine „Schwester" ins Haus zu nehmen. Aber Tag für Tag, wenn Fräulein Volland kam, um nach dem Rechten zu sehen, jammerte und klagte die wunderliche Dame, daß ihr die Schwester unerträg lich sei. Hedwig faßte einen großen Entschluß. Frau Lina hatte aufs bestimmteste erklärt, daß die Schwester aus dem Hause müsse, daß sie niemand mehr sehen wolle, und daß Hedwig der einzige Mensch wäre, zu dem sie Vertrauen besäße und den sie gern und immer um sich haben möchte. Ja, sie hatte Andeutungen gemacht, wie gern sie es sähe, wenn das Mädchen vollends nach der SkaUtzer Straße übersiedeln würde, wenigstens so lange sie krank lag und ihrem Tierparnaß nicht die nötige Fürsorge angedeihen lassen konnte. Und Hedwig tat es wehe, die wunderliche alte Frau so allein ihrem Schicksal zu überlassen. Was verschlug's denn auch? Erich war ja nicht hier und Reichtümer konnte sie zu Hause auch nicht verdienen. Ihre Wohnung und Essen hatte sie so gut wie da. Überdies hatte ihr die alte Dame angedeutet: Schaden sollte sie dadurch nicht haben. So entschloß Hedwig sich kurzerhand, vollends zu Frau Lina überzusiedeln und ihre eigene Wohnung so lange zu verschließen, bis die Kranke wieder gesund oder gestorben war, sie hoffte das letzte nicht; aber Hedwig hätte blind sein müssen, wenn sie diese Mög lichkeit nicht für die wahrscheinlichste angesehen hätte. Es stand wirklich schlimm mit ihrer mütterlichen Freundin und das mochte diese wohl schließlich selbst einsehen; denn sie gab dem ununterbrochenen Drängen Hedwigs nach, einen Arzt heranzuziehen. Der kam, untersuchte und sagte: „Vor allen Dingen K-äfiigung des Organismus. Weiter kann hier nichts getan werden." Und er verordnete alle möglichen künstlichen Prä parate, um das fliehende Leben aufzuhalten. „Der Doktor ist ein Narr", bemerkte Frau Lina. „Der Mensch sieht doch, daß Seele und Leib müde find und schlafen gehen wollen. Und er will sie nicht schlafen lassen. Diese Kerls können absolut nicht er tragen, wenn jemand anders als an ihren Mixturen stirbt. Ach Kind", wandte sie sich an das Mädchen, „wenn Sie in Ihrem Leben irgend können, gehen Sie den Medizinern aus dem Wege, den Medizinern und Juristen. Oder, wenn Sie's doch nicht vermeiden können, schicken Sie in der Krankheit zu einem Juristen und bei einem Prozeß gehen Sie zum Arzt; so wird jeder noch den meisten Segen stiften können; vor allen: aber werden beide unschädlich sein." Frau Lina lehnte sich so behaglich in ihre Kissen zurück, als wäre ihr soeben die größte Annehmlichkeit geschehen. Aber plötzlich wurde sie wieder ernst und sagte, die Hand des auf dem Bettrand sitzenden Mädchens ergreifend: „Ja, ja, Kind! Hüte dich vor der Medizin, vor dem Gesetz und vor — dec Liebe. Das sind drei gefräßige Untiere, denen man den Kopf zertreten möchte." Bilvenve Kunst. Michelangelos „Gefangene" von dem Grabmal Julius II., die bisher in der Grotte des Boboligartens zu Florenz aufgestellt waren, wurden, wie man berichtet, in die Tribuna Michel angelos in der Florentiner Akademie übergeführt. Sie bieten nunmehr mit der David-Statue als Mittel- vunkt und den Gipsabgüssen ein harmonisches Gesamtbild der Schöpfungen Buonarrotis. Musik. Aus Bayreuth meldet man: Im nächsten Jahre