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ZUR EINFÜHRUNG Schicksalslied von Friedrich Hölderlin Das Schicksalslied für Chor und Orchester o p. 5 4 vollendete Johan nes Brahms im Mai 1871 in Baden-Baden; es ist, auf Hölderlins Text, das klassisch-antike Gegenstück zur Alt-Rhapsodie, jenem reifen Zeugnis des Goetheschen Sturm und Drang. Auch hier drei Strophen; aber diesmal faßt Brahms die beiden ersten zusammen und stellt, ganz dem Charakter des Textes entsprechend, dem „Langsam und sehnsuchtsvoll" des An fangs ein stürmisches Allegro entgegen — alles ist auf diesen dramatischen Gegensatz zuge spitzt. Der beginnende Es-Dur-Instrumentalsatz gehört zu Brahms’ schönsten Gebilden; wieder sordinierte Streicher, wieder der leise Pauken schlag in der Tiefe, wieder die sich innig inten sivierende Geigenmelodie in der Höhe. „Ihr wandelt droben im Licht" ist eine fast choral mäßige schlichte Melodie, mild von einem Holzbläsergesang begleitet. Aufs schönste weiß der Komponist harmonische Kontraste zu ver wenden; bald wird das Ganze durch eine Dolce-Geigenmelodie in lichte Höhen getra gen. Aus der Tiefe beginnt die zweite Strophe „Schicksallos, wie der schlafende Säugling, atmen die Himmlischen"; leise A-cappella- Klänge leiten wirkungsvoll zur Phrase „Und die seligen Augen blicken in stiller, ewiger Klarheit" über, wieder in sich mündend. Auf ruhelosen Achtelgängen des Orchesters baut das Allegro seine weiten, synkopisch zerklüf teten Melodien auf: „Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhn"; der bildhafte Text (ins besondere „ins Ungewisse hinab") wird wieder malerisch-affektvoll ausgedeutet, zuletzt über einen 54 Takte durchgehaltenen Orgelpunkt C. Hölderlin schließt mit diesem „Ungewissen" — Brahms läßt nun in C-Dur, im Adagio-Orche sternachspiel, das Vorspiel wieder aufleuchten. Es ist allerdings nicht, wie man denken könnte, wieder das Bild der Götter, sondern das, was die Musik dazugibt. Es ist der Gedanke des Trostes, der den klassischen Idealismus ins Menschliche führt. Worte würden hier nur stö ren; nicht zufällig soll die befreiende Melodie der Flöte (am Anfang wurde sie in den ge dämpften Violinen gesungen) durchaus forte geblasen werden (wie Brahms mehrmals be tonte), den realistischen Aspekt hervorhebend. Ihr wandelt droben im Licht auf weichem Boden, selige Genien! Glänzende Götterlüfte rühren Euch leicht, wie die Finger der Künstlerin heilige Saiten. Schicksallos, wie der schlafende Säugling, atmen die Himmlischen; keusch bewahrt in bescheidner Knospe blühet ewig ihnen der Geist, und die seligen Augen blicken in stiller, ewiger Klarheit. Doch uns ist gegeben auf keiner Stätte zu ruhn; es schwinden, es fallen die leidenden Menschen blindlings von einer Stunde zur andern, wie Wasser von Klippe zu Klippe geworfen, jahrlang ins Ungewisse hinab. Igor Strawinskys Violinkonzert D-Dur entstand 1931 und wurde am 23. Ok tober des gleichen Jahres in Berlin unter Lei tung des Komponisten mit Samuel Dushkin als Solisten uraufgeführt. Als eines der großen Violinkonzerte unseres Jahrhunderts steht es in einer Reihe mit denen von Prokofjew, Berg, Schönberg und Bartök, die ebenfalls im glei chen Jahrzehnt entstanden. Strawinsky zögerte zunächst, ein Konzert für die Geige zu schrei ben. Als Komponist kannte er zwar die tech- nischen Möglichkeiten des Instruments, sp4A es aber selbst nicht. Hindemith, der ein otK- gezeichneter Geiger war, ermutigte ihn zu der Komposition. Bei der endgültigen Ausarbeitung des Soloparts zog Strawinsky den Solisten der Uraufführung zu Rate. Er ließ sich auch in die sem Werk von der Musik des 17. und 18. Jahr hunderts anregen. Sowohl die Satzbezeichnun gen Toccata, Aria I und II und Capriccio als auch Thematik und Motivik, ja sogar die Mu sizierhaltung weisen auf diese Zeit, allein die „Machart" kennzeichnet das Werk als echten Strawinsky. Am Anfang aller vier Sätze und innerhalb des dritten Satzes begegnen in verschiedenen Mo difikationen vier weitgespannte Akkorde; sie stehen stellvertretend für eine Intrada. Der erste Satz (Toccata) schreitet nach den eröff nenden Akkorden zügig voran. Das Orchester beginnt mit einer Variante des Hauptthemas, von den Trompeten im Terzabstand gespielt. Das Hauptthema geht auf jenes gefällige Dop pelschlagmotiv zurück, mit dem Boccherini sein bekanntes Menuett-Thema eröffnet. Das an schließende Seitenthema