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lung des „Liebesfrühling") — ein erschüttern des Seelenbekenntnis des Meisters — klingt auch im Adagietto der 5. Sinfonie an. An seiner 10. Sinfonie e-Moll op. 93 arbeitete Dmitri Schostakowitsch im Sommer 1953. Am 17. Dezember des glei chen Jahres wurde sie in Leningrad uraufge führt, im Mai 1954 brachte sie Franz Kon witschny in Berlin zur deutschen Erstauffüh rung. In einigen Äußerungen über die „Zehn te" bemerkte der Komponist, daß er sich be müht habe, in ihr die Gedanken und das Er leben der Menschen wiederzugeben, die die Berufung des Menschen auf der Erde im ta tenfreudigen Schaffen sehen, nicht im Zerstö ren. „Den Frieden lieben und nach Frieden streben", sagte Schostakowitsch, „das bedeutet nicht idyllische Beschaulichkeit und passives Warten auf Stille und Ruhe. Streben nach Frieden, Liebe zur Menschheit und zu ihrer großen Kultur — das bedeutet Arbeit, Schaf fen, Kampf. Liebe zur Sache des Friedens — das bedeutet unversöhnlichen Haß gegen die Sache des Krieges." Das Werk besteht aus vier Sätzen. Der ersse Satz (Moderato) beginnt mit einer langsamen Einleitung, einer Musik voll tiefer Nachdenk lichkeit. Später erscheint — in der Klarinette — eine zu Herzen gehende Melodie, das Hauptthema des ersten Satzes. Es hat stark national-russischen Charakter. Mit dem lyri schen Seitenthema in der Solo-Flöte kommen allmählich unruhige und erregte Stimmungen in die Musik, die immer mehr anwachsen bis zu äußerster dramatischer Spannung. Wohl klingt das zweite Thema gegen Ende des Sat zes wärmer und weicher, aber noch nicht be ruhigt. Am Schluß kehrt die Musik der Einlei tung wieder. Der zweite Satz (Allegro) ist in einer ununter brochenen, stürmischen Bewegung gehalten. Der Wirbel der Kleinen Trommel, das Pfeifen der Pikkoloflöte und der grelle, schreiende Klang der Es-Klarinette ergeben ein plastisches Bild vom Wüten wilder, dunkler Kräfte, wie wir sie in den Werken Schostakowitschs aus den Kriegsjahren finden. Die Musik klingt wie das Mahnen vor einem drohenden neuen Krieg, wie zorniger Protest und bringt feste Kampfentschlossenheit zum Ausdruck. Im dritten Satz (Allegretto) werden drei The men verwendet. Besonders lieblich ist das tän zerische erste. Große Ausdruckskraft und Spannungsgeladenheit zeichnen das kurze zweite Thema aus, das mit den Initialen des Namens Dmitri Schostakowitsch arbeitet (d — es — c — h = D. Sch.). Wiederholt auftau chende Rufe des Horns (drittes Thema) füh ren zur Wiederkehr der „Musik der Nach denklichkeit" aus der Einleitung des ersten Satzes. Unerwartet brechen fordernd schail^^ Klänge herein, welche die Stimmung der B^F schaulichkeit und Nachdenklichkeit völlig zu zerstören drohen, doch schaffen die Rufe des Horns wieder Beruhigung. Das Finale (Andante — Allegro) wird wieder um von einer langsamen Einleitung eröffnet: Den verhalten beginnenden Violoncelli und Bässen antwortet die einsam rufende Stimme der Oboe. Aber die traurige und klagende Musik wird von den leisen ,aus der Ferne her dringenden Rufen der Klarinetten und Flöte durchbrochen. Daraus entsteht das Hauptthe ma des Finales. Es versetzt den Zuhörer in eine andere Welt. Das Thema ist voller Bewegung und Fröhlichkeit, in ihm klingen die Melodien sowjetischer Pionierlieder an. Im Reigen zie hen, eine die andere ablösend, lebensvolle, energische Melodien vorüber, in denen man das Pulsieren junger Kräfte spürt. In dem Mo ment, wo die frohe Erregung ihren Höhepunkt erreicht, tauchen von neuem die dramatischen Themen aus der Einleitung zum Finale und aus dem dritten Satz auf — wie eine Erinne rung an das Durchlebte. Aber eine neue, noch höhere Woge jugendlicher Energie und herz licher Fröhlichkeit spült die Bilder der Erinn^t rung fort. Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-2512 ItG 009-41-80 EVP 0,30 M Spielzeit 1979/80 — Chefdirigent: Prof. Herbert Kegel Programmblätter der Dresdner Philharmonie Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Die Einführung in die 10. Sinfonie Schostakowitschs schrieb Peter Galchin, Moskau, für das Konzertbuch Orchestermusik, Leipzig 1974