werden keine Aufführungen stattfinden- Im Jahre 1911 fallen „Die Meistersinger" an Stelle des „Lohengrin" treten. — Aus New York wird beuchtet: Der Direktor der Manhattan Oper. Oskar Hammerstein, hat einen kühnen Entschluß gefaßt: allen bei ihm engagierten Sängern soll künftig verboten sein, während der Ferien im Auslande Vorstellungen zu geben. Hammerstein erklärt diese Maßnahme durch seine Pflicht, dafür zu sorgen, daß die Sänger nicht mit überanstrengten Organen die Tätigkeit bei ihm antreten. Er will gerne hohe Gagen zahlen, aber dafür will er auch die Gewiß heit haben, daß feine berühmten Sänger seinem Theater ihre beste Kraft widmen und nicht in der Zwischenzeit sich ermüden und ihre Stimmen schädigen. s In dem Städtchen Nyack im Staate New York starb dieser Tage die frühere Opernsängerin Johanna Rotter-Dieffenbach, die dort seit Jahren in stiller Zurückgezogenheit lebte. Die Künstlerin, die im Jahre 1833 in Ungarn geboren wurde, gehörte der Opernbühne von 1862 bis 1880 an. Sie war großherzogliche Hof- und Kammersängerin in Darmstadt, als sie nach Amerika engagiert wurde. Nach dem Abschluß ihrer Opern laufbahn wirkte sie noch als Konzert- und Kirchen- sängerin. Bis zu ihrem 74. Lebensjahre erhielt sie sich den melodischen Schmelz ihrer Stimme. italienische und ausländische Arzte bi- zum 31. Dezember d. I. teilnehmen. Literatur. Aus Spangenberg wird gemeldet: Die Uraufführung des HeimatfestfpielS „Kuno und Elsa", dargestellt von Spangenberger Bürgern, fand unter starker Beteüigung mit großem Erfolge statt. — Da- Fritz Reuter-Denkmal in Stavenhagen wurde vom geschäftsführenden Ausschüsse dem Prof. Wandschneider in Charlottenburg zur Ausfühimng übertragen. DaS Denkmal wird aus gestocktem Granit ausgeführt. Auf dem Sockel sitzt die Figur Reuters in einem bequemen mecklenburgischen Bauernstuhle, das rechte Bein über das linke geschlagen. Die linke Hand stützt das sinnende Haupt. Sockel und Figur werden ungefähr 5 bis 6 m hoch. Letzte Rachrichte«. WilhelmshShe, 11. August. Ihre Majestäten der Kaiser und die Kaiserin unternahmen heute morgen einen Spazierritt. Später Hötte der Kaiser den Vortrag des ' Chefs des Zivilkabinetts und be sichtigte sodann das neue Theater in Cassel. Als Ver treter des Auswärtigen Amtes ist der Gesandte Frhr. v. Jenisch hier eingetrofsen. Zum Frühstücke beim Kaiserpaare ist die Stiftsdame Frl. v- Heeringen geladen. Berlin, 11. August. Der General der Kavallerie v. Einem ist auf feinen Wunsch von seiner Stellung als preußischer Kriegsminister entbunden und mit der Ver tretung des beurlaubten kommandierenden Generals des , VII. Armeekorps beauftragt worden. Genf, 11. August. Der Khedive ist gestern aus Paris hier eingetroffen. Es heißt, er sei von der Pforte aufgefordert worden, möglichst bald zu Konferenzen nach Konstantinopel zu kommen. Pari-, 11. August. Die Morgenblätter melden aus Rom: Bon offiziöser Seite wird bestätigt, daß der Zar Messina und Reggio besuchen wird, wo ihm und der russischen Flotte ein begeisterter Empfang bereitet werden soll. Es hat sich ein Komitee gebildet zum Zwecke der Überreichung einer Adresse an den Zaren und von Medaillen an die russischen Marinesoldaten. Paris, 11. August. Gelegentlich