erschließt den Ton raum nach der Höhe. Es wurde aus dem C-Dur-Dreiklang entwickelt. Im Mittelteil do miniert im Orchester über weite Strecken eine kantable, rhythmisch punktierte Linie. Es schließt sich eine Reprise an, die den ersten Teil des ^tfzes variiert. notengetreue Wiederholung der Intrada erorfnet auch den zweiten Satz (Aria I). In mäßigem Tempo trägt sofort die Solo-Violine, assistiert von den Violoncelli, das Thema, eine weitgespannte Kantilene, vor. Dieser Satz ist Bach sehr verpflichtet; fast durchweg kammer musikalisch durchsichtig instrumentiert, ist er wie der dritte Satz (Aria II) melodiös und wohlklingend. Der abschließende vierte Satz (Capriccio), in freier Rondoform geschrieben, steigert die mu- sikantische Haltung der Toccata durch sehr schnelles Zeitmaß, ausgeprägte Motorik und schnelles Laufwerk. Strawinskys Vorliebe für metrische Verschränkungen und ausgeprägte rhythmische Gestaltung läßt den Satz zu einem überzeugenden Finale werden, dessen Ansprü che an den Solisten enorm sind, obwohl der Höreindruck das nicht vermuten läßt. Der Komposition seiner Sinfonie Nr. 7 d-Moll o p. 70 widmete A n t o n i n Dvorak besondere Sorgfalt, wollte er sich doch — bei gleichzeitigem Blick auf seinen •ind und Gönner Johannes Brahms — zu den len Beethovens emporschwingen. In einem Brief Dvoraks lesen wir: „Soeben beschäftigt mich eine neue Sinfonie, und wohin immer ich mich wende, habe ich nichts anderes im Sinn als eben meine Arbeit, welche aber auch so sein soll, daß sie die Welt in Bewegung ver setzt, und sie wird es auch, so Gott will, tun." Das Werk entstand in der verhältnismäßig kurzen Zeit von Ende 1884 bis Mitte März 1885 und erklang zum ersten Mal unter der Leitung des Komponisten am 22. April 1885 im Londoner Konzertsaal St. James Hall. Es spielte das Or chester der dortigen Philharmonischen Gesell schaft, die den Komponisten 1884 zu ihrem Ehrenmitglied ernannt hatte und der die neue Sinfonie auch gewidmet worden war. Die Diri genten Hans Richter, Hans von Bülow und Ar thur Nikisch waren dann in der Folgezeit die ersten namhaften deutschen Interpreten der siebenten Sinfonie, die in ihrem Stimmungs gehalt die düsterste und leidenschaftlichste un ter den Dvoräkschen Sinfonien ist und in rela tiv geringem Maße Züge tschechischer Volks tümlichkeit aufweist. Fraglos gehört die „Siebente" zu Dvoraks be deutendsten Schöpfungen, ihr Pathos, ihre in haltliche und formale Größe, ihre dramatische Straffheit und stilistische Geschlossenheit las sen die Nähe Beethovens spüren. „Die Sinfo nie d-Moll ist ein Werk von gewaltiger sinfo nischer Konzeption und Form, dabei von einer seltenen Kraft und ungewöhnlichem Ernst des Inhalts, ein Werk, das vor allem von Gefühlen eines harten, männlichen Trotzes, leidenschaft lichen Sehnens und energischen Ringens nach innerer Klarheit genährt wird. Der erhabene Geist der Kunst Beethovens und Brahms’ führt hier Dvoraks schöpferische Phantasie zu diesem von Genialität erleuchteten Aufschwung . . ." (O. Sourek). Knapp und schlicht instrumentiert ist der in Sonatenform gestaltete erste Satz (Allegro mae stoso). Das Hauptthema löst sich aus dem pp der Hörner und dem Tremolo der Bässe. Brat schen und Celli intonieren das männlich-trot zige Thema. Die drohende Spannung erfährt eine leidenschaftliche Steigerung, doch be schwichtigend greift das zarte, gesangliche Sei tenthema ein. Wieder aber verdichtet sich die Stimmung zum Tragischen. Nach glanzvoll auf strahlendem Triumph verklingt der Satz schließ lich in matter, gebrochener d-Moll-Resignation. Mit einem der schönsten und innigsten musika lischen Gedanken Dvoraks beginnt der in drei teiliger Liedform angelegte zweite Satz (Poco Adagio), der nach den Kämpfen und Auseinan dersetzungen des Einleitungssatzes eine Situa tion der Ruhe, des neuen Kräfteschöpfens be schwört. Dieser Stimmung entspricht auch der gefühlvolle Gesang des Waldhorns im mittle ren Satzteil. Das Scherzo (Vivace), einer der herrlichsten sinfonischen Sätze des tschechischen Meisters überhaupt, bringt ein folkloristisch geprägtes, tänzerisches Thema in den Violinen und Brat schen, dessen an sich freundliche Grundhaltung durch eine melancholische Gegenmelodie der Celli und Fagotte ein wenig insTraurig-Unruhe- volle gewendet wird. Sorgenlos dagegen gibt sich das Trio: In der friedvollen Naturschilde rung vermeint man Vogelgesang, den Horn-