der Schießversuche bei Toulon gegen den alten Kreuzer „Jena", denen der neue Marineminister beiwohnte, hat dieser eingehend alle MarineressortS in Toulon inspiziert und, w:e die Blätter melden, die Notwendigkeit einschneidender Ände rungen erkannt. Die Reformen des Ministers werden sich in folgender Richtung bewegen: Bolle Ausnutzung der Besatzungen und Schiffe, vollständige Ergänzung der Munition auf jedem Schiffe und Verbesserung der Arsenale, vor allem derjenigen von Toulon und Brest. Die erforderlichen Kredite wird der Marineminister im nächstjährigen Budget fordern. Madrtd, 11. August. Eine Drahtnachricht aus Al- huzemas besagt, daß der geschützte Kreuzer „Estremadura" mit Lebensmitteln und Waffen dort angekommen sei. Die Landung des Materials vollzog sich schwierig unter feind lichem Feuer. Die Spanier erlitten keine Verluste. Der „Estremadura" kehrte bei Anbruch der Nacht nach Melilla zu rück. Im Gefechte bei Penon bedienten sich die Mauren auch einer Kanone, doch gingen die Geschosse über die Stadt hinweg. Während der Nacht hatten Vie Kabylcn an der Küste hohe Signalfeucr angezündet. Jagd und Sport. * Die Nennungen für den nächsten Dresdner Renntag am 22. August d. I. haben einen glänzenden Abschluß gefunden und stehen mit 147 bisher unerreicht da. Es haben erhalten: das August-Berkaufs - Hürden - Rennen 25, da- Erinnerungs- Rennen 27, das Ehrenpreis-Hürden-Handicap 22, der Preis von Zschorna 13, der Preis vom Lugthurm 27, der Preis von Königsbrück 16 und das 1000. Rennen an Stelle der 54, 36, 25 Unterschriften nunmehr 17. * Die Gewinnsumme des Graditzer Stalles ist nach den letzten Erfolgen in Cöln a. Rh. nunmehr auf 420 990 M. an gewachsen, ein Betrag, der von 26 Pferden gewonnen wurde. Inbegriffen in diese Summe sind auch die Preise, die Haarlocke, Kakadu I. und Rauhreif in Osterreich-Ungarn heimbrachten. An der Spitze der siegreichen Graditzer steht der Derby-Sieger Arn fried mit 90 250 M. vor Stoßvogel, der dichtauf als zweiter mit 80 665 M. folgt. In Marabou, Steinhammer und Lapis Lazuli schließen sich dann drei weitere erfolgreiche Dreijährige an. — Der Stall des Frhrn. v. Oppenheim hat dieses Jahr gleich falls große Erfolge erzielt. Fünfzehn Pferde dieses Züchters gewannen bis jetzt 201 750 M-, von denen auf For Ever der größte Anteil von 98 400 M. entfällt, also noch mehr als der erfolgreichste Graditzer heimbrachte. Wissenschaft. Die Hauptversammlung Vereins Deutscher Chemiker, die am 14. 18. September in Frankfurt a. M. tagt, wird Teilnehmern eine Reihe interessanter Vorträge bieten. Geh. Rat Prof. vr. Bauer wird über „Künstliche Edel- steine" sprechen, Geh. Obermedizinalrat Prof. vr. Ehrlich über die „Grundlagen der experimentellen Chemo therapie", Prof. vr. Schiffner über „Radioaktive Körper", Prof. Friedländer über den „Antiken Purpur", Prof. Freund über „Moderne Demonstrationstechnik" und vr. Krais über „Die Echtheitsbewegung in der Teer farbenfabrikation". Anmeldungen sind zu richten an Prof, vr. Becker, Frankfurt a. M., Niedenau 40. — Für die beste Erfindung oder das beste Werk auf orthopädischem Gebiete schreibt soeben das Jstrtuto Ortopedico Rizzoli in Bologna einen Preis von 3500 Lire aus. An dem Wettbewerbe können